2
Triebreduktionstheorien
Die
Triebreduktionstheorien waren lange Zeit dominierend in der Motivationspsychologie,
spielen jedoch heute kaum noch eine Rolle. Das riesige Theoriegebäude
von Sigmund Freud hat bis in die 50er Jahre hinein Motivationspsychologen
beeinflußt, und die Theorie von Hull war in den 40ern und
50ern die wichtigste Theorie überhaupt. Doch auch ihre Anhänger
sind heutzutage fast völlig ausgestorben. Warum das so ist,
werden wir am Ende dieses Abschnittes diskutieren.
Warum
werden Freud und Hull in einem Atemzug genannt? Schließlich
war doch der eine Psychoanalytiker, der andere hingegen Behaviorist
- was in der Psychologie wohl die größten Gegensätze
überhaupt sind. Tatsächlich sind beide in ihrer Methodik
grundverschieden: Freud führte zeit seines Lebens Therapiegespräche
mit Patienten, Hull dagegen führte größtenteils
Tierversuche durch.
Der
Grund, warum Freud und Hull hier in demselben Kapitel vorgestellt
werden, liegt also nicht in der Ähnlichkeit ihrer Methoden,
sondern ihrer Theorien: Bei beiden steht das Konzept des Triebs
im Mittelpunkt. Beide sehen den Trieb als grundlegenden Mot(ivat)or
des Menschen an: Der Trieb erzeugt in der Person Spannung (ein Bedürfnis),
die das Verhalten daraufhin ausrichtet, abgebaut (befriedigt) zu
werden. Naheliegendes Beispiel: Hunger treibt uns dazu, Nahrung
aufzunehmen; ist dies geschehen, ist der Hunger weg.
So erscheint es gerechtfertigt, beide Ansätze unter dem Begriff
"Triebreduktionstheorien" zusammenzufassen.
Die
Unterschiede zwischen beiden werden vor allem deutlich, wenn man
sich fragt, ob sie in ihren Theorien eher von Handeln oder eher
von Verhalten sprechen. Hull ist wohl einer der letzten großen
Motivationspsychologen, denen es noch um das Verhalten geht. Kein
Wunder, bezieht er sich doch explizit auf die behavioristische Tradition.
Er fragt also nicht etwa nach subjektiv sinnvollen Gründen
und Zielen von Personen, sondern ganz allgemein nach den objektiven
"Antezedentien" von Verhalten, also nach dem, was einem
Verhalten vorausgeht. Kurz: Hull fragt eher "Warum?",
während die neuere Motivationspsychologie eher nach dem "Wozu?"
fragt.
Freud
dagegen ist weit davon entfernt, das Tun von Menschen "objektiv"
zu betrachten, sondern er versucht dessen subjektive Sinnhaftigkeit
über die individuelle Lebensgeschichte zu verstehen. Insofern
kann man bei Freud eher den Handlungsbegriff zuordnen. Nach Freud
ist ja sogar jedes
Tun "determiniert", d.h. auch ein Versprecher ist nicht
"zufällig", sondern hat einen Sinn, eine Motivation.
Jedoch ist dieser Sinn (z.B. ein sexueller) der Person meist nicht
bewußt.
Da das Bewußtsein aber, wie in Kapitel
1 beschrieben, ein Kriterium des Handlungsbegriffes ist, kann
bei Freud streng genommen weder von Verhalten noch von Handeln gesprochen
werden. (Dies ist jedoch nicht etwa eine Kritik an seiner Theorie.
Wir versuchen mit jenem Begriffspaar ja lediglich, Ordnung in die
Theorienvielfalt der Motivationspsychologie zu bringen.)
Bevor
wir auf beide Theorien genauer eingehen, wollen wir noch kurz einen
Blick auf die Methodik werfen: Hulls Ansatz zeichnet sich
durch eine rein experimentelle
Vorgehensweise aus. Freud war weit entfernt davon zu glauben, Experimente
seien das geeignete Instrument zur Prüfung seiner Theorie.
Dennoch haben in seiner Nachfolge viele Psychologen versucht, seine
oft hoch interessanten Thesen experimentell zu prüfen.
Weil also in beiden folgenden Abschnitten von Experimenten die Rede
sein wird, wollen wir zunächst im Exkurs:
"experimentelle Motivationsforschung" auf diese besondere
Methodik eingehen.
Anschließend beschäftigen wir uns erst mit Freuds
Theorie (insbesondere den motivationspsychologisch relevanten
Teilen), dann mit Hulls Theorie.
Am Schluß des Kapitels steht ein kleines Resümee.
Los
geht's mit dem Exkurs zur experimentellen Motivationsforschung...
|