Resümee

Warum sind beide in diesem Kapitel vorgestellten Theorien heute bei weitem nicht mehr so einflußreich wie noch vor einigen Jahrzehnten? Sicher gibt es dafür viele Gründe, aber einer der wichtigsten ist wohl, daß - bei Freud wie bei Hull - die methodische Herangehensweise ungenügend war. Freud leitete seine Theorien direkt aus der klinischen Praxis ab, Hull direkt von Tierversuchen. Für eine gute motivationspsychologische Theorie können aber weder Therapiegespräche noch Rattenbeobachtungen eine hinreichende empirische Basis sein.

Wurden die Hypothesen von Freud und Hull später widerlegt? Hier hat Freud einen kleinen "Vorteil". Durch seine abstrakten, kaum zu operationalisierenden Begriffe ist eine empirische Widerlegnug kaum möglich... Dagegen konnten, wie oben beschrieben, einige nicht so abstrakte Mechanismen sogar experimentell bestätigt werden.
Bei Hull hingegen sieht es anders aus: Während die Theorie an Ratten recht gut funktionierte, war die spätere Erprobung an Menschen fast völlig erfolglos. Bolles stellt 1975 nach einer eingehenden Analyse der Befunde fest: "Es gibt recht wenig Unterstützung für die Idee, daß verschiedene Triebquellen gegenseitig austauschbar und gegenseitig additiv sind. Es scheint dagegen plausibler, anzunehmen, daß jede Quelle der Motivation ihre eigene Art von Motivation und ihre eigenen spezifischen Antworttendenzen produziert."

Hulls Theorie ist ein gutes Beispiel dafür, wie schnell die Psychologie von Trends erfaßt und wieder losgelassen wird - was sicherlich kein schmeichelhaftes Zeugnis für eine Wissenschaft ist. In den 40er und 50er Jahren war Hulls Theorie das Allergrößte. (Fast) alle waren hellauf begeistert von der mathematischen Schönheit der Formeln und geblendet von der vollkommenen Objektivität der Tierversuche.

Heute gibt es kaum noch jemanden, der Hull erwähnt. Nur die Lehrbücher und Vorlesungen kommen ihrer historischen Pflicht nach - zu Recht, wie ich finde.
Vielleicht schreiben die Lehrbücher in einigen Jahrzehnten: Damals, Ende des 20. Jahrhunderts, waren die Psychologen besessen von der seltsamen Idee, menschliches Verhalten werde gesteuert durch interne Rechenoperationen, die sie "Kognitionen" nannten.
Als ich mich selbst im Grundstudium befand und mich für die Prüfungen vorbereitete, schloß ich meine Notizen zu Hull mit einem Satz ab, den ich auch jetzt ans Ende stelle: "Hull ist tot."

Literaturhinweise:
- Heckhausen (1989): S.88-104 (Hull und Miller sehr kompakt)
- Weiner (1984/88): Kapitel 2 und 3 (Freud und Hull recht langatmig)
- Köhler (1995): einführendes Buch zu Freud; nur für Interessierte

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