Affiliationsmotiv
Affi-was?
fragt sich hier wohl der von Fremdwörtern genervte Leser. Nein,
es geht nicht um das Motiv, mit Affen zu spielen, sondern das Bedürfnis
nach dem, was in aller Munde ist und an das wir tagtäglich
denken: Liebe, Freundschaft, Gemeinschaft.
Naturgemäß tut sich die Psychologie mit solchen Themen
schwer. Wenn Liebe die allgegenwärtige "Ersatzreligion"
(Ulrich Beck) unserer Gesellschaft ist, wenn sie das einzige ist,
was uns unbegreifbar, unerklärbar vorkommt - dann muß
jeder Versuch, über Liebe im Rahmen der Wissenschaft zu sprechen,
Widerstand hervorrufen. Zu recht, wie ich finde, denn wenn ein Begriff
derart inflationär verwendet wird, hat es wenig Sinn zu versuchen,
ihn auch noch in der Psychologie zu etablieren. Wenn Liebe im Alltag
für das Unbegreifbare steht, dann macht es keinen Sinn, es
wissenschaftlich erklären, begreifbar machen zu wollen. Man
erklärt notwendigerweise etwas anderes als das, was wir im
Alltag meinen: man reduziert es.
Dies
hat sich vielleicht auch schon Henry Murray, den wir bereits
aus der Leistungsmotivationsforschung kennen, in den 30er Jahren
gedacht, als er darauf verzichtete, ein Liebesmotiv in seine Motivsammlung
mitaufzunehmen, und stattdessen von einem allgemeineren "Affiliationsmotiv"
sprach, das im Deutschen auch "Anschlußmotiv" genannt
werden kann. Diese Einteilung hat sich, einmal so getroffen, auch
weitgehend erhalten, wenn auch mittlerweile zusätzlich von
einem spezielleren "Intimitätsmotiv" gesprochen wird,
das sich nur auf enge und dauerhafte Beziehungen bezieht.
Wichtig ist noch zu differenzieren zwischen Kontakten zur eigenen
Familie, die bei jedem zu beobachten sind, und solchen Kontakten
zu familienfremden Personen, die sich ab der späten Kindheit
zeigen. Der Grad der Kontaktsuche nach diesen zunächst fremden
Menschen ist es, was wir als Affiliationsmotiv bezeichnen.
Nach
Byrne und seinen Mitarbeitern (1963) besteht das Anschlußmotiv
aus zwei unabhängigen Faktoren: der Hoffnung auf Anschluß
und der Furcht vor Zurückweisung. Je nach Kombination dieser
beiden Faktoren sei die Anschlußmotivation qualitativ und
quantitativ unterschiedlich ausgeprägt. Die folgende Tabelle
zeigt die vier grundlegenden Kombinationsmöglichkeiten:
Ausprägung
der Faktoren |
Furcht
vor Zurückweisung
|
hoch
|
gering
|
Hoffnung
auf Anschluß |
hoch |
konflikthaft-anschlußmotviert
("schüchtern")
|
(sehr)
anschlußmotiviert |
gering |
zurückweisungsmotiviert
("bloß keinen Korb") |
gering-anschlußmotiviert
("einzelgängerisch") |
Die
Messung des Affiliationsmotivs erfolgt zumeist, ähnlich der
des Leistungsmotivs, mit dem TAT (siehe Kapitel 3.1 bzw. Kapitel
Leistungsmotiv).
Beispielhaft
wollen wir hier kurz eine empirische Untersuchung der Affiliationsmotivforschung
vorstellen: Keller (1985) gab Studentinnen Fotos von mehr
oder weniger attraktiven jungen Männern (deren Attraktivität
vorher mittels Einschätzung einer Teststichprobe festgelegt
wurde). Zu den Bildern wurden den Probandinnen erfundene Angabe
dazu vorgelegt, wie groß die Wahrscheinlichkeit eines Anschlußerfolges
bei diesen jungen Mann war (20%, 50% oder 80%). Beim Wahlverhalten
der Studentinnen zeigte sich, daß beide Kriterien - Attraktivität
und Wahrscheinlichkeit - relevant für die Wahl waren. Dies
spricht dafür, daß wir auch bei der Partnerwahl
anhand einer "Erwartungs-Wert-Rechnung" entscheiden.
Zusätzlich wurden die oben erwähnten Tendenzen "Hoffnung
auf Anschluß" und "Furcht vor Zurückweisung"
mittels eines Fragebogens erhoben. Zu erwarten wäre ja gewesen,
daß diejenigen Studentinnen, die eher anhand der Attraktivität
wählten, große Hoffnung auf Anschluß haben, diejenigen
dagegen, die anhand der Wahrscheinlichkeit wählten, große
Furcht vor Zurückweisung haben. Dies konnte sich jedoch nur
teilweise bestätigen; die Korrelationen waren äußerst
gering.
Abschließend
sei noch zu erwähnen, daß sich die Motivationspsychologie
in letzter Zeit doch wieder an die Liebe herantraut. Die
recht bekannt gewordene Theorie von Sternberg aus dem Jahre
1986 ist schnell erklärt: Liebe besteht aus drei Komponenten.
1. Intimität: gefühlsmäßige Nähe, Verbundenheit
2. Leidenschaft: Romantik, physische Attraktivität, Sexualität
3. Verpflichtung: Aufrechterhaltung der Verbindung über lange
Zeit
Je stärker die drei Komponenten bei einer Person ausfallen,
desto stärker ist die Liebe, die sie in Bezug auf eine andere
Person fühlt.
Nun
ja, und so weiter. Viel sagt diese Theorie natürlich nicht.
Aber sie kann uns doch etwas wichtiges vor Augen führen - und
zwar was wir am Anfang schon überlegt hatten: Was Liebe ist,
können notwendigerweise nur die Liebenden selbst bestimmen,
nicht beobachtende Wissenschaftler. Für manche ist Liebe ein
unkontrollierbares Gefühl, für andere eine bestimmte Art
des Umgangs mit einem anderen Menschen. Für manche zeigt sich
in der Liebe Gott, für andere die rationalisierte Lust auf
Sex. Und viele würden wohl John Lennons Zeilen zustimmen: "Love
ist living, living love." Aber auch: "Love ist real".
Wenn etwas alles sein kann und doch real, greifbar ist, dann sollte
sich die Wissenschaft davon fernhalten. Sie kann nur Schaden nehmen...
Übertreiben sollte sie es aber nicht: So taucht im Lehrbuch
von Schneider und Schmalt (2000)
noch nicht einmal Affiliation auf. Alles nur Sexualität, alles
nur Biologie?
Literaturhinweis:
Heckhausen
(1989), S.343-351
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mit prosozialem Verhalten...
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