1 Grundprobleme

Womit beschäftigt sich die Motivationspsychologie? Mit den Gründen des Verhaltens von Menschen. Es geht um das "Warum" des Verhaltens. Oder besser noch: um das "Wozu". Die Motivationspsychologie betrachtet das Verhalten und Erleben des Menschen also von einem bestimmten Standpunkt aus, nämlich indem sie nach den Zielen fragt, die menschlichen Aktivitäten zugrunde liegen.

Wir sprechen hier noch vom "Verhalten" statt vom "Handeln". Im nächsten Abschnitt werden wir erklären, warum in der Motivationspsychologie heute überwiegend vom "Handeln" gesprochen wird. Eine Definition der Motivationspsychologie lautet unter Verwendung des Handlungsbegriffs beispielsweise so:
In der Motivationforschung geht es um die Gründe, die den Menschen zum Handelns anregen (aktivieren), seinem Handeln Richtung, Stärke und Ausdauer (Persistenz) geben und eine bestimmte Handlung wieder beenden.

Das ganze Spektrum menschlicher Verhaltensweisen wird also anhand verschiedener Ziele (bzw. übergeordneter Zielklassen) geordnet und zu verstehen versucht. Selbstverständlich bleibt es nicht beim Verstehen, sondern anhand von Zielen versuchen Motivationspsychologen, vergangenes Verhalten zu erklären und künftiges Verhalten vorherzusagen. Wenn man die Gründe kennt, warum z.B. ein Schüler in der Schule nicht aufpaßt, weiß man, wo man eine Veränderung ansetzen muß.

Nun aber erst einmal ein paar Beispiele "aus dem Leben", das voll ist mit Motivationsfragen:
"Warum hat er seinen Vater erschlagen?"
"Was treibt Jugendliche dazu, Drogen zu nehmen?"
"Hat er aus Liebe oder aus sexueller Lust mit ihr geschlafen?"
"Hat sie ihr aus Nächstenliebe oder zum eigenen Nutzen geholfen?"
"Hat er vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt?"
"Welches Motiv könnte der Täter gehabt haben?"
"Ist es nicht einfach die Situation, die Diebe macht?"

Bei den Beispielen handelt es sich fast ausnahmslos um Fälle, wo Menschen delinquent werden. Klassisch ist sicherlichdie Frage des "Motivs" bei Mordfällen. Dies unterstreicht - bei all ihrer Abstraktheit - die praktische Nützlichkeit von "Warum-Fragen". Wie wichtig Warum-Fragen normalerweise bei der Aufklärung von Verbrechen sind, merkt man besonders dann, wenn sie einmal nicht funktionieren: Einen Mörder, der sich seine Opfer wahllos aussucht, wird man nur schwer dingfest machen können - man hat dann einfach keine Anhaltspunkte, wer der Täter sein könnte.

Allgemein könnte man sagen, daß Warum-Fragen vor allem dann gestellt werden, wenn jemand etwas Außergewöhnliches tut: "Was treibt Reinhold Messner bloß dazu, sich freiwillig solche Strapazen zuzumuten?"
Niemand würde jedoch im Alltag auf die Idee kommen zu fragen, warum ich morgens aus dem Bett aufstehe. "Das macht man halt so!", wäre eine mögliche Antwort. Und in der Tat werden uns viele Verhaltensweisen in der Kindheit beigebracht, die wir nie hinterfragen und für die wir keine konkreten Gründe angeben könnte: Beim Beten ist man still und faltet die Hände! Warum? Das macht man halt so!
Sicherlich kann ich mich nun als reflektierter Mensch fragen, wie meine Vorfahren wohl darauf gekommen sind, die Hände beim Beten zu falten. Wahrscheinlich käme ich auf plausible Gründe wie "das Falten der Hände macht alle anderen manuellen Aktivitäten unmöglich und verstärkt somit die Konzentration auf das Gebet". Schön und gut, aber das ist trotzdem nicht der Grund, warum ich die Hände gefaltet habe. Ich hab es einfach getan - anfangs, um den Aufforderungen meiner Eltern gerecht zu werden, später vielleicht sogar, weil ich selbst einen Sinn darin gesehen habe: es kam mir "natürlich" vor, ist mir sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen. Also: Nicht alle Verhaltensweisen müssen einen Grund haben, müssen "motiviert" sein.

Kommen wir zu einem anderen der oben erwähnten Beispiele: "Hat sie ihr aus Nächstenliebe oder aus zum eigenen Nutzen geholfen?" Hier geht es um zwei mögliche Gründe ("Motive") für ein und dieselbe Tat. Welcher trifft zu? Eine schwierige Frage, die man wohl kaum entscheiden kann. Bei den allermeisten menschlichen Handlungen gibt es nicht nur einen einzigen Grund: sie sind überdeterminiert.

Diese Fragen sind auch in der Politik allgegenwärtig: Will die amerikanische Regierung Krieg gegen den Irak führen, (a) um das irakische Volk von Saddam Hussein zu befreien, (b) um die eigene Sicherheit zu gewährleisten oder (c) um Kontrolle über die irakischen Ölfelder zu gewinnen? Die meisten Beobachter würden sich (Stand: Oktober 2002) wohl mindestens für zwei Gründe entscheiden; pro-amerikanische eher für die ersten beiden, anti-amerikanische eher für die letzten beiden. Ist es nicht aber möglich, anhand des vergangenen Verhaltens der amerikanischen Regierungen dahinter zu kommen, "was die Amerikaner wirklich im Sinn haben"? Kann man nicht z.B. nachprüfen, ob die Amerikaner immer Krieg gegen Diktatoren geführt haben - auch wenn es keine Ölreserven im Land gab?

Überblick

Noch etwas Geduld, das kriegen wir später, und zwar im dritten Abschnitt dieses Kapitels. Im ersten Abschnitt wollen wir uns zunächst mit den Grundbegriffen und Grundfragen der Motivationspsychologie auseinandersetzen.
Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit Verlaufsmodellen der Motivation. Hierbei steht vor allem Heckhausens Rubikonsmodell der Handlungsphasen im Vordergrund.
Daran anschließend erkunden wir in ersten Ansätzen, wie wir uns im Alltag Verhalten erklären. Es geht um sogenannte "naive Verhaltenserklärungen". Hierbei geht es auch um einen speziellen Befund dieser Forschung: das "Konsistenzparadox".

Zunächst aber zu den Grundbegriffen...

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