Das
Machtmotiv
Bevor
wir verstehen können, was mit dem Begriff "Machtmotiv"
gemeint sein könnte, müssen wir uns zunächst verdeutlichen,
was "Macht" bedeutet.
An dieser Stelle brauchen wir nicht die lange Geschichte der wissenschaftlichen
Beschäftigung mit Machtphänomenen zu eruieren, sondern
folgen Heckhausens (1989, S. 361f.) Beschreibung von Macht: Eine
Person A hat Macht über eine Person B, wenn A B dazu bringen
kann, etwas zu tun, was B ansonsten nicht getan hätte. Macht
hat also der, der den eigenen Willen gegen den eines anderen durchsetzen
kann. Dies impliziert zweierlei:
Erstens
muß bei B (=Zielperson) eine "Motivbasis"
vorhanden sein, d.h. die Handlung Bs, die A (=Machtausübender)
kontrolliert, hat Folgen, die B anstrebt. Beispiel: Nur wenn B das
Bedürfnis hat, aus einem Raum herauszugehen, hat A Macht über
ihn, wenn er ihn im Raum einschließt. Gefällt es ihm
gut in dem Raum, bringt A das Einschließen keinen Machtzuwachs.
Zweitens muß bei A eine "Machtquelle" vorhanden
sein, d.h. er muß über Ressourcen verfügen, mit
denen die Motivbasis von B befriedigt werden kann. Weiter in unserem
Beispiel: Wenn also die Motivbasis bei B darin besteht, aus dem
Raum zu gehen, hat A nur dann Macht über B, wenn er auch über
die Fähigkeit verfügt, die Tür zu verschließen
und wieder zu öffnen.
Welche
spezifischen Arten beim Einsatz von Machtquellen kann man
unterscheiden?
- Belohnungsmacht. Wenn ich Vanilleeis liebe und meine Mutter
mir sagt, sie gibt mir nur dann Vanielleeis, wenn ich vorher das
Gemüse gegessen habe (und ich ihr das glaube), hat sie Belohnungsmacht
über mich.
- Bestrafungsmacht. Wenn ich gerne draußen spielen
gehe und meine Mutter mir sagt, sie läßt mich nicht draußen
spielen, wenn ich nicht vorher das Gemüse gegessen habe (und
ich ihr das glaube), hat sie Bestrafungsmacht über mich.
- Expertenmacht. Wenn ich meinem Freund besondere Kenntnisse
in Philosophie oder auch Fertigkeiten in Badminton zuschreibe, hat
er Expertenmacht über mich.
- Legitimierte Macht. Wenn ich aus irgendwelchen Gründen
glaube, daß der Papst dazu befugt ist, Verhaltensnormen für
mich festzusetzen, hat er legitimierte Macht über mich.
- Informationsmacht. Wenn Günther weiß, daß
meine Freundin fremdgegangen ist (und dies für mich interessant
ist), dann hat Günther Informationsmacht über mich.
Nun,
wo wir wissen, was Macht ist, fällt es nicht schwer zu sagen,
was das Machtmotiv ist: Es ist die allgemeine Tendenz einer
Person, andere zu beeinflussen, oder auch: Macht auszuüben.
Ein ausgeprägtes Machtmotiv muß also nicht unbedingt
der haben, der viel Macht hat, sondern der, der seine Macht zur
Geltung bringen will.
Welche
Merkmale haben Menschen, die ein ausgeprägtes Machtmotiv haben?
Was korreliert also mit der Eigenschaft "Machtmotiv"?
Nach der Untersuchung von Winter aus dem Jahre 1972 sind es so unterschiedliche
Dinge wie das Innehaben von Verwaltungsämtern, der Besitz von
Prestigegütern, ein exploratives Sexualverhalten, das Lesen
von Sport- und Sex-Magazinen sowie Alkoholkonsum (wohl weil dieser
bekanntlich zu einem gesteigerten Gefühl eigener Wirksamkeit
führt).
Wer also demnächst im BaFög-Amt einen Mercedes
fahrenden, Bier trinkenden, den Playboy lesenden und seine Mitarbeiterinnen
anmachenden Beamten vorfindet, der kann ihn ungestraft "machtmotiviert"
nennen...
Nun
wollen wir unsere oben begonnen Überlegungen erweitern und
ein deskriptives Modell des Machthandelns aufstellen. Wie
verläuft also der gesamte Komplex des Machthandelns?
1.
Machtmotivation von A
Die Person A hat ein Bedürfnis, das nur mit Hilfe von B befriedigt
werden kann. Nehmen wir das provokante und daher einprägsame
Beispiel "Sex". Um das Bedürfnis nach Sex zu befriedigen,
wird das Machtmotiv aktiviert. Macht ist hier also instrumentell;
sie dient zur Erreichung eines anderen Ziels.
Gibt
es nicht aber auch Situationen, in denen die Macht an sich
das Ziel einer Person ist? Oder was meinen wir sonst, wenn wir sagen,
Gerhard Schröder sei ein "Machtmensch"? Ebenso ist
die Ansicht verbreitet, Vergewaltiger handelten nicht so sehr um
der sexuellen Befriedigung, sondern um des berauschenden Machtgefühls
willen. Auch all die Menschen, die wir Sadisten oder Gewaltverbecher
nennen, spiegeln uns dasselbe vor wie die tausenden Schüler,
die sich jeden Tag auf Deutschlands Schulhöfen balgen: Die
Ausübung von Macht an sich ist - für viele Menschen zumindest
- etwas Erstrebenswertes.
A teilt B also mit, daß B etwas machen soll, in unserem Beispiel:
mit A schlafen.
2.
Widerstand (oder schon Einwilligung) von B
B ist am Zug: Stimmt er dem Verlangen von A zu, kommt es zu keiner
weiteren Machtausübung. Widersetzt sich B jedoch, geht die
Machthandlung unter 3. weiter.
Liegt hier schon Machtausübung vor? Wo fängt
Macht an? Es könnte doch sein, daß B ohnehin mit A schlafen
wollte und nur auf seine Initiative gewartet hat bzw. eben durch
sein Anfragen motiviert wurde. Kann man dann schon von Macht reden?
Kann man, muß man aber nicht. Immerhin hat aber A ja in dieser
Situation insoweit die Macht, als er den Zeitpunkt des Geschlechtsverkehrs
bestimmen konnte. Und vielleicht hat ja B schon in der neutralen
Anfrage von A eine spätere Machtausübung antizipiert und
sich daher gleich gefügig gezeigt. Man sollte also durchaus
auch hier schon von Macht sprechen, außer man bezieht sich
explizit auf die subjektive Sichtweise von B, die besagt, daß
dieser selbst zu der von A geforderten Handlung motiviert war.
3.
Abwägung von A über Machtquellen, Hemmungen und Einflußmittel
A überlegt sich nun,
- welche Machtquellen ihm zur Verfügung stehen, um seinen
Willen durchzusetzen, in unserem Beispiel: um mit B zu schlafen.
Dies können persönliche (Intelligenz, Körperkraft
etc.) oder institutionelle (wirtschaftliche, rechtliche etc.)
Machtquellen sein.
- welche Hemmungen er hat, Macht auszuüben bzw. bestimmte
Machtquellen anzuwenden. Hemmungen können z.B. sein: die Furcht
vor einer "Rache" von B, eigene konfligierende Werte,
materielle Kosten.
- welche Einflußmittel verwendet werden. Soll B eher
geduldig überredet werden, soll ihm eher gedroht werden, oder
soll gleich Gewalt angewendet werden?
In
unserem Beispiel könnte A persönliche
Machtquellen
zur Geltung bringen: er könnte mittels Intelligenz B durch
zuckersüße Komplimente verführen; er könnte
seine Schönheit darbieten, der B nicht widerstehen kann; er
könnte körperlich Gewalt anwenden. Dabei spricht A, je
nach Machtquelle, unterschiedliche Motivbasen von B an: im ersten
Fall vertraut er auf Bs Bedürfnis nach Romantik, im zweiten
Fall nach Schönheit, im dritten Fall nach körperlicher
Unversehrtheit. Dabei muß A auch bedenken, welche Folgen sein
Machthandeln haben könnte. Wählt er die dritte Variante,
muß er damit rechnen, daß B nie mehr wieder mit ihm
zusammen sein will, ja womöglich - in Folge der Vergewaltigung
- rechtliche Macht über ihn erhält.
Damit wären wir bei den institutionellen Machtquellen:
Nehmen wir an, A und B leben in einer Gesellschaft, in der sich
B gesetzlich wegen seines Geschlechts A als Sexualpartner zur Verfügung
stellen muß. Dann könnte A diese rechtliche Machtquelle
für sich einsetzen. Klingt abwegig? Bis vor einigen Jahrzehnten
war es in unserer Gesellschaft zumindest noch üblich, daß
in der Ehe der Mann über wirtschaftliche Macht gegenüber
der Frau verfügte. Er konnte somit der Frau bei Widerstand
mit der Scheidung und somit mit dem wirtschaftlichen Ruin drohen.
Am
Ende des Abwägungsprozesses steht also die Entscheidung: Entweder
setzt A nun mittels bestimmter Einflußmittel seine Machtquellen
ein, oder er läßt es bleiben (weil die Hemmungen zu groß
sind).
4.
Nachgeben (oder weiter Widerstand) von B
Widerum ist B am Zug. Wie reagiert er auf das "Muskelzeigen"
von A? Zeigt er weiterhin Widerstand, beginnt das Abwägen für
A von neuem (siehe 3.-5.). Gibt B jedoch nach und führt die
von A gewünschte Handlung aus, kann A sein Bedürfnis befriedigen.
In unserem Beispiel ist es ethisch etwas problematisch, B in jedem
Fall die Möglichkeit des Widerstands einzuräumen, wenn
A Gewalt anwendet. Immerhin ist Widerstand "theoretisch"
möglich.
5.
Folgen für A
A kann nun sein Bedürfnis befriedigen. Zugleich hat A meist
noch ein wohliges Gefühl des Mächtigseins. Denn so kann
A zuversichtlich sein, daß er sein Bedürfnis auch in
Zukunft wird befriedigen können.
Soweit
die Grundlagen der Erforschung des Machtmotivs. Aus Platzgründen
ist leider keine intensivere Erläuterung - z.B. empirischer
Befunde oder Methoden der Motivmessung - möglich. Wir verweisen
auf die Lehrbücher von Heckhausen und Schneider & Schmalt:
Literaturhinweise:
Heckhausen (1989): Kapitel 12,
insbesondere S.361-372
Schneider & Schmalt (2000):
Kapitel 9, insbesondere S. 251-259
Weiter
mit dem Affiliationsmotiv...
|