Angst
und Ängstlichkeit
Warum
sollte Angst ein Motiv sein? Angst ist doch ein momentaner Zustand
bei einer Person - und keine Klasse von Zielen, zu denen eine Person
hinstrebt. Angst ist doch gerade de-motivierend, d.h. sie führt
dazu, daß etwas nicht
getan wird!
Genau das macht ja den Motivcharakter von Angst aus! Exakter müßte
man das Motiv wohl "Angstvermeidung" oder "Angstbeendung"
nennen, denn das ist ja das Ziel des Verhaltens, das in Folge von
Angst auftritt: Die Angst motiviert dazu, die Angst zu beenden.
Dennoch
bleibt ein Rest von Verwirrung. Denn wir hatten ja in Kapitel 1
ein Motiv als eine Disposition definiert, nach einem wertgeladenen
Zielzustand zu streben. Wo ist hier aber das Ziel? Zumindest ein
äußeres Ziel ist in diesem Fall nicht zu erkennen. Allenfalls
ein inneres Ziel, eben das Nicht-Auftreten von Angst. Wenn dieses
Ziel aber so schwer zu beobachten ist, wie soll man dann das Verhalten
ausmachen, das auf dieses Ziel hin gerichtet ist, das "Angstvermeidungsverhalten"
also? Kann man nicht alles Verhalten so verstehen, daß Angst
vermieden werden soll? Daß ich hier gerade ruhig auf dem Stuhl
sitze, ist somit insofern ein Angstvermeidungsverhalten, als ich
vermeide, aus dem Fenster zu klettern und Angst zu haben...
Aber
genug der Grübelei. Halten wir einfach mal fest, daß
Angst etwas ist, daß uns zu bestimmten Handlungen motiviert.
Diese Handlungen sind nicht so sehr inhaltlich miteinander verbunden,
sondern sind eher dadurch gekennzeichnet, daß eine unsichere
Situation vermieden wird auf Kosten des möglichen Gewinns,
den diese Situation mit sich hätte bringen könnte: Wird
eine Prüfung aus Angst vermieden, bringt man sich um die Chance
einer Befriedigung des Leistungsmotivs. Wird der Kontakt mit einer
fremden Person vermieden, bringt man sich um die Chance einer Befriedigung
des Neugiermotivs und des Affiliationsmotivs etc.
Somit
ist Angst ein sinnvoller Regulator des Organismus, ein Schutz vor
zu großer Gefahr. Wie aus dem Alltagsleben bekannt, haben
aber manche Menschen mehr, andere weniger das Bedürfnis, sich
vor Gefahren zu schützen. Am leichtesten ablesbar ist dies
an den Versicherungen, die Menschen abschließen, aber auch
am Ernährungsverhalten, am Verhalten im Straßenverkehr,
an der Börse etc. etc. (Nicht umsonst ist die Bezeichnung "Risikogesellschaft"
in aller Munde - erst recht nach dem "11. September"...)
Eine
Person, die leicht dazu tendiert, Angst zu haben, kann man demnach
als "ängstlich" bezeichnen. Ängstlichkeit
als Motiv läßt sich somit als "Tendenz zu Angstvermeidungsverhalten"
verstehen. Dieses Motiv wollen wir folgenden näher analysieren.
Noch
ein Wort zur Unterscheidung von Angst und Furcht (oder auch Ängstlichkeit
und Furchtsamkeit). Im Alltag verwenden wir beide Begriffe synonym.
In der Psychologie wird häufig - eher vage - unterschieden
zwischen einer eher unspezifischen, allgemeinen Angst und einer
auf ein konkretes Objekt gerichteten Furcht. Hier spielt auch meist
implizit die Unterscheidung zwischen irrational und rational mit:
Wenn man im Urwald vor einem Tiger wegläuft, hat man Furcht,
bei Gewitter dagegen hat man Angst. Bei Furcht fällt die Antwort
auf die Frage "Wovor?" in der Regel leicht, bei Angst
dagegen schwer.
Meist wird aber einfach - wie auch im folgenden - "Angst"
als Oberbegriff verwendet. Dementsprechend spricht man z.B. von
Prüfungsangst
und nicht von Prüfungsfurcht
- obwohl deren Objekt - die Angst vor Mißerfolg in der Prüfung
- etwas sehr Konkretes ist.
Triebtheoretische
Beiträge
Wichtige
Beiträge zur Ängstlichkeitsforschung haben Janet Taylor
und Kennth Spence beigesteuert. Sie versuchen in ihren Untersuchungen,
die in Tierexperimenten entwickelte Triebtheorie von Hull (vgl.
Kapitel 2) für die humanpsychologische Forschung nutzbar
zu machen.
Nach
Hull fließen alle momentan existenten Bedürfniszustände
bei einer Person zu einem allgemeinen Trieb zusammen, der zusammen
mit der Gewohnheitsstärke (Anzahl der verstärkten Reiz-Reaktions-Verbindungen)
die Auftretenswahrscheinlichkeit einer Reaktion auf einen Reiz bestimmt.
Taylor und Spence griffen sich nun einen dieser potentiellen Bedürfniszustände
heraus, eben die momentane Angst in der Situation. (Die anderen
möglichen Bedürfniszustände ließen sie in ihren
Experimenten konstant.)
Nun
induzierten sie ihren Probanden aber keine Angst, indem sie sie
etwa mit angstauslösenden Reizen konfrontierten, sondern erfaßten
ihre Ängstlichkeit.
Dies erfolgte mit Hilfe eines Fragebogens, der "Manifest Anxiety
Scale" (MAS).
Die Frage war nun, welchen Einfluß Ängstlichkeit für
das Lösen von leichten und schweren Aufgaben hat. Hulls Theorie
macht dafür folgende Vorhersage: Weil Trieb und Gewohnheitsstärke
multiplikativ verknüpft sind, ist eine hohe Triebstärke
dann förderlich für das Lösen von Aufgaben, wenn
die richtige Lösung wahrscheinlicher ist, d.h. bereits recht
gut gelernt wurde. Dies ist bei "leichten" Aufgaben der
Fall. Je höher die Ängstlichkeit also, desto mehr wird
das Lösen von leichten Aufgaben gesichert. Eine geringe Triebstärke
dagegen ist bei leichten Aufgaben nicht förderlich - wohl aber
bei schweren: Hier ist die richtige Lösung eher unwahrscheinlich
und wird durch die multiplikative Wirkung der Triebstärke immer
unwahrscheinlicher, je größer die Triebstärke ist.
Besser ist hier dementsprechend eine geringe Triebstärke.
Kurz:
Hulls Theorie macht die Vorhersage,
- daß ängstliche Personen bei leichten Aufgaben besser
abschneiden als nicht-ängstliche und
- daß nicht-ängstliche Personen bei schweren Aufgaben
besser abschneiden als ängstliche
Diese
Vorhersagen konnten in Aufgaben verschiedenster Art (vom Lernen
von Lidschlagreflexen auf Signalwörter bis zu komplexen Problemlöseaufgaben)
bestätigt werden.
Heißt das aber nun, daß dies ganz unabhängig davon
gilt, ob die Probanden in der Aufgabensituation tatsächlich
Angst haben oder nicht? Man könnte sich ja eine Aufgabensituation
vorstellen, in der selbst die ängstlichste Person keine Angst
hat, z.B. wenn kein sozialer Druck aufgebaut wird, die Person die
Aufgabe nur für sich und zum Spaß löst. Zeigen sich
selbst dann die erwähnten Effekte? Oder zeigen sie sich nur
in bedrohlichen Situationen, wenn also Anlaß zur Angst besteht
(sei er auch noch so klein).
Die
erste Möglichkeit nannte man "chronische Hypothese",
die zweite "reaktive Hypothese". Die erste betont
eher den Einfluß der Disposition (trait) zu Angst (=Ängstlichkeit),
die zweite eher den Einfluß des aktuellen Zustands (state)
der Angst. In den 70er Jahren führte Spielberger mittels seines
noch heute wichtigen Tests "State-Trait-Anxiety-Inventory"
(STAI) empirische Untersuchungen zu dieser Frage durch. Diese gingen
eher zugunsten der reaktiven Hypothese aus. Ängstliche Personen
sind also nicht in dem Sinne ängstlich, daß sie immer
etwas ängstlicher sind als Nicht-Ängstliche, sondern sie
sprechen einfach stärker auf angstrelevante Reize an.
Im
Umkehrschluß müssen aber auch die als bestätigt
geglaubten Hypothesen auf der Basis von Hulls Theorie neu überdacht
bzw. korrigiert werden: Ängstliche Personen haben nicht durch
die Aufgabenschwierigkeit an sich Probleme mit den Aufgaben, sondern
die Schwierigkeit (im Sinne von wahrgenommer Komplexität) ist
es, die meist zu Angst in der Situation führt. Soll heißen:
Ängstlichkeit ist nicht entscheidend, sondern der aktuelle
Angstzustand.
Dies
wird durch einen interessanten Befund von Spielberger untermauert.
Ängstliche sind hiernach sogar nur solchen Situationen gegenüber
besonders angstvoll, die mit dem Selbstwertgefühl oder sozialem
Ansehen in Verbindung stehen. In Konfrontation mit physischen Bedrohungen
reagieren sie dagegen ebenso angstvoll wie die Nicht-Ängstlichen.
Was wir allgemein mit "Ängstlichkeit" bezeichnen,
existiert somit genaugenommen nur als spezifische "Selbstwertängstlichkeit".
Alles klar? Wenn nicht, dann probier es mit der Darstellung von
Heckhausen (1989), S.220-224.
Hier findet sich auch die Bechreibung einer weiteren wichtigen Studie
zur Ängstlichkeit, nämlich der von Mandler und Saranson
(1952).
Literaturhinweise:
- Heckhausen (1989), S.220-224
- Schneider & Schmalt (2000):
Teile aus Kapitel 7
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mit Aggression...
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