Verlaufsmodelle
der Motivation
Wie
läuft das eigentlich ab, wenn wir uns für eine Handlung
entschließen? Kann man das irgendwie beschreiben?
Erlebnisdeskriptives
Modell
Wir
wollen zunächst versuchen, unser eigenes Erleben zu beschreiben,
und zwar am Beispiel des motivierten Trinkens. Wir folgen dabei
der Darstellung von Graumann (1969). Wir versprechen uns davon,
aus solch einem Versuch Informationen zu bekommen, die wir nicht
erhalten würden, wenn wir uns auf reine Verhaltensbeobachtung
beschränken würden.
Unsere
Frage lautet also: Wie verläuft eine motivierte Handlung (Beispiel:
Trinken) aus der Perspektive des Handelnden (erlebnisdeskriptiv)?
Der Übersichtlichkeit wegen teilen wir unser Erleben in fünf
Phasen auf:
1.
Erleben/Empfinden eines Mangels
Ich habe Durst. Wie soll man das weiter beschreiben? Ich habe eine
"trockene Kehle". Das, was der beobachtende Psychologe
vielleicht als "Deprivation" bezeichnen würde (womit
der längere Entzug von Trinkbarem gemeint ist), ist für
mich einfach Durst. Ich habe eben das Bedürfnis zu trinken.
Basta.
2.
Antizipation einer Mangelbeseitigung durch bestimmte Handlungen
Ich stelle mir ein bestimmtes Getränk vor, das meinen Durst
beseitigen könnte. Ich überlege, wo sich ein solches befindet
und welche Handlungen nötig sind, um es zu bekommen. Ich könnte
zum Kiosk gehen und mir eine Cola kaufen! Oder ich gehe einfach
zwei Schritte zum Wasserhahn! Ich komme zu dem Schluß, daß
dasjenige Getränk, das sowohl durstlöschend als auch relativ
gut erreichbar ist, die Milch im Kühlschrank ist.
3.
Instrumentelles (vorbereitendes) Handeln
Ich gehe zum Kühlschrank, schenke die Milch ein etc. (Es könnte
natürlich auch sein, daß ich bei dieser Gelegenheit überrascht
feststelle, daß sich auch eine Cola im Kühlschrank befindet.
Vielleicht ändere ich dann meinen Plan...)
4.
Konsumatorisches Verhalten (Endhandlung)
Ich trinke.
5.
Zustand der Sättigung
(Gefühl der Befriedigung)
Ich fühle ein angenehmes Gefühl der Sättigung. Und
keinen Durst mehr.
Diese
Darstellung erhebt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Aber sie verschafft doch einen Eindruck davon, wie unser Handeln
- zumindest bei solch einfachen Problemen! - funktioniert: Wir stellen
einen Mangel oder ein Problem fest und überlegen uns Maßnahmen
(einen "Plan") zu dessen Beseitigung. Dann führen
wir mehrere kleine Handlungsschritte (eben diesen "Plan")
aus, die alle der eigentlichen Beseitigung des Mangels dienen: Erst
muß ein Glas genommen werden, eingeschenkt werden etc. etc.,
bis der Trinkvorgang beginnen kann.
Rubikonmodell
der Handlungsphasen
So
weit also eine erlebnisdeskriptive Grobübersicht über
motiviertes Handeln. Wie kommt es aber nun ganz konkret zum Beginn
der Handlung? Wie sieht also der Übergang zwischen Phase 2
und Phase 3 aus? Wie wird aus dem Feststellen, daß man etwas
tun könnte, auch tatsächlich die entsprechende Handlung?
Über diese Fragen gibt das sogenannte Rubikonmodell
der Handlungsphasen
von Heckhausen aus dem Jahre 1987 Auskunft. Es verwendet zum einen
die im vorigen Abschnitt eingeführten theoretischen Kernbegriffe
der Motivationspsychologie, zum anderen aber auch Begriffe für
die zugehörigen Bewußtseinslagen. Anhand letzterer ist
eine lose Verbindung zum vorigen rein erlebnisdeskriptiven Modell
zu erkennen.
Die
folgende Tabelle gibt einen Überblick über die vier Phasen.
Die "Phase 0" ist von mir der Übersichtlichkeit wegen
hinzugefügt worden! Die einzelnen Phasen werden im folgenden
näher erläutert.
Phase |
0 |
1 |
2 |
3 |
4 |
Bewußtseins-
lage |
Wünschen |
Abwägen,
Wählen |
Planen |
Handeln |
Bewerten |
Kriterium |
Valenz! |
Valenz
x Erwartung! |
Realisierung! |
Ausführung! |
Valenz
x Erwartung! |
Name
der Phase |
|
prädezisional |
präaktional |
aktional |
postaktional |
Bereich |
(Motiv) |
Motivation |
Volition
|
Motivation |
Ende
der Phase |
|
Fazit,
Rubikon, Intentionsbildung |
Fiat-Tendenz |
Handlungs-
ergebnis
|
Ausblick
in die Zukunft |
1.
Motivationale Phase des Wünschens und Wollens
Viele mögliche Wünsche (die von Motiven "erzeugt"
worden sind) werden bezüglich ihres Werts und ihrer Erwartung
abgewogen. Am Ende der Phase wird ein Wunsch ausgewählt, den
man in eine Handlung umsetzen will. Dies bezeichnet man als Intentionsbildung.
Diese ist quasi das Fazit der Phase; außerdem bezeichnet man
diesen Punkt, wo der Wunsch zur Intention (Absicht) wird, als Rubikon
(nicht im Sinne eines Point-of-no-return, sondern als jähes
Ende
des Abwägens,
siehe nächste Phase).
Die Bewußtseinslage des Abwägens ist gekennzeichnet durch
Rationalität,
d.h. es werden möglichst viele Informationen herangezogen,
um alle Handlungsfolgen realistisch abschätzen zu können.
Die Intentionsbildung erscheint bewußtseinsmäßig
als "Entscheidung".
2.
Präaktionale Volitionsphase des Planens
Zwischen der Intentionsbildung und der Handlungsausführung
steht eine Phase des Planens. Es wird nun nicht mehr abgewogen,
sondern der einmal gefaßte Entschluß wird als selbstverpflichtend
erlebt und daher nicht mehr umgestoßen. Statt dessen wird
überlegt, wie der gefaßte Entschluß am besten umgesetzt
werden könnte: Es werden nun also ganz konkrete, von der Zielintention
abgeleitete Absichten gebildet. Diese hierachische Beziehung zwischen
"Endzweck" und "Mitteln" ist uns aus dem erlebnisdeskriptiven
Modell vertaut!
Die Bewußtseinslage ist nun nicht mehr realitätsorientiert,
sondern realisierungsorientiert:
Es werden also eher Hinweise wahrgenommen, die das Ziel positiv
und wahrscheinlich erscheinen lassen. Beispiel: Wenn ich einmal
angefangen habe zu arbeiten, wird meine Wahrnehmung dahingehend
verzerrt, daß ich glaube, am Ende erfolgreich zu sein. Das
ist auch durchaus sinnvoll; denn sonst würden mich ja die kleinsten
Rückschläge immer gleich mit der Arbeit aufhören
lassen!
3.
Aktionale Volitionsphase (Handlungsausführung)
Sie beginnt mit der von der präaktionalen Phase ausgelösten
Fiat-Tendenz
(Entschluß, mit der Handlung jetzt zu beginnen). Die Volitionsstärke
(also der Grad der "Selbstverpflichtung") jener Phase
bestimmt die Anstrengungsbereitschaft. Gibt es zu einem Zeitpunkt
mehrere Zielintentionen, wird diejenige mit der größten
Volitionsstärke gewählt.
Die Bewußtseinslage ist im Idealfall "aktional",
also man führt die Handlung aus, ohne weiter nachzudenken oder
zu zweifeln ("Flow-Erleben").
4.
Postaktionale Motivationsphase des Bewertens
Es wird die Frage bewertet, ob das Zielstreben erfolgreich war.
Das hängt erstens davon ab, ob das Ziel erreicht worden ist
(was meist leicht festzustellen ist, es sei denn, man das Ziel nicht
eindeutig definiert) und zweitens, ob der tatsächliche Wert
des Ziels dem prädezisional erwarteten Wert in etwa entspricht.
Hat sich das Ziel z.B. als doch nicht so attraktiv erwiesen, dann
kann diese Erkenntnis für künftige Abwägeprozesse
nützlich sein.
Es herrscht eine bewertende
Bewußtseinslage vor: Man stellt attributionspsychologische
Überlegungen an; Gefühle wie Freude, Stolz, Enttäuschung
oder Ärger entstehen, die zu neuen Handlungen anregen.
Soweit
also dieses allgemeine Modell, das sich zur Erklärung einiger
motivationspsychologischen Befunde als nützlich erwiesen hat.
Nun kann man aber auch fragen, inwieweit es intra- und interindividuelle
Unterschiede im Abwägen, Planen, Handeln und Bewerten gibt.
Am bekanntesten ist hier die Unterscheidung von Kuhl aus dem Jahr
1983: Er spricht von Handlungsorientierung, wenn
- nach der Intentionsbildung schnell mit der Handlung begonnen wird
und
- nach einer fehlgeschlagenen Handlung zügig mit dem Planen
einer anderen begonnen wird.
Lageorientierung liegt dagegen dann vor, wenn
- lange mit der Umsetzung der Intention gezögert wird und
- nach einer fehlgeschlagenen Handlung viel gezweifelt und zurückgeblickt
wird und häufig die fehlgeschlagene Handlung letztenendes doch
wiederholt wird.
Kuhl
verwendet diese Begriffe jedoch auch als Persönlichkeitsmerkmale:
Er stellt lageorientierte Menschen handlungsorientierte Menschen
gegenüber, d.h. nach seinen empirischen Studien gibt es Menschen,
die überwiegend handlungsorientiert sind, und andere, die überwiegend
lageorientiert sind.
Die
wichtigsten
Punkte des Rubikon-Modells
hier
noch einmal in Kürze:
1. Die Erwartungs-Wert-Rechnung (Motivation) kann nur entscheiden,
welche Handlungsalternative ausgewählt wird. Die Volitionsstärke
dagegen bestimmt, wie sehr man sich beim Ausführen der Handlung
anstrengt/bemüht bzw. ob man die intendierte Handlung überhaupt
realisiert.
2. Die Phase des Abwägens (Motivation) wird eindeutig getrennt
von der Phase des Planens (Volition)! So kann das Modell erklären,
warum Hindernisse beim Handeln nicht zum sofortigen Abbruch der
Handlung führen (weil z.B. der Faktor "Erwartung"
gesunken ist), sondern mit noch größerer Anstrengung
beantwortet werden: eben weil die Volitionsstärke (Selbstverpflichtung)
entscheidend ist!
Das
Rubikon-Modell hat in letzter Zeit in der Klinischen Psychologie
an Bedeutung gewonnen. Der Entschluß zu einer (therapeutischen)
Verhaltensänderung wird hierbei analog zu den Rubikon-Phasen
konzipiert und dementsprechend vorbereitet.
Im
nächsten Abschnitt beschäftigen wir uns mit naiven Verhaltenserklärungen...
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