Grundbegriffe
und Grundfragen
In
diesem Abschnitt beschäftigt uns die Frage, welche Begrifflichkeiten
sich die Motivationspsychologie geschaffen hat und welche Fragen
sie damit zu beantworten versucht.
Begriffe
wie "Motiv" und "Motivation" kennen wir aus
der Umgangssprache. Könntest du definieren, was sie bedeuten?
Wahrscheinlich nicht so leicht. Damit wir alle das gleiche unter
diesen Begriffen verstehen, müssen wir sie möglichst eindeutig
definieren.
Motiv
Ein
Motiv ist eine Disposition, nach einem bestimmten wertgeladenen
Zielzustand zu streben. Ein Motiv ist also kurz gesagt eine Wertungsdisposition:
Wenn ich dazu tendiere, meine Aktivitäten häufig nach
dem Ziel auszurichten, gute Leistungen (z.B. in Schule und Beruf)
zu erbringen (und somit Leistung als etwas Positives bewerte)
kann man bei mir von einem "Leistungsmotiv" sprechen.
Ein Motiv ist somit eine überdauernde Handlungsbereitschaft
bei einer bestimmten Person. Unter "Motiv" lassen sich
verwandete Konzepte wie "Instinkt", "Trieb",
"Bedürfnis" oder "Interesse" subsumieren,
von denen die ersten beiden unten ausführlicher beschrieben
werden.
Damit sollte auch klar geworden sein, daß in der Motivationspsychologie
der Begriff "Motiv" etwas abstrakter gefaßt wird
als im Alltag, wo mit dem "Motiv" des Täters sein
konkreter Beweggrund gemeint ist, z.B. das Erbe des Vaters zu bekommen.
Neben
dem schon erwähnten Motiv nach Leistung kann man natürlich
noch viele andere unterscheiden, z.B. nach Aggressivität, Sexualität,
Hunger, Hilfe, Macht, Anschluß. Dies ist eine erste Grundfrage
der Motivationspsychologie: die sogenannte Motivklassifikation.
Hier geht um die Frage, wie viele und welche Motive es gibt.
Eine weitere Frage ist die der (ontogenetischen) Entwicklung
von Motiven: Wie "lernt" ein Kind, bestimmte Dinge
zu wollen? Oder welche "Grundbedürfnisse" sind angeboren?
Nicht weniger schwierig ist die Frage der Motivmessung: Wie
erfaßt man empirisch, ob eine Person z.B. leistungsmotivierter
oder anschlußmotivierter ist als eine andere Person? Motive
sind nämlich nicht direkt beobachtbar, sondern nur erschließbar
durch Beobachtung bestimmter Verhaltensweisen. Ist das Motiv erst
erschlossen, so können Voraussagen gemacht werden über
zukünftiges Verhalten.
Eine vierte Frage, die sich mit Motiven verbindet, ist die der Motivanregung:
Wann wird ein Motiv "aktiv", wann wird die latente Handlungsbereitschaft
auch tatsächlich in Handeln umgesetzt, oder genauer: Wann wird
ein Motiv zur konkreten Motivation?
Motivation
Motivation
ist ein aktueller Prozeß, der durch die Anregung eines
Motivs ausgelöst wird. Während ein Motiv als eine
überdauernde Eigenschaft einer Person definiert wurde, ist
Motivation ein Zustand einer Person zu einem bestimmten Zeitpunkt,
d.h. in einer bestimmten Situation. Daher definiert Graumann Motivation
1969 auch als "Wechselwirkung zwischen motiviertem Subjekt
und motivierender Situation". Heckhausen schreibt 1989: "Motivation
ist eine momentane Gerichtetheit auf ein Handlungsziel, eine Motivationstendenz,
zu deren Erklärung man die Faktoren weder nur auf Seiten der
Situation oder der Person, sondern auf beiden Seiten heranziehen
muß."
Das
Konzept der Motivation wird meist zur Handlungserklärung
heranzgezogen. Motivation wird dann als Produkt von "Erwartung"
und "Wert" aufgefaßt. Mit "Erwartung"
ist die subjektive Wahrscheinlichkeit gemeint, mit der man sein
Ziel erreichen kann. Mit "Wert" ist die subjektiv eingeschätzte
Wertigkeit des angestrebten Ziels gemeint. Sprich: Je wahrscheinlicher
mir die Zielerreichung erscheint und je wichtiger mir das Ziel ist,
um so mehr werde ich motiviert sein.
Mit dieser "Rechnung" kann man also erklären, warum
sich eine Person für eine bestimmte Handlung entschieden hat,
eine alternative Handlung dagegen unterlassen hat. Beispiel: Michaela
hat sich für ein Pädagogik-Studium entschieden, obwohl
ihr Interesse für Medizin eigentlich etwas größer
ist. Aber weil sie einen Erfolg im Medizin-Studium als sehr unwahrscheinlich
eingeschätzt hat, hat sie sich doch für Pädagogik
entschieden. In diesem Beispiel hat also die Variable "Erwartung"
letztlich den Ausschlag gegeben.
Volition
Mit
Volition bezeichnet man grob gesagt das, was sich - zeitlich gesehen
- zwischen der Motivation und der Ausführung der Handlung abspielt:
Wenn man gerade motiviert ist, Leistung zu erbringen, muß
man ja erst einmal überlegen, wie
man Leistung erbringen kann: Man muß eine Intention fassen,
d.h. eine konkrete Handlung planen. Außerdem muß man
diese geplante Handlung auch in die Tat umsetzen, man muß
sich "aufraffen" und beginnen. Motiviert kann man zu vielem
sein - aber ob und wann man der Motivation auch nachkommt, ist eine
ganz andere Frage.
Volition definiert dementsprechend Heckhausen 1989 als "Bildung
einer Intention sowie die postintentionalen Phasen vor und nach
einer Handlung". Volition entspricht in etwa dem, was wir im
Alltag als "Willenskraft" bezeichnen.
Handlung
Nun
wollen wir aber endlich erläutern, was wir mit dem Begriff
"Handlung" meinen. Was ist der Unterschied zwischen Handeln
und Verhalten bzw. zwischen Handlung und Verhaltensweise?
Wenn wir von Verhalten sprechen, kann damit jede äußerlich
beobachtbare Bewegung einer Person gemeint sein. Der so verwendete
Begriff des Verhaltens hat seinen Ursprung im Behaviorimus, der
sich ja - in seiner radikalen Form - nur mit den äußerlich
beobachtbaren Veränderungen des Menschen befaßte. Streng
genommen sollte man demnach bei der Beschreibung des Verhaltens
eines Menschen jegliche Interpretation beiseite lassen. Dies wurde
aber in seltensten Fällen durchgehalten: Nach dieser Forderung
wäre ja z.B. nur die Mundbewegungen und Stimmbandschwingungen
Gegenstand der Psychologie, nicht aber die Bedeutung der Worte,
die ein Mensch spricht!
Dennoch ist der Verhaltensbegriff auch heute noch beliebt; man benutzt
ihn aber nicht mehr so radikal, sondern meint den Teil des menschlichen
Tuns, der möglichst
frei von Bewertung und Interpretation zu erfassen ist.
Ganz
im Gegenteil dazu der Begriff der Handlung. Wenn man von
einer Handlung spricht, meint man damit ein zielgerichtetes, absichtsvolles,
subjektiv sinnvolles, bewußt entschiedenes Tun. Aus dem "leichten
Herunterbewegen des Kopfes bei gleichzeitigem kurzen Schließen
der Augen" (=Verhaltensweise) wird ein "Gruß"
(=Handlung). Damit deutet man natürlich in das Verhalten einen
Sinn, eine Absicht hinein, versteht Handeln somit als eine Art Sprache.
Das ist zwar gefährlich; aber wenn man das nicht tut, muß
man sich auf endlose, nichtssagende Bewegungsbeschreibungen gefaßt
machen.
Die
moderne Motivationspsychologie hat sich eindeutig für den Handlungsbegriff
entschieden. Die Begriffe "Motiv" und "Motivation",
so wie wir sie eben definiert haben, beinhalten ja beide schon subjektiv
vorhandene Ziele. Kurz: Ein Verhalten kann (in diesem modernen Sinne!)
nicht motiviert sein, sondern nur eine Handlung. Oder anders: Eine
Verhaltensweise kann nicht durch Ziele erklärt werden, sondern
nur durch Mechanismen, die unwillkürlich wirken, wie etwa das
klassische oder operante Konditionieren.
Noch einmal sei betont: Handeln und Verhalten sind nicht etwa parallele
Kategorien von menschlichen Aktivitäten, sondern es handelt
es sich um verschiedene Beschreibungsebenen oder auch Sichtweisen
ein und desselben Gegenstandes.
Weitere
Begriffe
Die
oben genannten vier Begriffe domineren die derzeitige Motivationsforschung.
Dennoch gibt es auch andere Begriffe, die eine lange Tradition zurückblicken
können und immer noch Einfluß haben:
Instinkt.
Als Instinkt bezeichnet man eine Verhaltensdisposition eines Menschen
oder eines Tieres, die ohne vorheriges Lernen besteht und somit
angeboren sein muß. Außerdem muß diese Disposition
zu sinnvollem bzw. zweckhaftem Verhalten führen, d.h. es muß
eine offensichtliche Zielgerichtetheit des Verhaltens vorliegen,
ohne daß dies der ausführenden Person bewußt ist.
Sie "tut instinktiv das Richtige", wie wir auch im Alltag
sagen.
Forscher wie James oder McDougall erstellten Anfang des 20. Jahrhunderts
Instinktlisten: Sie listeten alle Instinkte auf, von denen
sie meinten, daß es sie gäbe. Die Listen wurden ziemlich
lang... Beispiele für Instinkte sind etwa "Nahrungssuche",
"Geselligkeitsstreben", "Angst" oder "Ekel".
Weiterentwickelt wurden diese Ansätze von der Ethologie (=Verhaltensforschung,
nicht zu verwechseln mit Ethnologie!), die versuchte, Befunde an
Tieren auf den Menschen zu übertragen. In der neueren Zeit
kämpft die Soziobiologie oder auch Evolutionäre Psychologie
an dieser Front, recht lautstark, wie häufiges Erscheinen auf
Titelblättern großer Zeitschriften verrät. Die Evolutionäre
Psychologie besprechen wir näher im Modul Emotion, Kapitel
3.
Trieb.
Dieser Begriff ist natürlich eng mit Sigmund Freud verbunden;
er kommt jedoch auch im Behaviorismus häufig vor. Fangen wir
aber mit Freunds Triebbegriff an.
Freud dachte sich den Trieb als psychophysisches Konzept: Der Trieb
geht zwar vom Körper aus, hat also eine organische Quelle,
das Objekt und das Ziel des Triebes liegt dagegen im Bereich des
Psychischen (also Bewußten, Vorbewußten oder Unterbewußten).
Mehr dazu im Kapitel 2.
Der Behaviorismus sieht Triebe hingegen als objektiv nachweisbare
organismische Bedürfnisse. Der Organismus beseitigt also von
sich aus - ohne psychische Vermittlung - auftretende Mangelszustände
bezüglich z.B. Essen, Trinken, Kälte, Wärme, Atemluft,
Schlaf, Sexualität etc. Diese sogenannten "biogenen Triebe"
(oder auch "Primärtriebe") sind angeboren und müssen
somit nicht gelernt werden. Zur Erforschung der biogenen Triebe
setzte man konsequenterweise nur objektive physiologische Meßintrumente
ein. Auch hierauf werden wir in Kapitel 2 näher eingehen.
Wie
hängen die vier eingangs erwähnten Grundbegriffe - Motiv,
Motivation, Volition und Handlung - nun miteinander zusammen? Kann
man sie sinnvoll in einen zeitlichen Ablauf bringen? Eine mögliche
Antwort hierfür stellen wir im nächsten Abschnitt vor...
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