2.3
Attributionale Theorien
Nehmen
wir an, ich gebe eine Hausarbeit ab und werde kurze Zeit später
von dem betreuenden Dozenten für deren überragende Qualität
beglückwünscht. Das macht mich zufrieden. Vielleicht sogar
glücklich. Macht es mich aber auch stolz?
Das kommt ganz darauf an, ob ich die Qualität der Arbeit mir
selbst zuschreibe. Wenn ich der Meinung bin, daß mein Dozent
die Arbeit mißverstanden hat und etwas reingelesen hat, was
gar nicht gemeint war, oder wenn ich die Arbeit vielleicht gar nicht
selber geschrieben habe, werde ich wohl kaum stolz sein können.
Denn stolz kann man nur auf etwas sein, was man für die eigene
Leistung hält...
Stolz
ist - ebenso wie etwa Scham oder Schuld - ein gutes Beispiel für
Emotionen, die von komplexen Denkvorgängen, sogenannten Kausalatrributionen
abhängen. Wir haben Kausalattribution auch schon bei der Theorie
von Schachter (Kap.2.2)
kennengelernt. Bei den sogenannten attributionalen Emotionstheorien,
die wir im folgenden behandeln werden, sind aber andere Kausalattributionen
gemeint als bei Schachter:
- Bei
Schachter kommen Kausalattributionen lediglich als Verknüpfung
zwischen Situationseinschätzung und physiologischer Erregung
vor: Der physiologischen Erregung werden Ursachen zugeschrieben.
- Bernard Weiner, ein Vertreter der attributionalen Theorien,
sieht dagegen physiologische Erregung als nicht notwendig für
die Emotionsentstehung an. Bei Weiner geht es darum, daß ganz
allgemein Ereignissen in der Umwelt Ursachen zugeschrieben
werden. Erst diese Art von Kausalattribution macht, so Weiner, Emotionen
möglich.
Auch
Schachter hatte ja schon, außer den Kausalattributionen auf
physiologische Erregung, andere Kognitionen postuliert, die vor
der Emotion stattfinden: Wir hatten sie in Kapitel
2.2 als "emotionsrelevante Bewertung der Situation"
bezeichnet. Dem entsprechen nun bei Weiner die Kausalattributionen
auf Umweltereignisse - mit dem wichtigen Unterschied, daß
Weiner im Gegensatz zu Schachter diese Kognitionen inhaltlich näher
spezifiziert. (Zu diesen Spezifizierungen kommen wir im folgenden
Abschnitt.)
Lassen
sich denn aber für alle Emotionen solche Attributionen finden?
Wie ist z.B. meine Attribution verlaufen, wenn ich über das
Lob meines Dozenten einfach nur glücklich bin?
Diese Fragen deuten schon an, daß der attributionale Ansatz
primär für "komplexe" Emotionen sinnvoll erscheint,
also für solche, die schwierige kognitive Vorgänge voraussetzen.
Beispiele sind die schon oben erwähnten Fälle von Stolz,
Scham oder Schuld, aber auch Ärger oder Mitleid.
Kennzeichen solcher "komplexer" Emotionen ist auch,
daß sie, so glauben wir zumindest, nicht von kleinen Kindern
oder von Tieren empfunden werden können, weil diese nicht über
die Fähigkeit zu den notwendigen Kognitionen verfügen.
Hier
stoßen wir wieder auf die wichtige Frage der Emotionspsychologie,
ob Emotionen eher körperliche oder eher geistige Zustände
sind. Wenn wir Schachter und Weiner gegenüberstellen, so deutet
sich in dieser Frage ein Kompromiß an: Schachter vertritt
für "grobe", "nicht-komplexe" Emotionen
(wie Angst, Freude, Trauer) den körperlichen Pol, Weiner dagegen
kann (wie er auch selbst einräumt) mit seiner kognitiven Theorie
am besten "komplexe" Emotionen erklären und vertritt
somit für sie den geistigen Pol.
Dies
spiegelt unser Alltagsverständnis ganz gut wider: Angst können
wir uns ohne die unangenehmen körperlichen Empfindungen kaum
vorstellen. Angst erscheint uns aufgrund dieser unwillkürlich
auftretenden Symptome auch wenig kontrollierbar. Stolz dagegen hat
eher wenige körperliche Symptome, er erscheint uns "rein
geistig" und somit recht leicht kontrollierbar.
Auch wenn die meisten Theoretiker heute dem körperlichen Pol
nur noch wenig Bedeutung beimessen, ist gerade in der Gegenüberstellung
verschiedener Emotionen der Konflikt zwischen beiden Polen weiterhin
lebendig.
Eine solche Gegenüberstellung hat auch zur Folge, daß
es mehr und mehr Theorien gibt, die sich nur auf bestimme Emotionen
beziehen, und weniger allgemeine "Emotionstheorien" wie
die, die wir in diesem Kapitel besprechen.
In
diesem Abschnitt nehmen wir uns vor allem die Theorie
von Bernard Weiner vor.
Danach erörtern wir ein Beispiel für die Anwendung der
Theorie in der Praxis: Es geht um den Rückschluß von
Emotionen auf Attributionen in der Schüler-Lehrer-Interaktion.
Zum Schluß beschäftigen wir uns noch, im Rahmen eines
kleinen Resümees, mit der Kritik,
die auf Weiners Ansatz erfolgt, und fragen uns, wie Weiners Ansatz
weiterzuentwickeln ist.
Beginnen
wollen wir jedoch mit Weiners Theorie...
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