2.1
Behavioristische Emotionstheorien
In
diesem Abschnitt wollen wir erörtern, was der Behaviorismus
zum Thema Emotion beigetragen hat. Dafür müssen wir aber
zunächst die Frage beantworten, was "der Behaviorismus"
denn überhaupt ist.
Was
ist Behaviorismus?
"Behaviorismus"
nennt man eine Strömung oder auch Denkweise in der Psychologie,
die zwischen 1920 und 1960 beherrschend war, vor allem in den USA.
Wie der Name schon ausdrückt, geht es dieser Bewegung um das
"Verhalten", also denjenigen Gegenstandsteilbereich
der Psychologie, der "intersubjektiv beobachtbar" (also
verschiedenen Beobachtern gleichermaßen zugänglich) ist.
Alles das, was nur der jeweils betroffenen Person zugänglich
ist, alles Erleben also, kann nach Ansicht der Behavioristen nicht
Gegenstand der Psychologie sein.
Warum
diese Einschränkung? Bestreitet der Behaviorismus etwa, daß
es Erleben gibt? Nein, er glaubt nur nicht, daß man
es untersuchen kann!
Diese Ansicht ist nur dann zu verstehen, wenn man weiß, daß
die Behavioristen die Psychologie als Naturwissenschaft betrachten.
Und Naturwissenschaftler müssen ihren Forschungsgegenstand
in objektiven Maßen (in Größe, Gewicht und Zeitdauer)
beschreiben können. Dies kann sicherlich bei Erleben nicht
gelingen, vielleicht aber eher schon bei "sichtbarem"
(d.h. visuell, akustisch etc. meßbarem) Verhalten.
Ein Zitat vom Begründer des Behaviorismus, John Watson, soll
diese Sichtweise verdeutlichen:
"Man
hat das Bewußtsein niemals gesehen, berührt, gerochen,
geschmeckt oder bewegt. (...) Die Behavioristen kamen zu dem Schluß,
daß sie nicht länger damit zufrieden sein konnten, sich
mit Nichtgreifbarem zu beschäftigem. Sie sahen, wie
ihre Bruder-Wissenschaftler Fortschritte machten in Medizin, in
Chemie, in Physik. Jede neue Entdeckung in diesen Gebieten war von
wesentlicher Bedeutung; jedes neue Element, das in einem Labor isoliert
wurde, konnte auch in einem anderen Labor isoliert werden. (...)
Nicht so in der Psychologie."
Man
kann die Forderung nach der "Beschränkung auf Verhalten"
noch genauer differenzieren:
1.
inhaltliche Forderung: Forschungsgegenstand der Psychologie
sind ausschließlich:
- intersubjektiv
beobachtbares Verhalten und
- beobachtbare Umweltgegebenheiten ("Reize", "Stimuli").
2.
methodische Forderung: Introspektion ist keine zulässige
Forschungsmethode, weil sie unzuverlässig ist, lediglich "subjektive
Daten" produziert.
Obwohl
beide Forderungen sehr eng zusammenhängen, ist es doch wichtig,
sie zu unterscheiden. Die inhaltliche Forderung ist die "starke",
d.h. sie ist radikaler als die methodische. Wenn sie befolgt wird,
erübrigt sich eigentlich die methodische.
Andersherum ist es jedoch denkbar, daß die inhaltliche Forderung
aufgegeben wird, die methodische jedoch aufrechterhalten wird: Mittels
Verhaltensbeobachtungen kann z.B. auf bestimmte Denkvorgänge
geschlossen werden. Diesen gemäßigteren Weg ging später
der sogenannte "Neobehaviorismus".
Diesen
Unterschied muß man sich klarmachen: Während der frühe,
sogenannte "klassische" Behaviorismus Begriffe
wie "Gedanke", "Kognition", "Gefühl"
etc. völlig ablehnte, postulierte der Neobehaviorismus
dagegen zwar solche inneren Prozesse, leitete ihr Vorhandensein
jedoch nicht aus dem eigenen Erleben, sondern streng aus Verhaltensbeobachtungen
ab.
Zudem gab man ihnen häufig den etwas abschätzigen Namen
"hypothetische Konstrukte": Man benutzte sie zwar zur
Erklärung von Verhalten, an ihre "Existenz" wollte
man aber doch nicht so recht glauben...
Wir wollen uns hier nur mit dem klassischen Behaviorismus
beschäftigen, weil die Beiträge zur Emotionspsychologie
von dieser Teilströmung, vor allem von Watson, am fruchtbarsten
waren.
Wie
sieht der Behaviorismus Emotionen?
Diese
Frage kommt nach der Lektüre des Obigem wohl etwas seltsam
daher: "Emotionen kommen bei denen doch gar nicht vor"
- wird sich der eine oder andere wohl eben gedacht haben. Das ist
insoweit richtig, als die Erlebenskomponente von Emotionen (siehe
Kap.1.1) nicht vorkommt bzw. nicht vorkommen kann - sie wurde
ja explizit ausgeschlossen.
Wenn
man jedoch Emotionen einfach umdefiniert als Verhaltensmuster, kann
man wieder von "Emotionen" sprechen; das Wort kann sich
ja nicht dagegen wehren.
Warum
läßt man aber "Verhaltensmuster" nicht einfach
"Verhaltensmuster" sein? Weil man sich als Behaviorist
natürlich nicht nachsagen lassen will, Emotionen hätten
im Behaviorismus keinen Platz - oder man gibt zu, daß man
diejenigen Verhaltensmuster meint, die mit dem Emotionserleben einhergehen...
Wir wollen aber im folgenden nicht länger von diesen Inkonsistenzen
im behavioristischen Programm sprechen. Trotz der heute allgemein
akzeptierten Ansicht, daß der klassische Behaviorismus gescheitert
ist, hat er dennoch eine Reihe von interessanten Ergebnissen hervorgebracht.
Man kann also nicht davon sprechen, der Behaviorismus sei "widerlegt",
sondern die Ignorierung von inneren Prozessen hat sich einfach als
nicht fruchtbar erwiesen.
Watsons
Emotionsdefinition
Nun
also endlich zur Definition von Emotion nach Watson:
"Eine Emotion ist ein erbliches Reaktionsmuster, das tiefgreifende
Veränderungen des körperlichen Mechanismus als Ganzem
beinhaltet, insbesondere der viszeralen und der Drüsensysteme.
Mit Reaktionsmuster meinen wir, daß die einzelnen Details
der Reaktion immer dann mit einiger Konstanz (...) auftreten, wenn
der auslösende Reiz dargeboten wird."
In
Abgrenzung zu Instinkten, die obige Merkmale ebenfalls aufweisen,
haben Emotionen nach Watson nicht die Funktion (vgl. Kap.1.2),
eine effektive Auseindandersetzung des Organismus mit seiner Umgebung
zu gewährleisten, sondern, ganz im Gegenteil, sie unterbrechen
und stören organisierte Aktivität, versetzen ihn in einen
"chaotischen Zustand", so daß der Mensch dadurch
"mehr Abwechslung" in seinem Leben erfährt.
Überblick
Was
erwartet dich in den folgenden Abschnitten?
Zuerst
besprechen wir relativ ausführlich die Emotionstheorie
von Watson (in die wir mit seiner Definition eben schon eingeführt
haben) sowie seine empirischen Studien.
Dann
geht es um die von Watson angestoßene Frage, ob Emotionen
beliebig konditionierbar sind: ob also
alle konditionierten Reize zu allen unkonditionierten Reizen gleichermaßen
"passen".
Als
drittes Thema - die sogenannte "Evaluative
Konditionierung" - besprechen wir kurz Untersuchungen,
die das Prinzip des klassischen Konditionierens auf Wortbedeutungen
übertragen.
Zum
Schluß tragen wir einige Kritikpunkte
am behavioristischen Ansatz zusammen, um zu erkennen, was die nachfolgenden
Ansätze besser machen können.
Los
geht's aber erstmal mit Watson...
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