Die
Theorie von Schachter
Ausgangspunkt:
Die Überlegungen Maranons
Wenn
die Theorie von James stimmt, müßte auch die künstliche
Herbeiführung viszeraler Änderungen (z.B. durch Injektion
von Adrenalin) zu Emotionen führen.
Daß dies nicht oder zumindest nicht immer der Fall ist, klang
schon im letzten Kritikpunkt von Cannon an. Jetzt wollen wir kurz
auf den empirischen Beleg hierfür eingehen, den Gregorio Maranon
1924 gab.
Nach
Maranon führt eine Adrenalininjektion meistens nicht
zu Emotionen, sondern lediglich zu einem unbestimmten und "kalten"
Erregungszustand, sogeannten "Als-ob-Gefühlen".
70% der Vpn berichten in etwa so: "Ich fühle mich, als
ob ich Angst hätte - dabei bin ich ganz ruhig". Nur die
restlichen 30% berichten über eine tatsächliche Emotion.
Für
Maranon ist daher die Wahrnehmung von körperlichen Veränderungen
keine hinreichende Bedingung für das Erleben einer Emotion,
wie das in der "Ein-Komponenten-Theorie" von James der
Fall ist. Nach Maranons Zwei-Komponenten-Theorie besteht
eine "vollständige" Emotion daher aus einer körperlichen
Komponente (wie bei James) und einer psychischen Komponente,
die bestimmte Kognitionen beinhaltet.
Diese Kognitionen konnte Schachter in seiner Theorie genauer spezifizieren:
Die
Theorie: Alltäglicher und nicht-alltäglicher Fall
Stanley
Schachter (1964) akzeptierte die Kritikpunkte 2, 3 und 5
von Cannon, vertrat also die Auffassung, daß Empfindungen
körperlicher Veränderungen weder für die Qualitätsunterschiede
von Emotionen verantwortlich sind, noch hinreichend für
eine Emotion sein können.
Die
anderen beiden Kritikpunkte kann Schachter nicht annehmen, weil
er daran festhält, daß die Empfindung körperlicher
Veränderungen notwendig ist für das Erleben von Emotionen
(jedoch nicht hinreichend, wie bei James). Wie bei Maranon muß
eine Kognition über die erregungsauslösende Situation
hinzutreten, damit eine Emotion entstehen kann: "Ein emotionaler
Zustand kann als Funktion eines physiologischen Erregungszustandes
und einer für diesen Erregungszustand passenden Kognition angesehen
werden."
Die
physiologische Erregung (im peripheren Nervensystem) bzw. deren
Empfindung determiniert die Intensität der Emotion.
Ob überhaupt eine und welche Emotion bei Vorliegen physiologischer
Erregung entsteht (Qualität), hängt
allein von der Kognition ab.
Was
ist hier genau mit "Kognition" gemeint? Kognitionen
kommen in Schachters Theorie an zwei Stellen vor: das einemal als
emotionsrelevante Bewertung einer Situation ("diese
Situation ist gefährlich"), das anderemal als Überzeugung
einer Person, daß ihre wahrgenommene Erregung durch jene Situationseinschätzung
verursacht wurde (Kausalattribution).
Das bloße gleichzeitige Vorhandensein von Erregungsempfindung
und Situationseinschätzung reicht für eine Emotion also
nicht aus; es muß zusätzlich eine Verknüpfung bzw.
Kausalattribution (="emotionale Kognition") stattfinden.
Nach
Schachter können Emotionen auf zwei Wegen entstehen, er unterscheidet
einen "alltäglichen Fall" und einen "nicht-alltäglichen"
(seltenen) Fall der Emotionsentstehung:
Abfolge
des alltäglichen Falls |
Abfolge
des nicht-alltäglichen Falls |
Situation
|
Aktivierung
von Wissen um die Situation
|
Emotionale
Einschätzung der Situation
|
|
Physiologische
Erregung
|
Wahrgenommene
Erregung
|
|
Erklärungsbedürfnis |
|
Ursachensuche |
|
Emotionale
Einschätzung der Situation |
Attribution
von Erregung auf die emotionale Einschätzung
|
Emotion
|
Der
alltägliche Fall:
Die Komponenten "physiologische Erregung" und "Kognition"
sind vollständig miteinander verwoben, d.h. diejenige Gegebenheit,
die zur Erregung führt, legt gleichzeitig auch eine Kausalattribution
auf sich selbst nahe.
Genauer: Die Erregungsempfindung wird auf die anfängliche
Situationseinschätzung zurückgeführt: "Ich bin
erregt, weil ich die Situation für gefährlich halte."
Beispiel: Ich befinde mich auf dem Weg zu einer Prüfung. Da
mir die Prüfung wichtig ist, schätze ich die Situation
als potentiell angsterregend ein (=emotionale Einschätzung).
Ich merke, daß mein Körper anfängt zu zittern (=wahrgenommene
Erregung). Ich führe das Zittern auf die potentiell angesterrende
Situation zurück (=Kausalattribution). Daraufhin fühle
ich Angst.
Der
nicht-alltägliche Fall:
Eine Erregungsempfindung, für die die Person keine Erklärung
hat, regt das "Erklärungsbedürfnis" an. Die
Person sucht also nach Ursachen und kann dabei eventuell eine "plausible
emotionale Ursache" finden, auf die sie dann die Erregung attribuiert.
Daher erlebt sie eine Emotion, deren Qualität von der gefundenen
emotionalen Ursache bestimmt wird.
Beispiel: Wieder bin ich auf dem Weg zur Prüfung. Die Prüfung
ist heute nicht so wichtig, nur ein kleiner unbenoteter Test. Kein
Grund sich aufzuregen. Diesmal ist es draußen sehr kalt. Ich
merke, daß mein Körper anfängt zu zittern (=wahrgenommene
Erregung). Das wundert mich. Woran mag das wohl liegen (=Ursachensuche)?
Ist es die Prüfung oder das kalte Wetter? Je nachdem, ob ich
mich nun für die Prüfung entscheide (=emotionale Einschätzung)
oder für das Wetter, empfinde ich infolgedessen Angst oder
nicht.
Das
Experiment von Schachter und Singer
Hiermit
wollen Schachter und Singer 1962 den "nicht-alltäglichen"
Fall empirisch überprüfen.
Drei
Unabhängige Variablen werden variiert:
a.
Physiologische Erregung: Gruppe A wird Adrenalin injiziert,
welches Herzklopfen etc. bewirkt, Gruppe nA wird ein Placebo injiziert.
(Beiden Gruppen wird gesagt, sie bekämen "Suproxin".)
b.
Erklärungsbedürfnis: Die Gruppe kE (aus
A) wird in zutreffender Weise über die Injektionswirkung informiert
und hat daher kein Erklärungsbedürfnis der Erregung, führt
diese also auf das Adrenalin (bzw. Suproxin) zurück. Die Gruppe
E (aus A) hat deswegen ein Erklärungsbedürfnis, weil ihr
keine oder eine falsche Information über die Injektionswirkung
angeboten wird. (Der Gruppe nA wird gesagt, das Suproxin habe keine
Nebenwirkungen.)
c.
Emotionale Kognition: Die Gruppe äV wird mit einer ärgerlichen
Versuchsperson (der in Wirklichkeit ein Vertrauter des Vl ist) zusammengebracht,
die sich über das Experiment beschwert und daher der Vpn nahelegt,
ihre Erregung ebenso auf Ärger zurückzuführen. Die
Gruppe fV wird mit einer fröhlichen Versuchsperson konfrontiert,
soll also seine Erregung auf Freude zurückführen.
Emotionserfassung:
Das Emotionsmaß wurde erstens mittels Verhaltensbeobachtung
(Einwegspiegel) beim Zusammensein mit der Pseudo-Vp festgestellt,
zweitens mittels eines Fragebogens ("Wie ärgerlich
fühlen Sie sich gerade?").
Ergebnisse:
Versuchspersonen, die mit A, E und fV behandelt wurden, sind fröhlicher
als solche, die mit nA, E, und fV (nicht signifikant) oder A, kE,
fV (signifikant) behandelt wurden. Alles klar?
Die Gruppe mit Adrenalininjektion und Erklärungsbedürfnis
ist also fröhlicher als die anderen, weil sie sowohl physiologische
Erregung als auch ein Erklärungsbedürfnis hat.
Gleiches gilt für das Maß an Ärgerlichkeit der Gruppen
mit äV, wobei hier sogar durchgehende Signifikanzen gefunden
werden konnten - allerdings nur bezüglich einer der beiden
Abhängigen Variablen, nämlich der Verhaltensbeobachtung.
Insgesamt konnten die Hypothesen Schachters somit größtenteils
bestätigt werden, jedoch meist nicht von beiden AVs und oft
nur sehr "knapp".
Der
Replikationsversuch von Marshall und Zimbardo
Marshall
und Zimbardo führten 1979 Schachter und Singers Versuch noch
einmal unter etwa gleichen Bedingungen durch. Ihre Ergebnisse widersprechen
deutlich Schachters Theorie: Eine Adrenalininjektion führt
hier zu negativeren emotionalen Zuständen als bei der Placebo-Bedingung,
obwohl die Vpn mit einem fröhlichen Vl-Vertrauten zusammen
waren.
Durch Adrenalin hervorgerufene, unerklärte Erregung weist demnach
nicht die emotionale Plastizität auf, wie sie Schachter behauptete.
Die Erregung ist also nicht durch den Faktor Kognition beliebig
in positive oder negative Richtung ausformbar.
Erregung durch Adrenalin scheint vielmehr stets mit negativem Gefühl
verbunden zu sein, vielleicht deshalb, weil Adrenalin besonders
bei Angst ausgeschüttet wird und somit mit negativen Gefühlen
verbunden wird.
Fehlattribution
Eine
physiologisch erregte Person kann auf vier verschiedene Weisen fehlattribuieren.
Folglich gibt es vier mögliche Konsequenzen von Fehlattribution:
Vermutete Ursache der Erregung |
Wahre
Ursache der Erregung
|
emotional
|
nicht-emotional
|
emotional
|
Veränderung
einer sich sonst ergebenden Emotion |
Herbeiführung
einer sich sonst nicht ergebenden Emotion (wie bei Schachter
und Singer) |
nicht-emotional |
Verhinderung
einer sich sonst ergebenden Emotion; therapeutsich interessant:
Vermeidung von Furcht (siehe Ross) |
Beibehaltung
eines nichtemotionalen Zustands |
Ross,
Rodin & Zimbardo machten 1969 einen interessanten Versuch
zur Verhinderung von Furcht, den wir hier in Kürze wiedergeben
wollen:
Vpn wird gesagt, sie erhielten Stromstöße. Dadurch sollen
physiologische Angstsymptome erzeugt werden. Zusätzlich werden
sie starkem Lärm ausgesetzt. Einer Gruppe wird gesagt, Nebenwirkungen
des Lärms seien jene Angstsymptome (also "beschleunigter
Herzschlag" etc.). Der anderen Gruppe wird gesagt, der Lärm
habe erregungsirrelevante Nebenwirkungen ("Kopfschmerzen"
etc.). Die erste Gruppe wird also zur Fehlattribution verleitet,
die andere Gruppe nicht.
Furcht wurde anhand eines Puzzles operationalisiert, welches die
Vpn lösen sollten, um dem Stromstoß zu entkommen. Die
Hypothese bestätigte sich: Die Fehlattributionierer (Erregung
wegen Lärm) zeigten weniger Furcht als die Richtigattributionierer
(Erregung wegen Furcht).
Eine Alternativerklärung für diesen Versuch schlägt
Leventhal vor: Der Faktor Fehlattribution konfundiert mit dem Faktor
"Richtigkeit der Informationen über Erregungssymptome".
Den Fehlattributionierern wird eine falsche Information, den Richtigattributionierern
eine richtige Information angeboten. Die "Hypothese der
vorbereitenden Information" meint nun also, der Effekt
komme durch diesen anderen Faktor zustande.
Die
Fortführung von Valins
Valins
führte 1966 die eingangs erwähnte "Kognitivierung"
der (kognitiv-physiologischen) Emotionstheorien weiter, indem er
die physiologische Komponente gänzlich infrage stellte:
Weil
wir häufig, so Valins, körperliche Erregung gar nicht
oder fehlerhaft wahrnehmen, ist es nicht diese, die entscheidend
bzw. notwenig ist für die Emotionsentstehung, sondern die Meinung
(bzw. kognitive Repräsentation) darüber, daß man
erregt ist.
Bei Schachter muß Erregung über direkte Wahrnehmung vermittelt
werden, wogegen bei Valins schon der "Glaube" genügt,
man sei erregt.
Der
Versuch, auf den sich Valins stützt, ist dem von Schachter
und Singer sehr ähnlich, nur daß nicht die Erregung UV
ist, sondern die Meinung der Person über ihren Erregungszustand:
Die Vpn blicken auf schöne Frauen und bekommen ihren angeblichen
Herzschlag dabei zu hören. Wenn der Herzschlag beim Anblick
einer Frau sich verändert, sollte diese - so die Hypothese
- nachher als attraktiver bewertet werden. Dies war auch der Fall.
Die Vpn berichten, sie hätten gezielt nach Merkmalen der Frau
suchen müssen, die die Herzratenveränderung erklären
konnten - seien dabei aber fündig geworden.
Dieser
Effekt wies außerdem zeitliche Stabilität (Effekt auch
noch nach vier Wochen) und Änderungsresistenz (bei nachträglicher
Aufklärung keine Bewertungsänderung) auf.
Außerdem
konnte gezeigt werden, daß der Effekt nicht auftritt, wenn
das Foto nur für eine geringe Zeit (5sec.) gezeigt wird und
somit die Vpn keine Chance für die "Ursachensuche"
ihrer Erregung hat.
Ähnlich wie bei Schachters "nicht-alltäglicher"
Emotionsentstehung führt also auch Rückmeldung über
angebliche Erregung zu einer "Ursachensuche". Physiologogische
Erregung ist also, so Valins Schlußfolgerung, nicht notwendig
zur Emotionsentstehung.
Auf
die Kritik an Valins wollen wir hier nicht weiter eingehen. Allgemein
dürfte deutlich sein, daß ein derart spezieller Versuch
kaum ein hinreichender Beleg sein kann für die Annahme, daß
physiologische Erregung keine Rolle bei der Emotionsentstehung spielt.
Wir werden auf diese Frage, wie angekündigt, am Ende es Kapitel
gesondert zu sprechen kommen.
Weiter
geht es mit Mandlers Theorie...
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