Rückschluß
von Emotionen auf Attributionen
Versetzen
wir uns kurz einmal in die Rolle eines Lehrers. Er hat zwei Klausuren
zurückzugeben: Der sonst sehr gute Schüler Christian hat
eine Zwei, der Klassenschlechteste Michael ausnahmsweise mal keine
Fünf, sondern eine Vier. Wie soll man als Lehrer dies kommentieren?
Hier zwei Möglichkeiten:
1.
"Christian, sehr schön, eine Zwei. Weiter so! - Michael,
nur eine Vier. Das muß besser werden!"
2. "Christian, diesmal nur eine Zwei. Das kannst du aber besser.
- Michael, sehr gutes Ergebnis, eine Vier. Weiter so!"
Auf
welche Weise sollte man die Schüler motivieren? Soll man ihre
Leistungen relativ zu ihren bisherigen Ergebnissen einschätzen,
oder soll man die Noten absolut, also losgelöst von
ihrem Träger, einfach in Worten wiedergeben?
Beides
hat Nachteile:
Die relative Kommentierung gibt den Schülern den Eindruck,
über ein bestimmtes Maß an Fähigkeit oder auch "Intelligenz"
zu verfügen, anhand dessen sie bewertet werden. Christian erhält
dann den Eindruck, eine hohe "Intelligenz" zu besitzen,
Michael fühlt sich als weniger "intelligent" bewertet.
Die absolute Kommentierung dagegen geht von gleichen Chancen für
alle aus, alle werden gleich bewertet. Dies führt dazu, daß
Christian immer Lob erhält, während Michael stets getadelt
wird. Christian kommt vielleicht zu dem Schluß, daß
er sich eigentlich gar nicht mehr anzustrengen braucht, weil er
sowieso immer den Anforderungen gerecht wird, und Michael wirft
die Flinte ins Korn, weil er nie den Anforderungen gerecht werden
kann.
Ganz
ähnlich liegen die Probleme, wenn Lehrer mit bestimmten Emotionen
auf Leistungen der Schüler reagieren. Weiner vermutet
nämlich, daß Schüler sehr gut von den Emotionen
des Lehrers auf seine Bewertung ihrer Leistungen zurückschließen
können:
1.
Reagiert ein Lehrer auf eine Leistung mit Ärger, bewertet
er sie negativ und führt sie auf mangelnde Anstrengung zurück.
Denn Ärger macht nur dann Sinn, wenn die betreffende Person
Kontrolle über ihr Handeln hatte; und Kontrolle hat man nur
über seine Anstrengung, nicht aber über seine Fähigkeit.
Diese Reaktion würde ein Schüler ähnlich aufnehmen
wie im obigen Beispiel die absolute - mit den dort genannten Nachteilen.
2.
Reagiert ein Lehrer auf eine Leistung mit Mitleid, bewertet
er sie negativ und führt sie auf mangelnde Fähigkeit (oder
auf Zufall) zurück. Denn Fähigkeit (und Zufall) ist nicht
kontrollierbar, und für Unkontrollierbares ist man nicht verantwortlich,
also ist Mitleid die "richtige" Emotion.
Diese
Reaktion würde ein Schüler ähnlich aufnehmen wie
im obigen Beispiel die relative - mit den dort genannten Nachteilen.
3.
Reagiert ein Lehrer auf eine Leistung mit Schuld, bewertet
er sie negativ und führt sie auf eigenes Fehlverhalten (z.B.
auf zu schwere Aufgaben) zurück. Dieser Fall ist im obigen
Beispiel nicht aufgeführt, weil er wohl eher selten und in
seiner Interpretation ohnehin recht eindeutig sein dürfte.
So
weit die Theorie. Empirisch konnten diese Annahmen sowohl in einer
Fragebogenstudie als auch in einem Experiment bestätigt werden:
Weiner,
Graham, Stern und Lawson prüften sie 1982 mittels Fragebögen.
Die Probanden waren sinnvollerweise Schüler. Ihnen wurden Fragen
gestellt, die sinngemäß etwa so lauteten:
"Stell dir vor, ein Lehrer reagiert auf den Mißerfolg
eines Schülers mit Ärger. Worauf führt er den Mißerfolg
wahrscheinlich zurück: auf mangelnde Fähigkeit des Schülers,
mangelnde Anstrengung des Schülers, zu große Aufgabenschwierigkeit
oder Zufall?"
Die Angaben der Schüler waren zwar nicht völlig einheitlich,
aber im großen und ganzen bestätigen sie doch die oben
angestellten Voraussagen.
Rustemeyer
prüfte dieselbe Frage 1984 experimentell, brachte also Schüler
in die fraglichen Leistungssituationen und fragte sie nachher, worauf
ihrer Meinung nach der "Lehrer" ihre Leistung zurückgeführt
habe. Weiter wollen wir auf den Aufbau des Experiments hier nicht
eingehen.
Als Ergebnis konnte wieder die Bestätigung der obigen Annahmen
gefunden werden: Die emotionalen Reaktionen des Lehrers auf ein
Leistungsergebnis führen beim Schüler zu Vermutungen darüber,
wie seine Fähigkeit vom Lehrer eingeschätzt wird.
Dies
kann sich, wie aus der Pädagogischen Psychologie bekannt ist
und sich auch in Rustemeyers Studie abzeichnete, darauf auswirken,
wie der Schüler die eigene Fähigkeit einschätzt.
Dies bestätigt die praktische Relevanz der Ergebnisse:
Lehrer müssen sich darüber klar sein, daß Schüler
ihre Emotionen "lesen" können.
(Aus dem Dilemma, welche Emotion wann zu zeigen ist, können
diese Studien den Lehrer natürlich nicht führen. Das muß
er selbst der Situation gemäß entscheiden...)
Weiter
geht es nun mit einem Resümee über Weiners Theorie...
|