Genese
des Gesichtsausdrucks
Die
Grundfrage, die uns nun interessiert, ist die folgende: Wie erwirbt
der Mensch den (emotionalen) Gesichtsausdruck: Ist er angeboren
oder wird er erlernt?
Wie
kann man diese Frage beantworten? Man muß Hinweise sammeln,
die für das eine oder das andere sprechen. Solche empirisch
beantwortbaren Hinweisfragen können z.B. die folgenden sein:
1-
Zeigen Neugeborene schon die typisch emotionalen Gesichtsausdrücke?
2- Zeigen Menschen, die seit ihrer Geburt blind sind und daher kaum
Möglichkeit hatten, den kulturell "richtigen" Ausdruck
zu lernen, dennoch die typisch emotionalen Gesichtsausdrücke?
3- Gibt es zwischen verschiedenen Kulturen Unterschiede bezüglich
den typisch emotionalen Gesichtsausdrücken?
Zu
Frage 1: Gesichtsausdruck bei Neugeborenen
Ja,
zumindest ein paar. Auf intensive Geschmacks- und Geruchsreize zeigen
Säuglinge deutliche Reaktionen: Zucker bringt sie zum Lächeln,
faule Eier veranlassen sie zu einer mimischen Reaktion, die wir
als Zeichen von Ekel verstehen. Auch bei Watson
hatten wir ja erfahren, daß grundlegende Reaktionsmuster schon
beim Neugeborenen bestehen, z.B. "Furcht" und "Liebe".
Das
beste Beispiel für emotionale Gesichtsausdrücke bei Säuglingen
sind sicherlich die überdeutlichen Reaktionen bei Neugier und
Überraschung (Augen- und Mundaufreißen etc.).
Dennoch
kann nicht davon die Rede sein, daß ein Säugling bereits
so differenziert sein Gesicht verändern kann wie ein Erwachsener.
Allerdings bedeutet das nicht unbedingt, daß diese später
hinzutretenden Ausdrücke erlernt sein müssen: Viele menschlichen
Fähigkeiten sind ja von vornherein im Erbgut angelegt, entwickeln
sich aber erst nach und nach. Bestes Beispiel: die Geschlechtsreife.
Fazit also nach der ersten Frage: Unentschieden, mit leichtem Vorteil
für die These der Angeborenheit.
Zu
Frage 2: Gesichtsausdruck bei Blindgeborenen
Menschen,
die seit ihrer Geburt blind sind, können nicht den richtigen
Gesichtsausdruck zur richtigen Situation gelernt haben, denn erstens
hatten sie aufgrund ihrer Blindheit keine Möglichkeit zur Nachahmung,
und zweitens ist es höchst unwahrscheinlich, daß sie
derart komplexe Verhaltensmuster auf andere Arten lernen können,
etwa durch operante Konditionierung.
Es
ergab sich in vielen Studien eine auffällig deutliche Übereinstimmung
zwischen sehenden Kindern und Blindgeborenen - jedenfalls hinsichtlich
elementarer Emotionen wie Freude, Furcht, Traurigkeit, Ärger
und Überraschung.
Wieder
erhalten wir also einen Hinweis darauf, daß die Gesichtsausdrücke
bei Emotionen, die wir in anderen Zusammenhängen als "primär"
oder auch "am körperlich Pol liegend" bezeichnet
haben, angeboren sind.
(Verflixt noch mal - plötzlich erscheint die Idee, daß
es "Basis-Emotionen" gibt, wieder richtig plausibel! -
vgl. Kap.1.3)
Zu
Frage 3: Kulturspezifität vs. Universalität
Zeigen
Menschen aus anderen Kulturen zu denselben Emotionen dieselben Gesichtsausdrücke
wie wir? Eine überraschend schwierige Frage. Denn erstmal muß
man ja herausfinden, ob sie dieselben Emotionen haben bzw. kennen
wie wir. Das ist - wie wir in Kapitel
1.1 gesehen habe - nicht gerade einfach.
Aber
vergessen wir für einen Moment mal diese allgemeinen Einwände
und schauen uns die Untersuchungen an. Die wichtigsten Studien stammen
von Paul Ekman (den wir schon als Autor des FACS kennen).
Ekman
führte fast ausnahmslos sogenannte Beurteilungsstudien
durch, d.h. er beobachtete nicht die Gesichtsausdrücke bei
den Menschen, sondern legte ihnen einfach Bilder von Gesichtsausdrücken
vor.
Die
Vpn sollten nun anhand einer Liste mit sechs Emotionswörtern
(die für ihn die Basis-Emotionen sind) wählen, welches
auf das Foto paßt. Es zeigte sich eine große Übereinstimmung
zwischen z.B. Deutschland, Griechenland, USA und Ländern aus
dem nicht-westlichen Kulturkreis wie der Türkei, Hongkong oder
Sumatra.
Schön
und gut, sagten die Kritiker, wie sieht es aber mit Menschen aus,
die in isoliert existierenden Stämmen leben, also keinen Kontakt
zur westlichen oder sonst einer Hochkultur haben?
Auch darum hat sich der bienenfließige Paul Ekman gekümmert:
Er erzählte Mitgliedern eines solchen isolierten Stammes in
Neuguinea kleine Geschichten und legte ihnen daraufhin drei Bilder
mit Gesichtsausdrücken vor, aus denen sie denjenigen wählen
sollten, der auf die Geschichte paßt.
Es ergab sich eine recht deutliche Übereinstimmung (ca. 80%
richtige Urteile) mit einer amerikanischen Kontrollgruppe.
All
dies deutet also auf eine klare Bestätigung von Ekmans These
hin, daß zumindest bei den sechs "Basis-Emotionen"
Glück/Freude, Trauer, Zorn, Ekel, Überraschung und Furcht
der Gesichtsausdruck universal und somit angeboren ist. Dementsprechend
postuliert er sechs "elementare Gesichtsausdrücke",
für deren Aussehen er auch bildliche Beispiele gibt.
Diese
Studien sind in der Tat das stärkste Argument für die
These der Angeborenheit. Dennoch ist es vielleicht nicht ganz so
stark, wie Ekman selbst meint: Denn es wurden einige Kritikpunkte
an Ekmans methodischem Vorgehen geäußert:
- Bei
fremden Kulturen wurden größtenteils Studenten untersucht,
die naturgemäß eher mehr Kontakt zur westlichen Kultur
haben und daher die Bedeutung der Gesichtsausdrücke kennen.
- Die
benutzten Fotos zeigen extreme, vorausgewählt eindeutige und
gestellte Ausdrücke, die eine Beurteilung sehr einfach machen.
Ob jedoch diese Übereinstimmung auch bei Alltagsausdrücken
gewesen wäre, muß bezweifelt werden.
- Die
Probanden wurden gezwungen, ein Emotionswort (bzw. ein Foto) zu
wählen. Nun kann es sein, daß sie eigentlich keines wirklich
treffend fanden und sich überlegen mußten, wie das wohl
in der westlichen Kultur sei...
Diese
Kritikpunkte sind aber wie gesagt eher Schönheitsfehler, als
daß sie Ekmans Studien völlig relativieren könnten.
Literaturhinweise:
-
Meyer, Schützwohl und Reisenzein
(1997), S. 54-92
-
Schmidt-Atzert (1996), S.113-120
und 218-232
- "Gesichtsausdruck
und Emotion" (im Internet!)
Wie
soll's weitergehen?
- Du könntest jetzt einen kurzen Test machen.
- Du könntest das Kapitel auch noch einmal von Anfang
an durchgehen.
- Du könntest dir die Inhaltsübersicht
ansehen.
- Oder du gehst direkt zum nächsten
Kapitel.
|