Evolutionäre Psychologie

Nun soll es um emotionspsychologie Überlegungen der sogenannten "Evolutionären Psychologie" gehen. Zunächst werden wir die Evolutionäre Psychologie (EP) kurz vorstellen.

Die EP ist keine einzelne Theorie und kein Teilgebiet der Psychologie, sondern ein theoretisches Paradigma, also eine bestimmte Sichtweise bzw. Herangehensweise an die Psychologie. Andere Beispiele für Paradigmen in der Psychologie sind der Behaviourismus und die Kognitive Psychologie.

Die EP will Darwins Evolutionstheorie auf den Bereich des Psychischen anwenden, insbesondere angeborene psychische Dispositionen identifizieren.
Die vorherrschende Sichtweise, daß der Großteil des menschlichen Verhaltens aus gegenstandsunabhängigen, bereichsunspezifischen und inhaltsfreien Mechanismen wie Lernen, Nachahmen und Denken (als einzig angeborenen Mechanismen) resultiert, wird abgelehnt.
Dagegen wird von Vertretern wie Cosmides und Tooby (1994) angenommen, daß "die in der Evolution entstandene Architektur der menschlichen Psyche voll von spezialisierten Schaltkreisen und Steuerungsmechanismen ist, welche die Art und Weise lenken, wie wir Erfahrungen interpretieren, Wissen erwerben und Entscheidungen fällen."

Grundannahmen: EP-Mechanismen

In der Geschichte der Menschheit gab es immer wieder zahlreiche Anpassungsprobleme (z.B. Nahrungsbeschaffung, Partnergewinn), die, wenn sie gelöst wurden, einen Fitness-Gewinn, d.h. eine Vergrößerung der Überlebenswahrscheinlichkeit, verschafften.

Die Lösung dieser Probleme brachte mit sich, daß sich (im Zuge der Selektion) viele komplexe bereichsspezifische psychische Mechanismen herausgebildet haben.
Diese sogenannten EP-Mechanismen sind informationsverarbeitende Strukturen, die bei einer spezifischen Eingangsinformation (z.B. "Problem des Partnergewinns ist gerade aktuell") einen Output ausgeben, der physiologische Vorgänge reguliert oder sichtbares Handeln erzeugt und somit das Problem löst.
Damit entspricht der "EP-Mechanismus" weitgehend dem, was z.B. McDougall schon 1908 als "Instinkt" bezeichnet hatte.
Verschiedene EP-Mechanismen sind natürlich eng miteinander verknüpft, so daß komplexes Verhalten entstehen kann.

Es gibt zwei Arten von Argumenten, die für dieses Modell sprechen:
1. Das Modell ist evolutionsbiologisch plausibel.
Warum sollten sich nur wenige Allzweckmechanismen wie Lernen und Denken ausgebildet haben, die diese Vielzahl von Anpassungsprobleme zu lösen hätten?
2. Es häufen sich die empirischen Befunde, die für die Evolutionäre Psychologie sprechen, wenn auch noch nicht klar ist, wie groß die Bereichsspezifität der EP-Mechanismen ist und wie stark diese durch Lernen geformt werden können.

Ziele und Methoden der Evolutionären Psychologie

Ein zentrales Ziel ist, die EP-Mechanismen zu ausfindig zu machen und ihre Funktionsweise aufzuklären. Dafür gibt es zwei theoretische Herangehensweisen:
Entweder wird überlegt, welche Anpassungsprobleme frühere Menschen hatten und wie sie gelöst worden sein könnten.
Oder es wird von einem beobachteten psychischen Merkmal (wie z.B. Eifersucht, siehe unten) ausgegangen und gefragt: Welcher Anpassungsvorteil resultierte wohl einst aus diesem Merkmal? Könnte dieses Merkmal ein
EP-Mechanismus sein? Und wenn ja, was ist seine biologische Funktion?

Wann aber ist ein Merkmal ein EP-Mechanismus? Wenn es in der Evolution einen Anpassungsvorteil mit sich brachte. Hinweise darauf sind (nach Cosmides und Tooby):
1. Der Mechanimus tritt speziesweit (beim Menschen: interkulturell) auf und entwickelt sich ontogenetisch verläßlich.
2. Der Mechanismus löst ein Anpassungsproblem in effizienter Weise.
3. Seine Existenz kann nicht besser durch die Annahme erklärt werden, daß er ein Nebenprodukt einer anderen Anpassung oder eine zufällige Entwicklung darstellt.
Dagegen ist es nicht erforderlich, daß der Mechanismus schon ab der Geburt funktionsfähig ist oder daß Lernen bei seiner Entwicklung keine Rolle spielt.

Emotionen als EP-Mechanismen: Das Beispiel Eifersucht

Emotionen sind - so die Vertreter der EP - nicht die einzigen EP-Mechanismen, aber dennoch Musterbeispiele. Ein Beispiel für empirische Überprüfungen von Hypothesen sind die in Kapitel 2.1 beschriebenen Studien zur "Preparedness".

Die mittlerweile wohl bekanntesten Untersuchungen beziehen sich aber auf geschlechtsspezifische Unterschiede in bezug auf die Auslöser von Eifersucht:

Eifersucht ist, so die Vertreter der EP, "ein emotionaler Zustand, der durch die wahrgenomme Bedrohung einer wertgeschätzten Beziehung oder Position (durch einen Rivalen) ausgelöst wird und Verhalten motiviert, das darauf abzielt, dieser Bedrohung entgegenzuwirken".

Auslöser von Eifersucht ist die Kognition "Bedrohung der Beziehung!", vermittelt z.B. durch das Wahrnehmen von Blickkontakten zum Rivalen oder tatsächliche emotionale Untreue.
Dieser Auslöser aktiviert einen "Eifersuchts-Modus", der für Verhalten sorgt, welches auf die Beseitigung der Bedrohung abzielt. Dieser EP-Mechanismus hat sich in der Evolution herausgebildet, weil er die inklusive Fitness (die Wahrscheinlichkeit der Zeugung eigener Kinder) erhöht hat.

Auf dieser Grundlage wird die Hypothese aufgestellt, daß Eifersucht bei Männern und Frauen durch verschiedene Ereignisse bevorzugt ausgelöst wird: bei Männern eher durch (vermutete oder tatsächliche) sexuelle Untreue der Frau, bei Frauen eher durch (vermutete oder tatsächliche) emotionale Untreue des Mannes (also Hinwendung zu einer anderen Frau).
Biologisch wird die Hypothese folgendermaßen begründet:

Frauen konnten im Verlauf der Evolution das Überleben ihres Genmaterials dadurch wahrscheinlicher machen, daß sie verläßliche Partner mit guten ökonomischen Ressourcen für sich gewannen. Zusammen mit solchen Partnern ist es leichter, das Überleben der Kinder bis zur Geschlechtsreife sicherzustellen. Eifersucht bei Frauen setzt ein, wenn ein in diesem Sinne idealer Zustand bedroht ist, ein geeigneter Partner sich also auf die Dauer einer anderen Frau zuwendet, so daß dessen Ressourcen nicht mehr zur Verfügung stehen.

Männer können vor allem dadurch für das Überleben ihres Genmaterials sorgen, daß sie Maßnahmen ergreifen, die sicherstellen, daß die Partnerin nicht sexuell untreu wird. Denn wenn ein Mann seine sozialen Ressourcen für ein Kind bereitstellt, das gar nicht "von ihm ist", wird er sich nicht fortpflanzen können - und mit ihm auch nicht die Eigenschaft, nicht auf die sexuelle Treue der Partnerin (mittels Eifersucht) geachtet zu haben...

Eifersucht wird bei Männern, so die Hypothese, also eher durch solche Hinweisreize ausgelöst, die sexuelle Untreue signalisieren. Reaktionen sind darauf das strengeres Bewachen der Frau, die Tötung der geborenen Kinder oder das Verlassen der Frau. Alles dies erhöht die individuelle Fitness.
Bei Frauen hingegen besteht keine Unsicherheit ihrer Mutterschaft, und sexuelle Untreue des Mannes verringert die Fitness der Frau nicht, solange der Mann auch Sexualpartner der Frau ist und ihre Nachkommen aufzieht. Diese letztere Schutz- und Hilfsfunktion verliert die Frau aber dann, wenn der Mann sich an eine andere Frau emotional bindet. Das Überleben der Kinder der Frau wird gefährdet, die Fitness der Frau sinkt. Die Frauen, die auf emotionale Untreue des Mannes mit Eifersucht reagieren und somit ihren Mann stärker an sich binden, erhöhen ihre Fitness und pflanzen sich so besser fort als die anderen Frauen.

Empirische Untersuchungen zur Eifersucht-Hypothese

Buss et.al. (1992) fragten amerikanische Studierende, ob sie emotionale oder sexuelle Untreue des Partner eher bekümmern würde. Die obige Hypothese wurde deutlich bestätigt. Weniger deutlich fielen die Ergebnisse einer Studie aus Deutschland aus, wo auch die Männer emotionale Untreue stärker bekümmern bzw. eifersüchtig machen würde. Dies bietet erste Anhaltspunkte für kulturelle Alternativerklärungen (s.u.)

Gestützt wird die Hypothese allerdings auch durch physiologische Daten (aus den USA): Es zeigte sich eine Zunahme der Hautleitfähigkeit bei Männern eher bei Vorstellung sexueller Untreue, bei Frauen eher bei Vorstellung emotionaler Untreue.

Die empirischen Daten können aber auch alternativ erklärt werden: Männer werden so sozialisiert, daß für sie sexueller Erfolg bedeutsam ist, Frauen dagegen so, daß feste emotionale Bindung für sie bedeutsam ist.
Diese Erklärung konnte zwar in einer Fragebogen-Studie nicht gestützt werden, doch verwundert dies nicht besonders: Welche "emanzipierte" Frau will schon zugeben, daß ihr Bindung wichtig ist, und welcher "moderne" Mann will schon zugeben, daß Sex für ihn das Wichtigste ist...?

Eine andere Alternativerklärung ist, daß Männer und Frauen so sozialisiert werden, daß sie unterschiedliche Annahmen über den Zusammenhang von sexueller und emotionaler Untreue haben: Frauen glauben eher, daß mit emotionaler Untreue die sexuelle Untreue verbunden sei; Männer dagegen glauben eher, daß mit sexueller Untreue emotionale Untreue verbunden sei. (Beide Gruppen finden beide Untreuen schlimmer als nur eine.) Empirisch konnte diese Theorie nur z.T. gestützt werden, jedoch weisen die Daten daraufhin, daß die präferierte Art der Eifersucht nicht primär vom Geschlecht, sondern von der Annahme abhängt, welche Eifersucht die andere mitbedingt.

In diesem Kontext gibt es noch viele anderen Hypothesen und Erklärungen, die alle aber ähnlich unentschieden sind wie die vorgestellte.
Vor allem ist es schwierig, die "Partnerschaftsverhältnisse" von unseren phylogenetischen Vorfahren (Affen etc.) zu erkunden und diese dann mit den heutigen menschlichen Partnerschaften in Beziehung zu bringen. Schnell kommt man nämlich in Versuchung, tierisches Verhalten durch unsere kulturelle Brille zu sehen und Bedeutung hineinzuinterpretieren, die für diese Tiere gar nicht existiert.
Ein weiteres Problem ist die sehr enge Verzahnung zwischen biologisch sinnvoll erscheinenden Mechanismen, die angeboren sind, und kulturellen Traditionen, die den gleichen Sinn haben, aber dem Heranwachsenden in seiner Sozialisation "beigebracht" werden.
Auf dieses klassische Problem von "Erbe vs. Kultur" (oder moderner: "Gene vs. Sozialisation") kommen wir auch in unserem nun folgenden allgemeinen Resümee zu sprechen...

Allgemeine & Theoretische Psychologie
Emotion
1.1 Was sind Emotionen?
1.2 Funktion von Emotionen
1.3 Klassifikation
2.1 Behavioristische Emotionstheorien
2.2 Kognitiv-physio. Emotionstheorien
2.3 Attributionale Emotionstheorien
2.4 Evolutionspsy. Emotionstheorien
3 Gesichtsausdruck
4 Auswirkungen
Literatur
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