Ja, ich kann, denn ich weiß ja, in welchen Situationen es angewendet wird: genau dann nämlich, wenn jemand ein geliebtes Objekt verloren hat. Das Wort selbst kann mir nichts über den subjektiven Zustand verraten, den es ja eigentlich bezeichnet!

Kurz: Ob sich meine Trauer anders anfühlt als Deine, kann nicht entschieden werden.
Am prägnantesten hat das der Philosoph Ludwig Wittgenstein ausgedrückt:

Angenommen, es hätte Jeder eine Schachtel, darin wäre etwas, was wir "Käfer" nennen. Niemand kann in die Schachtel des anderen schauen; und Jeder sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer sei. - Da könnte es ja sein, daß jeder ein anderes Ding in seiner Schachtel hätte. Ja, man könnte sich vorstellen, daß sich ein solches Ding fortwährend veränderte. - Aber wenn nun das Wort "Käfer" dieser Leute noch einen Gebrauch hätte? - So wäre er nicht der der Bezeichnung eines Dings. Das Ding in der Schachtel gehört überhaupt nicht zum Sprachspiel; auch nicht einmal als ein Etwas: Denn die Schachtel könnte auch leer sein.

Das größte Problem für Emotionspsychologen ist also, daß sie keinen direkten Zugang zu ihrem eigentlichen Forschungsgegenstand haben. Ich sage "eigentlichen", weil die meisten Emotionspsychologen (wohl nicht zuletzt wegen dieses Problems) sich neue Forschungsgegenstände geschaffen haben, die mit der Alltagsbedeutung von "Emotion" mehr oder weniger stark in Verbindung stehen.
Kurz: Der Emotionsbegriff wurde erweitert, ja manchmal völlig verändert. (Genaueres im Zweiten Weg.)

Solche "Umdefinitionen" von Forschern sollen hier übrigens nicht kritisiert werden; sie sind - ganz im Gegenteil - notwendig für den Fortschritt einer Wissenschaft. Wenn jedoch diese Umdefinitionen nicht explizit gemacht werden, kann dies zwischen Forschern zu Konfusionen führen. Zugespitzt formuliert: Wenn schon jeder Forscher seine private Emotionsdefinition hat, sollte er sie zumindest den anderen verständlich machen können.

Die Umdefinitionen sind auch deshalb nicht verwerflich, weil wir ohnehin der Alltagssprache mißtrauen müssen: Sie überbringt uns selten die "Wahrheit", um die wir uns ja als Wissenschaftler bemühen, sondern sie ist ja primär dafür "erfunden" worden, unser Zusammenleben zu regeln. Beides kann, muß aber nicht zusammenfallen.

Hier beenden wir unseren kleinen Ausflug in Richtung Philosophie und Soziologie.

Literaturangaben (nur für Interessierte!):
- Mees (1985)
- Laucken (1989)
- Wittgenstein (1963)

Wir beschäftigen uns im folgenden mit den wichtigsten "Umdefinitionen" (meine Wortschöpfung) der Emotionspsychologie - dem zweiten Weg...

Allgemeine & Theoretische Psychologie
Emotion
1.1 Was sind Emotionen?
1.2 Funktion von Emotionen
1.3 Klassifikation
2.1 Behavioristische Emotionstheorien
2.2 Kognitiv-physio. Emotionstheorien
2.3 Attributionale Emotionstheorien
2.4 Evolutionspsy. Emotionstheorien
3 Gesichtsausdruck
4 Auswirkungen
Literatur
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