Abschluss-Rede
von Andreas Glöckner, Thomas Haar & Christian Unkelbach
Einleitung
Liebe Professoren und Mitarbeiter des Hauses, liebe Absolventen, sehr verehrte Gäste,
wir sind drei der Studenten, die im letzten Jahr Ihr Studium an diesem Institut beendet haben. Wir sind gefragt worden, stellvertretend für alle Absolventen dieses Jahrgangs, eine rückblickende Betrachtung unserer Studienzeit zu geben. Deshalb wollen wir Sie einladen, mit uns zusammen noch einmal das Studium an diesem Institut kurz Revue passieren zu lassen.
Dabei muss man vorab darauf hinweisen, dass dieser Rückblick keine Allgemeingültigkeit besitzt, sondern dass es sich um eine im zweifachen Sinne idiosynkratische Betrachtung handelt:
Zum einen muss man wissen, dass die hier anwesenden Absolventen zwar alle im selben Jahr ihr Studium abgeschlossen haben, wir alle deshalb zu einem Jahrgang gehören, was aber nicht bedeutet, dass wir unser Studium auch zur selben Zeit begonnen haben. Zudem gibt es ja auch eine ganze Reihe von „Quereinsteigern“ und Studienwechslern, die so nach und nach - und für viele gänzlich unbemerkt - in das Studium hier hineingerutscht sind. Jeder Jahrgang von Erstsemestern hat dabei ganz bestimmt sehr unterschiedliche Studienbedingungen vorgefunden: andere Dozenten, andere Veranstaltungen und auch andere Kommilitonen.
Andererseits ist es nun nicht so, dass alle Studenten eines Anfänger-Jahrgangs ein gleiches Studium geführt hätten. Da gibt es eine ganze Reihe von interindividuellen Unterschieden. Ich bin mir sicher, dass jeder der hier anwesenden sein Studium auf eine ganz eigene und einzigartige Weise gestaltet und erlebt hat. Trotzdem hoffen wir, dass wir mit dem Studium aus unserer Sicht auch bei jedem von Ihnen ein paar Bilder anstoßen und Erinnerungen wachrufen werden.
Am Anfang
Beginnen möchte ich ganz am Anfang: Vor etwas mehr als 6 Jahren, im Herbst 1995, haben wir drei unser Studium am Psychologischen Institut zu Heidelberg begonnen. Wir waren dabei drei von etwa 90 Studentinnen und Studenten, die sich - der ZVS sei dank - aus ganz verschiedenen Teilen des Landes hier etwa eine Woche vor dem eigentlichen Studienbeginn einfanden.
Wir kamen hier an mit ganz unterschiedlichen Erwartungen und Vorstellungen vom Studium. Aber vor allem auch mit einer ganzen Reihe von Ängsten:
- Werde ich es schaffen, dieses Studium zu absolvieren?
- Ist dieses Studium überhaupt das richtige für mich?
- Werde ich Freunde finden?
Mit all diesen Gedanken beladen saßen wir also vor sechs Jahren in eben diesem Hörsaal und wurden von eben diesem geschäftsführenden Direktor - Prof. Klaus Fiedler - begrüßt. Dieser hat uns dann schon in seiner Begrüßungsrede von unserer ersten Angst befreit. Er hat uns nämlich erzählt, dass wir aufgrund des damals sehr hohen Numerus Clausus eine ganz besondere Kohorte von Studenten seien.
Nach dieser Ansprache begann das Erstsemester-Kompakt-Seminar unter der Leitung von Caudia Schmidt-Rathjens und Viktor Oubaid sowie einer ganzen Reihe fleißiger Tutorinnen und Tutoren aus den älteren Semestern. Die haben uns dann ein Woche lang auf fast alle Anforderungen des Studiums vorbereitet. In kleinen Gruppen lernten wir die Räumlich- und Persönlichkeiten des Instituts kennen, stellten Stundenpläne auf und fanden das erste Mal den Weg in die Mensa, von dem einige seitdem nicht abgewichen sind. Uns wurde gesagt, dass wir das Recht hätten, uns alles ganz genau anzuschauen, um herauszufinden, ob dieses Studium das richtige für uns sei. Am wichtigsten - zumindest für mich persönlich - war aber, dass man innerhalb dieser einen Woche Freunde gefunden hatte und nicht mehr allein in Heidelberg war. Aus den ersten Freundschaften aus meiner Kleingruppe entstand später meine Arbeitsgruppe und mit vielen aus dieser Arbeitsgruppe bin ich heute immer noch gut befreundet.
Nach dieser einen Woche fühlte man sich den ersten Anforderungen des Studiums gewachsen und war gespannt auf dieses Studium. Aber diese Vorbereitung war auch nötig. Das merkte man sehr schnell, nachdem man die ersten Veranstaltungen besucht hatte. Das Bild, das sich von Psychologie bildete war auf der einen Seite bunt schillernd und interessant - auf der anderen Seite aber auch oft unstrukturiert, zusammenhangslos und ein wenig verwirrend.
Statistik
Man beginnt dieses Studium also mit dem Vorsatz, etwas über den Menschen zu lernen, über sein Verhalten, um die Tiefen der menschlichen Seele zu ergründen. Aber wie fängt man dieses an? Welche Mittel und Wege stehen der Psychologie zur Verfügung...
Dies ist Bestandteil des Teils unseres Studiums, der sich Methodenlehre nennt; so wie der Fischer lernen muss ein Netz zu weben und auszuwerfen, so muss der Psychologe auch ein Netz von Methoden weben und auswerfen, um darin Erkenntnisse zu fangen. Und je feiner das Netz ist, desto weniger geht dabei durch die Lappen. So simpel und einleuchtend das nun klingt, so schnell reduziert sich Methodenlehre auf den Begriff STATISTIK. Und dahinter verbirgt sich für den Psychologiestudierenden ein großer schwarzer Abgrund, ein sich dräuendes Ungeheuer, dem für jeden abgeschlagenen Kopf sofort zwei neue nachwachsen.
Wir gehörten noch zu einem der Jahrgänge, für die Methodenausbildung mit einer Vorlesung „Einführung in die Methodenlehre“ begann - und für viele ist dies ein Streifzug durch das Kabinett des Schreckens gewesen. Denn der Gräuel gab es viel: Parameter, Verteilungen, Analysen - Univariat und multivariat - zur Deskreption und Inferenz geeignet...von Matrizenalgebra und linearen Hypothesen gar nicht zu reden. Schnell war damit klar, die großen Fragen im ersten Semester waren damit weniger:
Was ist der Mensch?
Wie verstehe ich den Menschen?
sondern
Brauche ich das alles wirklich für ein Psychologiestudium?
Sucht McDonalds noch Putzkräfte, denn das hier werde ich nie kapieren...
Und es blieb ja nicht bei einer einfachen Vorlesung; folgt man dem Studienplan korrekt, gehören auf den Pfad des Leidens noch die Stationen der Versuchsplanung, der Linearen Statistik sowie im Hauptstudium die Forschungsmethodik und Evaluation, (kurze Pause) und zwar mit den Teilen I-IV.
--- Statistische Formeln-Folie auflegen ---
Bei solch einem Anblick mag man sich wirklich fragen, wo hinter all diesen Symbolen und Zeichen sich die Psychologie als Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen verbergen mag.
Aber da wir heute alle hier sitzen und unsere Diplomurkunden erhalten werden, bedeutet das, wir alle haben den Dämon STATISTIK gemeistert. Und für die eine oder den anderen mag dann auch ein Wechsel in der Einstellung stattgefunden haben. Für uns drei ist das sicher der Fall; man erträgt die Statistik nicht nur, sondern findet Spaß daran. Dies liegt möglicherweise auch daran, dass sich Fragen der Statistik irgendwann beantworten lassen - Fragen nach der Natur des Menschen sehr häufig nicht.
Ausseruniversitäre Aktivitäten
Ich möchte mit einigen Worten auf die Aktivitäten eingehen, die nicht direkt das Studium betrafen - die von Studenten für Studenten organisierten nicht studienbezogenen Aktivitäten an der Universität. Vor allem sind dabei zu nennen die vielen Aktionen des Psychotreffs. Der Psychotreff sah sich dabei einem erheblich schwankender Grad der Unterstützung gegenüber. Die Beteiligung war bei Parties und Spass-Events meist recht gut. Zum Beispiel war das Kennenlernwochenende in Grasellenbach gut besucht und schuf ein gewisses Gemeinschaftsgefühl des Jahrgangs. Auch die an wunderbaren Sommertagen abgehaltenen Psychotage waren ein voller Erfolg mit kreative Workshops, interessanten Vorträgen und Diskussionen zu psychologischen Themen aber auch zu Kultur und Politik.
Und natürlich gab es jedes Semester einige wilde Psychoparties, die trotz der üblichen Probleme mit anfangs lauwarmem Bier, dass dann auch noch ca. 22:30 Uhr ausging, immer gut besucht waren und auf denen stets eine gute Stimmung vorherrschte. Angenehm aufgefallen ist dabei die rege Aktivität und musikalische Unterstützung von DJ Funke. Aber auch die regelmäßige Teilnahme von anderen Professoren und Dozenten wie Prof. Klaus Fiedler, Henning Plessner, Tilmann Betsch, Prof. Amelang und anderen wurde von den Studenten durchaus positiv bemerkt.
Neben den Spass-Events gab es auch einige hochschulpolitische Aktionen. Ein Highlight waren dabei die Demonstrationen gegen Studiengebühren: In der Vorbereitung wurden eifrig Plakate im Psychokeller gemalt und die Inhalte von Flugblättern in verrauchten Kneipen entworfen. Und dann sind wir mit tausenden Kommilitonen durch die Strassen gezogen - unterstützt von Trommelgruppen - und es kam dabei schon etwas das für uns doch eher ferne 68er Feeling auf. Zu erwähnen ist auch der Studentenstreik als Reaktion auf die Ankündigung der Kürzungen von Hochschulmitteln.
Aber lässt man mal alle der Rückschau eigene Verklärung beiseite, stand das eigene Weiterkommen und Wohlbefinden doch meist im Focus des Interesses. Nur Aktionen die dieses Interesse berührten hatten eine Chance auf n > 50. Dieser Aspekt von Egozentrismus und "wenig über den Tellerrand schauen", erscheint mir im Rückblick etwas enttäuschend. Vor allem, wenn man sich vor Augen führt, das wir die Studenten dieser Universität eigentlich eine Ansammlung der kommenden geistigen und moralischen Elite dieses Landes sein sollen.
Empirische Praktika
Ich möchte noch einige weitere Worte über das Grundstudium verlieren. Mein persönlicher Höhepunkt, das, was mir am meisten Spaß gemacht hat, waren die empirischen Praktika. Jeder Student an diesem Institut muss im dritten und vierten Semester jeweils ein empirisches Praktikum absolvieren. Dabei geht es darum, eine selbst ausgedachte oder gewählte Fragestellung mit wissenschaftlichen Methoden zu untersuchen, um am Ende eine Antwort auf die Frage geben zu können. Ich fand es ungeheuer motivierend, dass man die Möglichkeit hatte, etwas ganz eigenes zu untersuchen und zudem die in den ersten beiden Semestern gelernten Inhalte und Methoden dabei anzuwenden. Es kam dabei nicht darauf an, alles schon ganz perfekt hinzukriegen. Man wurde dazu ermutigt, Neues auszuprobieren, Fehler zu machen, um dann aus diesen zu lernen.
Ganz besonders ist mir diese Zeit auch deshalb in Erinnerung geblieben, weil wir der erste Jahrgang waren, der in den Genuss kam, die eigenen Untersuchungen im Rahmen eines Kongresses der Öffentlichkeit vorzustellen. Professor Amelang initiierte und organisierte damals den „1. Heidelberger Expraktikums-Kongreß“, der zu Beginn des Wintersemesters am 22. Oktober 1997 in unserem Institut stattfand. Herr Amelang hatte dafür gesorgt, dass die Veranstaltung tatsächlich zu einem „echten“ Kongress wurde: Es gab Ansprachen, einen Gastredner und vor allem auch eine Prämierung der besten Arbeiten. Es war eines der ganz wenigen Male während des Studiums, dass man die Möglichkeit hatte, seine eigene Arbeit nicht nur dem Dozenten oder anderen Studenten innerhalb einer Veranstaltung, sondern einer großen Menge von interessierten Dozenten und Studenten aus dem ganzen Hause vorzustellen.
Es freut mich deshalb ganz besonders, dass diese Veranstaltung seitdem jedes Jahr fortgeführt wurde und inzwischen schon zu einer guten Tradition in diesem Hause geworden ist.
Vordiplom
Die einzig wirklich große Zäsur in diesem Studium ist das Vordiplom; meistens hat man 2 bis 2? Jahre in stiller Einfalt und Größe vor sich hin studiert, bis dann schließlich die 7 Prüfungen des Vordiploms vor einem stehen. Man muss sich diese Situation wirklich vorstellen - man ist nie bewertet worden, selten gab es Rückmeldung für Hausarbeiten und Referate und nun soll man aus heiterem Himmel eine Prüfung mit einem Professor durchstehen. Ich kenne wenige, denen nicht die Knie geschlottert haben, und wirklich kalt gelassen hat es wohl keinen.
Allerdings stellt man bald fest, dass ein wirkliches Problem nicht die Prüfungen an sich sind, sondern die Organisation der Termine und die Beschaffung des relevanten Lese-Materials (man lernt die 1000er Karten von Copyshops zu schätzen). Zur Organisation von Terminen eine kleine Anekdote: Professor Ahrens, damals noch aktiv, heute Emeritus, war als Prüfer sehr beliebt für Prüfungen in Biopsychologie (hierzu muss man einflechten, dass die Beliebtheit eines Prüfers immer ein idiosynkratisches Mysterium bleibt - die Wahl eines Prüfers wird bestimmt von eine Mischung aus Aberglauben, Sympathie, Meinungen anderer und der trockenen Realität: Wer ist gerade verfügbar?).
Aber er gab seine Prüfungstermine immer nur vierteljährlich bekannt. Als diese 3-Monatsfrist wieder einmal ablief, fanden wir uns an einem Morgen um 8 Uhr vor seinem Büro ein - Sprechstundenbeginn war 9 Uhr, aber man hatte ja gewisse Gerüchte gehört. Und tatsächlich, wir fanden eine Szene vor, die man sonst nur von Fußballländerspielen oder Rockkonzerten kennt: ca. 40 Kommilitonen lagerten bereits auf dem Gang, teilweise seit 6 Uhr früh, und wer nun kam, musste sich in eine Wartelist eintragen. Offensichtlich war der Bedarf an Prüfungsterminen für die nächsten 3 Monate sehr hoch. Wer solche Widrigkeiten überwunden hatte, fürchtete die Prüfung an sich kaum noch. (Pause) Dies ist natürlich nicht wahr, aber wie so oft im Leben haben wir auch hier einen Positivitäts-Bias: Wir erinnern uns nicht mehr an die schlechten Dinge, die langen Stunden des Lesens und Auswendiglernens, die Panik am Abend davor, oder noch schlimmer, die letzten 15 Minute vor einer Prüfung.
Was bleibt ist die Erinnerung an das gute Gefühl, bestanden zu haben, und noch mehr, die unendliche Freude, als das Vordiplom endlich vorbei war.
Das Hauptstudium
Die Tortour der Vordiplomsprüfungen lag hinter uns und das von vielen ersehnte weite Feld der Anwendung des psychologischen Wissens lag vor uns.
Dabei zeichneten sich bei den Studenten schnell sehr verschiedene Interessen ab und diese wurden auch begrüßenswerterweise von der Studienordnung nur wenig eingeengt. Es kam zu einer Aufsplittung der gewachsenen Gruppen und zu einer Neustrukturierung. Die bis zum Vordiplom vorherrschenden Jahrgangsgruppen wurden abgelöst durch Interessensgruppen im Hauptdiplom. Die Gruppen der Kliniker, Pädagogen, ABOler etc. bildeten sich und zogen sich mehr und mehr in die von Ihnen "kontrollierten" Bereiche im Vorder- und Hintergebäude des Institutes zurück. Kommilitonen die man vorher jeden Tag gesehen hatte, sah man später nur noch bei den Psychoparties.
Aber Anfangs gab es ja noch einige Pflichtveranstaltungen, die wir alle zu absolvieren hatten. Erwähnen möchte ich dabei das interessante Aufbau- und Fallseminar Pädagogische Psychologie, das zumindest für mich die erste wirklich interessante Praxisanwendung meines psychologischen Wissens darstellte. Und natürlich durchliefen wir alle die für die spätere Praxis sehr nützliche weil Empathie fördernde Erfahrung der Tortour der Testung unserer Amthauer Intelligenz im Diagnostik Praktikum - und das Freitag Morgens. Und nicht unterschlagen werden soll der daraufhin notwendige regelmässige Besuch der psychologischen Beratungsstelle, um uns, entgegen der Darstellung der Dozentin, klar zu machen, dass 80 doch kein schlechter Wert ist und die Validität des Test angezweifelt werden kann.
Ein besonderes Erlebnis war für uns alle natürlich das Klinische Praktikum: Wir durchliefen alle Perspektiven in Gesprächstriaden Montags Morgens - welche zum Bruch so mancher Beziehung führten (meist zurecht).
Zur weiteren Zerfaserung der Jahrgangsgruppen trug auch bei, dass gerade im Hauptstudium jeder seine eigene Studien-Taktik und Geschwindigkeit wählte: Einige wollten einfach schnell durch und danach eine Arbeit finden. Andere sammelten Dutzende von Praktika um den späteren Einstieg in die Wirtschaft zu erleichtern. Viele schoben auch eine studienbegleitende Therapieausbildung ein. Aber egal wie - letztendlich haben wir es alle geschafft - und stehen heute hier.
Am Ende?
Nun sitzen wir wieder hier, genauso wie vor sechs Jahren. Nach dem Kraftakt, die Zeit der Diplomarbeit und der Prüfungen zu überstehen, hat man plötzlich scheinbar keine Aufgabe mehr und man fragt sich, wo man jetzt eigentlich steht. Gäbe es diese Feier nicht, hätten jeder von uns nur sein Diplom per Post zugeschickt bekommen und säße jetzt damit still in seinem Kämmerlein. Aber was sagt dieses Diplom überhaupt aus?
Man stellt sich die Frage, was man denn gelernt habe, welche Fähigkeiten man denn eigentlich besitze, um im Berufsleben einen Platz zu finden und dort zu bestehen. In mir kommen da ganz neue Ängste auf: Angst davor, keinen Beruf zu finden, Angst vor dem Berufseinstieg, Angst vor der Zukunft.
Was habe ich denn gelernt, was im Berufsleben relevant wäre? Ich kann kopieren, Referate halten, Hausarbeiten schreiben, auswendig lernen, ... aber sind das die Fertigkeiten, nach denen draußen in der Wirtschaft verlangt wird? Ich fühle mich eigentlich nicht sonderlich vorbereitet auf das, was ich jetzt im Beruf machen möchte. Wenn ich Klinischer Psychologe bin, muss ich erst noch eine Ausbildung absolvieren, bevor ich therapeutisch arbeiten kann. Wenn ich Pädagogischer Psychologe bin, weiß ich nicht wie ich einen Kurs von gelangweilten Kursteilnehmern zum Arbeiten motiviere. Als Betriebspsychologe habe ich keine Ahnung wie ich denn nun das Betriebsklima in einem ganz konkreten Fall verbessern kann.
Hat dieses Studium mir denn nichts Nützliches beigebracht?
Zum Glück gibt es noch die Herren Glöckner und Unkelbach, die darauf eine Antwort geben können.
Was haben wir gelernt?
Am Ende liegt es natürlich nahe zu fragen: Was haben wir gelernt? Und noch wichtiger: was können wir damit anfangen? Noch während des Studiums habe ich dazu häufig eher resignierte Stimmen gehört. Teilweise wurde sehnsüchtig zu den anderen Disziplinen hinübergeschaut und es wurde sich gefragt: Wo ist denn die Anlage, die wir nach dem Studium konstruieren oder bauen können? Wo ist denn der Rechtsstreit, den wir führen können? Wo ist denn die Pille die man zur Heilung verabreichen kann?
Ich habe nun seit einiger Zeit intensiveren Praxiskontakt in der Personalentwicklung einer grossen Deutschen Fluglinie. Dabei hat sich die schon vorher manchmal erahnte Beurteilung bei mir verfestigt: Wir Psychologen unterschätzen unsere Fähigkeiten viel zu häufig und stellen unser Licht ohne Not unter den Scheffel. Viele Fähigkeiten die wir als selbstverständlich ansehen sind in der Praxis und somit für die Gesellschaft sehr wertvoll. Vor allem sind dabei zu nennen die allgemeinen methodischen Fähigkeiten und die sogenannten soft skills. In einer Welt geprägt von einem sich ständig beschleunigenden Innovationszyklus verliert Faktenwissen immer mehr an Bedeutung. Immer wichtiger werden dagegen überfachliche Kompetenzen wie Problemlösefähigkeit, Lernfähigkeit und Teamfähigkeit. Diese Kompetenzen werden deshalb bei der Personalauswahl stark beachtet.
Und bei diesem Test stehen Psychologen gar nicht so schlecht da. Schließlich wurde Problemlösefähigkeit unter Zeitdruck zu Genüge gelernt bei Nachtsitzungen zur Auswertung des experimentellen Praktikums. Auch die Skills selbständige Lernfähigkeit und Teamfähigkeit wurden ausführlich trainiert bei der Prüfungsvorbereitung in verschiedenen Lerngruppen. Aber auch mit methodischen Kenntnissen, Experimentaldesign, diagnostischen Fähigkeiten und Wissen über Menschen - was die Hauptinhalte unseres Studiums waren - kommt man weit nicht nur in Wissenschaft, sondern auch in der Wirtschaft und wie ich annehme in der Therapie.
Als Fazit möchte ich uns frischgebackenen Diplom-Psychologen deshalb mit auf den Weg geben:
Keine Minderwertigkeitskomplexe!
Wir Psychologen können mit geschwellter Brust nach dem Studium in die Welt hinaustreten und viel Nützliches tun. Packen wir es an!
Was vom Tage übrig blieb oder „Quo vadis“?
So stehen wir hier nun an einer Stelle, wo für uns vor etwas mehr als 6 Jahren dieses Studium begann. Und ich glaube, wir haben uns an das Prinzip „Von den Toten nur Gutes“ gehalten und ein sehr positives Bild dieses Studiums gezeichnet. Viele sehen dies vielleicht ganz anders. Aber deswegen ist dies auch ein persönlicher Rückblick. Wir haben auch schon gehört, was wir im Studium gelernt haben, gerne gelernt hätten und vielleicht hätten lernen sollen. Anders formuliert: Was hat diese Studium uns gebracht?
Eine solche Frage passt wunderbar in eine Zeit, in welcher der Ruf nach einem schlanken, effizienten und schnellen Studium immer lauter wird; und wir als Studierende haben uns vielleicht allzu willig diesem Trend angepasst. Studium scheint nur noch Mittel zum Zweck für einen schnellen und reibungslosen Berufseinstieg zu sein, wir versuchen die Anforderungen der Wirtschaft nach jungen und gut ausgebildeten Kräften zu erfüllen. Wenn ich heute in den Wirtschaftsteil einer Zeitung blicke, bekomme ich den Eindruck, wer nicht mit 24 Jahren sein Diplom macht, davor ein Jahr im Ausland studiert und noch drei Praktika absolviert hat, braucht eine Bewerbung erst gar nicht abzuschicken.
Ob solche Ansprüche gut oder schlecht sind, ob sie kommende Jahrgänge motivieren oder eher Angst auslösen, möchte und kann ich hier nicht beurteilen. Stattdessen möchte ich lieber zum Abschluss einen Kontrapunkt setzten, was Bildung und Studium noch sein kann:
Echte Bildung ist nicht Bildung zu irgendeinem Zwecke, sonder hat, wie jedes Streben, ihren Sinn in sich selbst. So dient Bildung nicht irgendeinem Endzweck, etwa uns reich, berühmt und mächtig zu machen, sondern trägt ihren Lohn in sich selbst. Das Streben nach Wissen, nach geistiger und seelischer Vervollkommnung ist nicht ein mühsamer Weg zu irgendwelchen begrenzten Zielen, sondern ein beglückendes und stärkendes Erweitern unseres Bewusstseins, eine Bereicherung unseres Lebens. Sie ist Erfüllung und Antrieb zugleich, ist überall am Ziel und bleibt doch nirgends rasten, ist Unterwegssein im Unendlichen, ein Mitschwingen im Universum, ein Mitleben im Zeitlosen. Ihr Ziel ist nicht Steigerung einzelner Fähigkeiten und Leistungen, sondern sie hilft uns, unserem Leben einen Sinn zu geben, die Vergangenheit zu deuten und der Zukunft in furchtloser Bereitschaft offen zu stehen. (Hesse, Schriften zur Literatur, Bd. I)
Dies stammt von Hermann Hesse und mag heute ein wenig pathetisch und zu schwülstig klingen. Dennoch kann man einen Schluss daraus ziehen: Die Frage, was hat uns dieses Studium gebracht, ist schlichtweg falsch gestellt. Wir müssen uns fragen: Wie hat dieses Studium uns verändert? Allgemein lässt sich das für über 60 Menschen keinesfalls beantworten - doch wir werden jetzt herausfinden (oder sind bereits dabei), jeder für sich und auf seine Weise, was wir hier gelernt und wie wir uns verändert haben, und ob wir auf unsere Aufgaben nun besser vorbereitet sind. Wir stehen der Zukunft vielleicht nicht mit furchtloser Bereitschaft offen, aber ich bin der Meinung, dass dieses Studium uns zumindest einen kleinen Teil der Furcht vor der Zukunft genommen hat. Damit ist dieser persönliche Rückblick beendet. Im Namen von uns dreien möchte ich mich für ihre Aufmerksamkeit bedanken und wünsche uns allen noch eine gelungene Diplomfeier.
Vielen Dank.