Auswirkungen auf Wahrnehmung und Aufmerksamkeit

Welche Auswirkungen haben Emotionen auf unsere Wahrnehmung und unsere Aufmerksamkeit? Wir greifen uns aus der reichhaltigen Forschung zu diesem Thema die folgenden beiden spezifischen Fragestellungen heraus:

- Welchen Effekt haben positive und negative Emotionen (bzw. Stimmungen) auf die Selbstaufmerksamkeit?

- Welchen Effekt hat Angst auf die Aufmerksamkeitsfokussierung?

Selbstaufmerksamkeit

Aus der Klinischen Psychologie ist bekannt, daß Menschen, die depressiv sind, sich vermehrt mit der eigenen Person beschäftigen, sich mehr Gedanken machen über das, was sie tun und was sie sind. Die naheliegende Hypothese ist nun, daß sich auch nicht-depressive Personen, wenn sie negativ gestimmt bzw. "traurig" sind, vermehrt mit sich selbst beschäftigen. Man bezeichnet dieses überdurchschnittlich starke Achten auf sich selbst als "Selbstaufmerksamkeit".

Meistens wird Selbstaufmerksamkeit als Persönlichkeitsmerkmal aufgefaßt, d.h. es wird davon ausgegangen, daß es selbstaufmerksame und selbstunaufmerksame Menschen gibt. In diesem Kontext wird sie aber als situativ schwankender Zustand einer Person konzipiert; die Frage ist also: Welche Ausprägung des Zustands der Selbstaufmerksamkeit zeigen Personen, die sich in einem bestimmten emotionalen Zustand (negativ vs. positiv) befinden?

Beispielhaft soll zu dieser Fragestellung die Untersuchung von Sedikides aus dem Jahr 1992 kurz referiert werden. Die Probanden sollten sich ein vorgegebenes trauriges, neutrales oder erfreuliches Ereignis vorstellen und sich mit diesem längere Zeit auseinandersetzen ("Imaginationstechnik"). Dadurch sollten sie in negative, neutrale bzw. positive Stimmungszustände versetzt werden.
Im Anschluß daran wurde die Selbstaufmerksamkeit der Probanden mit zwei Methoden gemessen:
- mit einem Fragebogen zur Selbstaufmerksamkeit (der aus der Persönlichkeitsforschung stammt) und
- anhand der Anzahl selbstbezogener Gedanken, die die Probanden in einem freien Gedankenprotokoll festhalten sollten.

Die Ergebnisse bestätigten die eingangs formulierte Hypothese: Die negativ gestimmten Probanden erzielten höhere Werte bei den Selbstaufmerksamkeitsmaßen als die beiden anderen Gruppen. Zwischen diesen - also den neutral und den positiv Gestimmten - fanden sich keine Unterschiede.

Dieses - übrigens auch in anderen Studien replizierte - Ergebnis erscheint ja auch dem Alltagsverständnis plausibel: Wer traurig und niedergeschlagen ist, der fängt schnell an, mit sich selbst zu hadern, oder stellt gar vieles an sich infrage. Und: Traurig wiederum ist meist der, der nicht mit sich selbst zufrieden ist. Insofern haftet unserem Befund eine gewisse Trivialität oder auch Zirkularität an.

Eine Anmerkung noch zu den Begriffen "Stimmung" im Unterschied zu "Emotion". Innerhalb der Emotionstheorien (Kap.2) wird meist strikt getrennt zwischen "Emotionen", die kurz und intensiv erlebt werden, und "Stimmungen", die mindestens mehrere Stunden andauern und von geringer Intensität sind. Innerhalb der "Auswirkungs"-Forschungsrichtung (Kap.4) wird jedoch Stimmung eher als eine Art von Emotion verstanden, so daß in Experimenten (wie dem von Sedikides) Stimmungsinduktion quasi als Operationalisierung von Emotionsinduktion verwendet wird (die in Experimenten dieser Art schwer durchzuführen ist).

Aufmerksamkeitsfokussierung

In der Studie von Mathews und Sebastian aus dem Jahr 1993 wird dagegen nicht eine Stimmung, sondern eine Emotion induziert: Von den Probanden, die ausnahmslos Angst vor Schlangen hatten (weil sie dementsprechend selektiv rekrutiert worden waren), wurde einer Gruppe eine große Spinne präsentiert, der anderen nicht. Dadurch sollte - so wurde vorausgestzt - bei der einen Gruppe Angst erzeugt werden, bei der anderen nicht.
Die Probanden sollten nun einen sogenannte "Stroop-Test" bearbeiten, d.h. sie sollten von Wörtern, die ihnen schriftlich in verschiedenen Farben dargeboten wurden, so schnell wie möglich die Farbe benennen. Manche der Wörter hatten etwas mit Schlangen zu tun (z.B. "Boa"), andere nicht.
Es zeigte sich, daß die ängstlich gemachten Probanden die Schlangenwörter schneller farblich zuordnen konnten als die neutralen Wörter. Bei der Kontrollbedingung ohne Spinne (d.h. ohne Angst) zeigte sich kein Unterschied.

Was hat das aber mit der Überschrift "Aufmerksamkeitsfokussierung" zu tun? Versuche erst einmal, selbst auf die Antwort zu kommen, bevor du weiterliest...

Die Autoren argumentieren folgendermaßen: Wenn wir ein Wort sehen, können wir nicht anders, als es zu lesen. Beim Lesen des Wortes können wir dessen Bedeutung mehr oder weniger beachten. Beachten wir sie mehr, d.h. schenken wir ihr mehr Aufmerksamkeit, brauchen wir länger, bis wir die Farbe benennen können. Diese Reaktionszeit ist somit ein Maß für die Aufmerksamkeit, die dem Wort zugewandt wird.
Die Frage ist nun, ob die Probanden, die aktuell wegen der Spinne Angst haben, emotional bedeutsamen Wörtern (also den Schlangenwörtern) weniger oder mehr Aufmerksamkeit schenken als die Probanden ohne aktueller Angst (d.h. ohne Spinne): Wehren sie die Reize, die die Angst betreffen, eher ab oder nehmen sie sie besonders intensiv wahr?

Erstere von beiden Hypothesen konnte durch die Ergebnisse bestätigt werden, d.h. die angsthabenden Probanden konnten - wie oben schon erwähnt - die Farbe der Schlangenwörter schneller benennen als die nicht-angsthabenden Probanden. Bei den neutralen Wörtern zeigte sich kein Unterschied zwischen beiden Gruppen.

Auch wenn andere Studien zu abweichenden Ergebnissen kommen, so liefert diese Untersuchung zumindest Hinweise darauf, daß bei Angst bedrohlichen Reizen wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird; ihre Bedeutung wird ignoriert. Die Aufmerksamkeitsfokussierung ist bei diesen Reizen also gering.

Alles klar? Wenn nicht, bitte mehr Aufmerksamkeit! ...und weniger Prüfungsangst! - Weiter mit den Auswirkungen von Emotionen auf das Gedächtnis...

Allgemeine & Theoretische Psychologie
Emotion
1.1 Was sind Emotionen?
1.2 Funktion von Emotionen
1.3 Klassifikation
2.1 Behavioristische Emotionstheorien
2.2 Kognitiv-physio. Emotionstheorien
2.3 Attributionale Emotionstheorien
2.4 Evolutionspsy. Emotionstheorien
3 Gesichtsausdruck
4 Auswirkungen
Literatur
Navigationsleist
zum Selbsttest