Am 22. Oktober 1915 war Wilhelm Windelband gestorben. Die Fakultät sandte eine Liste ans Ministerium, in der sie zur gleichzeitigen Besetzung zweier philosophischer Ordinariate "ohne beabsichtigte Rangfolge" Heinrich Rickert, Georg Simmel, Edmund Husserl , Heinrich Maier, Eduard Spranger und Ernst Cassirer vorschlug (1). - Zum 1. April wurde Windelbands Schüler Heinrich Rickert berufen, zwei Jahre später kam Heinrich Maier auf das andere Ordinariat; Hans Driesch war planmäßiger Extraordinarius für Philosophie geworden (2). - Zur Errichtung des geplanten pädagogisch-psychologischen Extraordinariates war es jedoch nicht gekommen.
Max Weber war
seit 22. Januar 1918 Ordinarius in Wien, er starb 1920 in München.
In der Medizinischen Fakultät wurde im Oktober 1917 ein neuer Direktor der Psychiatrischen Klinik gesucht; Kraepelin hatte Franz Nissl zum 1. April 1918 an die Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie in München gerufen. "Im Vorfeld des Verfahrens war auch bei Jaspers angefragt worden, der indessen aus gesundheitlichen Gründen ablehnen" mußte. Die Ausstattung der Klinik ließ zu wünschen übrig, und so wurde erst in einem zweiten Anlauf zum 16. Juli 1918 Karl Wilmanns gewonnen, der seit März 1917 die Anstalt bei Konstanz geleitet hatte (3). Bis zum Dienstantritt Wilmanns war Gruhle mit der Vertretung des Direktors betraut (4).
Wilmanns kam bei seinen Berufungsverhandlungen im Ministerium auch auf die unhaltbaren Zustände an der Klinik zu sprechen.
"Unter anderem seien sämtliche wissenschaftlichen Räume .. .verglichen mit denen anderer Universitätskliniken äusserst dürftig und behelfsmäßig. Am empfindlichsten /machten/ ... sich diese Mängel in den beiden im früheren Betsaal durch Erstellung von Korkwänden geschaffenen Räumen für experimentelle Psychologie fühlbar" Diese Räume seien viel zu klein und keineswegs geeignet.
In einer Denkschrift unterbreitete er diesbezüglich Verbesserungsvorschläge:
Die Einrichtung eines psychologischen Laboratoriums, das wenigstens bescheidenen Anforderungen genügt, ist daher dringend erforderlich. Das bisherige aus 2 Räumen bestehende Laboratorium im früheren Betsaal würde als Arztzimmer ... dienen können. Raum für ein psychologisches Laboratorium ist lediglich im Keller vorhanden... Um Licht und Luft einlassen zu können, wäre es allerdings erforderlich, die Räume mit einem Lichtschacht zu versehen und Fenster einzubauen" (5).
Abb. 11a: Plan der psychatrischen Klinik vor dem Umbau
Abb. 11b: Vorschlag für den Ausbau der Psychiatrischen Klinik
Am 19. Juni 1918 konnte der Dekan der Medizinischen Fakultät seinen Kollegen mitteilen, dass Wilmanns die Zusage für diesen Ausbau der Kellerräume erhalten habe (6) (vgl. Abb. 11).
"Es kam der Zusammenbruch und die Revolution, von der man freilich in Heidelberg so gut wie gar nichts merkte" (Hans Driesch (7)).
Unterdessen versuchten Jaspers und Gruhle, an der Universität ein Psychologisches Institut zu gründen (8). Aber die Aussichten waren wenig günstig, weshalb Gruhle am 13. Februar 1919 an Jaspers schrieb:
Gruhle, inzwischen Oberarzt, war im Februar 1919 der Titel eines außerordentlichen Professors verliehen worden (11). Am 7. Juni 1920 bat Wilmanns das Ministerium, diesem einen "Lehrauftrag für experimentelle Psychopathologie" erteilen zu wollen, und führte dazu aus:
Schließlich erschien 1921 im 18. Band der "Zeitschrift für angewandte Psychologie" folgende Nachricht:
Aus dem gemeinsamen Institut war nichts geworden, aber am 3. Februar 1920 bat Jaspers das Ministerium, "an das philosophische Seminar ... eine einmalige Zuwendung von 1000 Mk gelangen zu lassen, zur Beschaffung von Lehrmitteln für den Unterricht in der experimentellen Psychologie". Zur Begründung fügte er hinzu:
Wenig später wurde dem von Rickert und Maier befürworteten Antrag stattgegeben (17). Im Sommersemester 1920 las Jaspers "Experimentelle Psychologie" - im voraufgegangenen Wintersemester hatte er eine "Geschichte der Psychologie (Zur Einführung in die Grundbegriffe und Methoden psychologischen Denkens)" sowie "Psychologische Übungen (über Hegels Phänomenologie des Geistes)" angeboten.
Unterdessen war ihm, "gegen den Willen Rickerts, aber mit Zustimmung Heinrich Maiers", zum 1. April 1920 das planmäßige Extraordinariat für Philosophie des nach Köln berufenen Hans Driesch übertragen worden (18). Die Berufungskommission hatte beantragt, Jaspers als einzigen Kandidaten zu nennen; in ihrem Bericht hieß es:
Unterdessen war an der Technischen Hochschule in Karlsruhe seit 1.April 1920 ein planmäßiges Extraordinariat für Psychologie eingerichtet und mit Willy Hellpach besetzt (22). Ihm war seit 1921 ein "Institut für Sozialpsychologie" angegliedert, "in dem der Seelenkunde der menschlichen Arbeit und namentlich ihrer gewerblichen, neuzeitlichen Erscheinungs- und Betriebsformen besondere Sorgfalt gewidmet werden" sollte (23). 1922 erschienen zwei von Hellpach herausgegebene Bände "Sozialpsychologische Forschungen", die "Sprachrohr" eben jenes Instituts sein sollten (24).
Auch an der 1907 gegründeten, von Stadt und Handelskammer getragenen Handeishochschule Mannheim war ein Institut für Psychologie und Pädagogik entstanden (25).
Bereits im Oktober 1912 faßte der Senat der Handelshochschule den Beschluß, "alsbald Mittel ... für Vorlesungen über Philosophie, Psychologie und Pädagogik" bereitzustellen (26). Im nächsten Jahr fanden Besprechungen mit Schulen und Lehrerverbänden statt, wobei fast übereinstimmend das Bedürfnis nach Einrichtung solcher Vorlesungen bestanden hätte, weshalb der Senat eine hauptamtliche Dozentur für nötig" halte, wie der Rektor in einem Schreiben an das Kuratorium betonte (27). Dort wurden jedoch zunächst keine entsprechenden Beschlüsse gefaßt. Mitte 1916 wurde man erneut vorstellig. Die Mannheimer Lehrerschaft wollte ein Institut für experimentelle Psychologie; der Senat hatte entschieden, dieses in Verbindung mit der Handelshochschule zu errichten, und beschloß im Oktober "bei Beratung des Voranschlags für 1917 .. einen Betrag von 3.600 M als Gehaltsanteil für einen hauptamtlichen Dozenten für Psychologie in den Voranschlag einzustellen" (28). - Im November des darauffolgenden Jahres überreichte der Rektor dem Kuratorium eine Denkschrift, wobei er in seinem Begleitschreiben bemerkte, "dass die Dozentur im Voranschlage als psychologische bezeichnet worden /sei/ ... , um in der anschaulichsten Weise darzutun, dass der zu berufende Philosoph auch Psychologe sein müsse. In der Denkschrift hieß es, nachdem auf allgemeine philosophische und psychologische Bedürfnisse der Handelshochschule und - unter anderem - der Mannheimer Lehrerschaft eingegangen worden war:
Peters hatte unter anderem bei Wundt studiert, bei diesem 1904 promoviert und zwischen 1906 und 1908 in Kraepelins Münchner psychologischen Laboratorien über "Gefühl und Erinnerung" gearbeitet. Zwischendurch Assistent am Institut für Psychologie und Pädagogik in Frankfurt gewesen, habilitierte er sich 1910 in Würzburg für Philosophie, insbesondere Psychologie, - später wurde seine Lehrberechtigung dort auf Pädagogik ausgedehnt (32).
Am 24. April 1919 benötigte er "für sein Institut dringend eine Schreibmaschine nach System ‘Erika’" (33).
In einer "Akademischen Rede gehalten bei der Jahresfeier der Handels-Hochschule Mannheim am 26. Juli 1919" ging Peters auf seine Vorstellungen über die Philosophie an dieser Hochschule ein. Am Ende kam er auf die angewandte Psychologie zu sprechen:
Schon vor Peters' Amtsantritt war in Mannheim dem Betriebswissenschaftlichen Institut "ein mit allen wichtigen Apparaten ausgestattetes und fachmännisch geleitetes wirtschaftspsychologisches Laboratorium eingegliedert /worden/, dem die Erforschung der psychologischen Seite wirtschaftlicher und besonders betriebswissenschaftlicher Fragen" oblag. Leiter war Edmund Lysinski (37).
Peters, der die Apparate dieses Laboratoriums nicht benutzen durfte, verlangte im März 1921, jenes mit seinem Institut zu vereinigen (38). Dies sollte allerdings erst 1927 unter Otto Selz gelingen, der das wirtschaftspsychologische Laboratorium seinem Institut als "Psychotechnische Abteilung" eingliederte. Zu dieser Zelt hatte das Institut bereits neue Räume in N 2, 4 II bezogen (39).
Peters erhielt 1923 den neu gegründeten Lehrstuhl für Psychologie in Jena. Am 15. August 1923 wurde Otto Selz als sein Nachfolger berufen, der den Ruf zum 1. Oktober annahm (40).
Selz, der zunächst Jura und - nebenbei - Psychologie studiert hatte, wurde 1909 bei Theodor Lipps in München promoviert, habilitierte sich dann 1912 in Bonn bei Oswald Külpe und war seitdem dort Privatdozent (41).
In §2 seines Vertrages mit Stadt und Handelshochschule war vorgeschrieben, daß er "zur Übernahme von wöchentlich 10 Vorlesungsstunden seines Faches (Übungs- und Seminarstunden eingeschlossen) verpflichtet" sei und seinen Wohnsitz in Mannheim zu nehmen habe, sofern nicht vom Kuratorium eine Ausnahme genehmigt würde. - Mit Schreiben vom 4. Dezember 1923 teilte ihm der Minister des Kultus und Unterrichts mit, das Staatsministerium habe am 24. November beschlossen, ihm die "Amtsbezeichnung ordentlicher Professor an der Handelshochschule Mannheim zu verleihen" (42).
Diesen Minister
aber hatte man zuvor selbst gefragt, ob er nicht die Nachfolge Peters in
Mannheim antreten wolle - Willy Hellpach, Politiker, Psychologe, Nervenarzt.
Gleich nach dem Krieg war Willy Hellpach der Deutschen Demokratischen Partei, von der er dachte, "daß sie die ‘konservative Volkspartei’ des neuen Deutschlands werden solle", beigetreten (43) und für sie als Stadtverordneter in den Karlsruher Bürgerausschuß eingezogen. Zwischenzeitlich Extraordinarius und Leiter seines Instituts geworden, erkannte er es als Irrtum, öffentliches "Wirken im Kleinkram von Bürgerausschußdebatten finden zu wollen", und gab nach eineinhalb Jahren solchen Wirkens sein Mandat zurück (44). - Als dann Herrmann Hummel sein Amt als badischer Unterrichtsminister niederlegte, um in die Leitung der BASF überzuwechseln, suchte die DDP, der dieses Amt koalitionsgemäß zustand, nach einem Nachfolger. Man kam auf Hellpach (45). Am 7. November 1922 wählte ihn der Badische Landtag mit 51 von 76 Stimmen zum neuen Minister des Kultus und Unterrichts. Staatspräsident wurde der sozialdemokratische Innenminister Adam Remmele, dessen Stellvertreter der dem Zentrum angehörige Finanzminister Heinrich Köhler (46).
§54 der Badischen Verfassung schrieb vor: "Das Amt eines Ministers ist unvereinbar mit einer anderen selbstbesoldeten Stelle..." (47). Auf sein so freigewordenes Extraordinariat berief Unterrichtsminister Hellpach den Oberingenieur und Privatdozenten der Technischen Hochschule Hannover, Adolf Friedrich, der am 5. Juli 1924 zum 1. Oktober ernannt wurde (48), jedoch an der Lehrtätigkeit keinen Geschmack /fand/ und erst recht keinen an der forschender, gar an der experimentellen Psychologie; er hat /das/ ... Institut völlig verfallen lassen und großenteils in den Keller verbannt" (49). - Hellpach selbst war kurz nach seiner Wahl zum ordentlichen Honorarprofessor der Technischen Hochschule ernannte worden (50).
"Die Zeit, während der /Hellpach/ . .. das badische Ministerium zu führen hatte, ... war fürs Wirken überaus ungünstig, denn mitten in sie fiel Deutschlands ärgstes Nachkriegsjahr, 1923, mit Ruhrkampf und Inflation, Deflation und ‘Abbau’" (51).
Am 3. März 1925 wurde auf dem Heidelberger Bergfriedhof der erste deutsche Reichspräsident Friedrich Ebert beigesetzt. Als erster Redner trat Willy Hellpach, seit 7. November 1924 das jährlich wechselnde Amt des Staatspräsidenten bekleidend, im Namen der badischen Heimat vor die Trauergemeinde (52).
Zehn Tage später berichtete die Morgenausgabe der "Badischen Presse" in einem Drahtbericht:
Abb. 13: Plakat
zur Reichspräsidentenwahl 1925
Am 25. Oktober 1925 fanden in Baden Landtagswahlen statt; SPD und Zentrum stellten diesmal ohne Beteiligung der DDP die Regierung und Hellpach wurde nicht wiedergewählt (55). - Am 26. Oktober, drei Tage nach der Wahl, schrieb allerdings Gustav Stresemann in sein Tagebuch: