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IV
Während des Nationalsozialismus'

 

In Heidelberg stand am Morgen des 30. Januar 1933 das Thermometer bei wolkenlosem Himmel auf minus 3,9 Grad C; im Laufe des Tages zog jedoch Bewölkung auf, und die Temperaturen stiegen langsam über den Gefrierpunkt. Das "Tageblatt" brachte die elfte Fortsetzung von Paul van der Hurks "Kann man dieser Frau verzeihen", und in den Schloßlichtspielen lief "Unter falscher Flagge", ein spannender Spionagefilm mit Gustav Fröhlich (1). "Deutschland hat endlich einen Führer" - mit dieser Schlagzeile wartete anderntags die "Volksgemeinschaft - Kampfblatt der Nationalsozialisten" auf (2).

Sehr bald hatten die neuen Machtverhältnisse auch im Land Baden Auswirkungen. So wurde am 8. März Robert Wagner als Reichskommissar eingesetzt, der dann drei Tage später eine nationalsozialistische Regierung ins Karlsruher Amt führte (3). Auch an der Universität Heidelberg änderte sich einiges - sie bekam unter anderem ein Psychologisches Institut (4).
 

(21)
Die Übernahme des Mannheimer Instituts in neuer Situation

Die Handelshochschule in Mannheim war schon seit längerem durch finanzielle Schwierigkeiten bedroht. Bereits 1932 hatte man von einer Lösung durch eine Vereinigung mit der Heidelberger Universität geredet. Nun, nachdem die sozialdemokratisch geführte Stadtverwaltung aus ihren Ämtern vertrieben war, sollte es plötzlich sehr schnell gehen. Zur Debatte stand dabei auch die Übernahme des Mannheimer Instituts für Psychologie und Pädagogik - allerdings in "arisiertem" Zustand (5).

Sein Direktor, Otto Selz, war als "Angehöriger der jüdischen Rasse am 6. April aufgrund des am Vortag von Robert Wagner eilfertig ausgegebenen "badischen Judenerlasses" vom Staatsdienst beurlaubt worden (6). Zwar wären nach Inkrafttreten des am 7. April im Reich erlassenen "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" aufgrund seines Frontkämpferstatus  (§3) keine Maßnahmen gegen Selz geboten gewesen (7), doch sah sein Vertrag mit Stadt und Handelshochschule in § 6 vor, daß er, falls die Handelshochschule einmal nicht mehr bestünde, a) eine andere Diensttätigkeit übernehme oder b) in den Ruhestand zu versetzen sei - dies ganz nach Wahl der Verwaltung, und die entschied sich am 26. August für letzteres, "da ... /nun feststehe/, daß die Handelshochschule aufgelöst wird" (8). - An seinem Institut verblieben der seit Ende 1929 als planmäßiger Assistent angestellte Justus Bahle (9), der seit 1928 für Philosophie und Psychologie habilitierte Eduard Meyer, dem seit 1932 ein "ständiger vierstündiger Lehrauftrag für einführende Vorlesungen und Übungen auf den Gebieten der Philosophie und Psychologie erteilt" war (10), und Edmund Lysinski, ehemals Leiter des wirtschaftspsychologischen Laboratoriums, der inzwischen mit einem festen Lehrauftrag im Gebiet der Werbe- und Betriebspsychologie versehen und zum außerordentlichen Professor ernannt worden war (11).

Als sich die Heidelberger Philosophische Fakultät in ihrer Sitzung am 14. Juni 1933 über die etwaige Zuweisung des Mannheimer psychologischen Instituts beriet, war auf höherer Ebene schon über die Vereinigung von Handelshochschule und Universität verhandelt worden. Problematisch war, was mit den zu übernehmenden Planstellen und Anstalten geschehen sollte. Auf den psychologischen Lehrstuhl sei unter anderem bereits "verzichtet" worden. - Die experimentelle Psychologie sei, führte Karl Jaspers aus, nichts für ein Ordinariat (!), aber das "Material" wäre erwünscht. Heidelberg habe bereits "an der Psychiatrischen Klinik ein vortreffliches Institut" und zwei seien überflüssig, der Zusammenhang mit der Psychiatrie sei jedoch fruchtbar und unabtrennbar". Deshalb schlage er vor, mit Gruhle Fühlung aufzunehmen - und mit Hellpach. - Dann wandte man sich anderen Problemen zu (12).

Indessen vertrat Hans W. Gruhle wieder einmal den Klinikdirektor (13). Karl Wilmanns war am 4. Mai mit sofortiger Wirkung vom Dienst beurlaubt und in Untersuchungshaft gebracht worden. Er hätte einmal behauptet, "Hitler habe im ersten Weltkrieg an einer psychogenen Blindheit gelitten und sei deshalb im Lazarett gewesen - jedenfalls wurde er am 3. Juli aufgrund § 4 des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" (aus politischen Gründen ... ) endgültig entlassen (14). Das Ministerium ersuchte die Fakultät, Vorschläge zur Neubesetzung zu machen.

Diese nannte denn auch am 21. September aequo loco Carl Schneider und Hans Gruhle, gegen den Maßnahmen" nicht geboten waren und über den es dort hieß. "sein großes Wissen in pädagogischen und psychologischen Gebieten /mache/ .. ihn auch für andere Fakultäten wertvoll...'. (15). - Allerdings bedankte sich Carl Schneider bereits an eben jenem 21. September für den schon drei Tage zuvor (1) vom Ministerium an ihn ergangenen Ruf - der "Deutsche Physiker" Philipp Lenard hatte sich für ihn eingesetzt: "Es müssen jetzt anders ausgesuchte und auch junge Leute herbei ..." (16).

Unterdessen war in Baden eine neue Universitätsverfassung erlassen worden. Der Rektor sollte nun "Führer" der Universität sein. Er wurde nicht mehr gewählt, sondern vom Minister ernannt. Ihm wurden alle Befugnisse des seitherigen Senats übertragen. Zu seinem Vertreter konnte er aus dem gesamten Lehrkörper einen Kanzler ernennen. Den ebenfalls von ihm ernannten Dekanen stand in allen Fakultätsangelegenheiten das alleinige Entscheidungsrecht zu, wobei die Fakultätsmitglieder zur Beratung herangezogen werden konnten (17).

Erster Führer der Universität wurde der noch gewählte Jurist Wilhelm Groh, der den Privatdozenten der Medizin Johannes Stein zum Kanzler ernannte.

Inzwischen war die Angelegenheit "Handelshochschule" vorangetrieben worden. Am 19. Oktober hatte der unter der neuen xegierung ins Amt gekommene Hochschulreferent Eugen Fehrle - damals außerordentlicher Professor für klassische Philologie in Heidelberg - "dem Heidelberger Rektorat Anweisung erteilt, die Einschreibung der Mannheimer Studierenden an der Universität zu genehmigen" (18).

Am 23. Oktober kam die Philosophische Fakultät erneut zusammen. Der neue Dekan Hermann Grintert eröffnete die Sitzung mit einem ausdrücklich im Protokoll festgehaltenen "Heil Hitler". Bei Punkt zwei kam die Fakultät auf die Handelshochschule zu sprechen: Eine definitive Eingliederung, so der Dekan, sei noch nicht möglich, man müsse mit auf das Wintersemester beschränkten Lehraufträgen auskommen. - Bezüglich des Psychologischen Instituts schlug Jaspers vor, Gruhle zu beauftragen, derart, daß Gruhle und Hellpach Direktoren des neuen psycholog/ischen/ Instituts würden, das nach Übernahme des Mannheimer Instituts" entstünde. Ein Kollege fügte hinzu, man solle sich mit dem Dekan der Medizinischen Fakultät in Verbindung setzen, damit das Institut später nicht rein medizinisch orientiert wäre. Und Jaspers unterstrich, "das neue psycholog/ische/ Institut müsse zugleich der mediz/inischen/ und der philosoph/ischen/ Fakultät unterstellt werden" (19) (vgl. Abb. 18).

Jaspers hatte mit Gruhle Fühlung aufnehmen wollen. Jener arbeitete Richtlinien zur "Übernahme des psychologischen Institutsinventars der Mannheimer Handelshochschule an die Universität Heidelberg" aus, die er an Jaspers übersandte. Darin hieß es:

"1. Räume. Da es in Heidelberg schon ein psychologisches Institut mit 10 Räumen gibt (an der psychiatrischen Klinik), dürfte es sich kaum empfehlen, neue Räume zu schaffen, sondern das Praktischste ist wohl die Vereinigung des Mannheimer und Heidelberger Fundus an einer Stelle und zwar in der psychiatrischen Klinik.
3. Verfügung. Die Verfügung über die Gesamtapparatur steht zwei Direktoren zu, von denen der eine von der philosophischen Fakultät bestimmt wird (z.Zt. vielleicht Herr Professor Hellpach), der andere von der Direktion der psychiatrischen Klinik ernannt wird (z.Zt. vielleicht Herr Professor Gruhle). Beide leiten das psychologische Institut wissenschaftlich mit der Massgabe, dass die technische Verantwortung und Führung jährlich zwischen beiden wechselt. Etwa entstehende Meinungsverschiedenheiten werden durch die Zusammenarbeit der Dekane der medizinischen und philosophischen Fakultät zu klären versucht. Als letzte Instanz entscheidet das Ministerium.
4. Assistenz. Zur Betreuung der Räume und Apparate wird ein Assistent lediglich für die Zwecke des Instituts besoldet angestellt...
5. Aversum. Zur Instandhaltung der Apparate, der Bibliothek, zur Anschaffung des laufenden Bedarfs an Schreibmaterial u.dgl. wird ein Aversum festgesetzt. Dessen Höhe beträgt 1200 M jährlich..." (20).  

Abb. 18: Auszug aus dem Protokoll der Sitzung der Philosophischen Fakultät vom 23.Oktober 1933
 

Am 25. Oktober, zwei Tage nach der Fakultätssitzung, fand in Gegenwart Robert Wagners die letzte und endgültige Besprechung zwischen dem Ministerium und der Stadt Mannheim statt. §1 der zustandegekommenen Vereinbarung besagte, daß das Vermögen der Handelshochschule auf die Universität Heidelberg übergehe. §4 schrieb vor: "Vorhandene Institute und die dazu gehörigen Sammlungen werden übernommen" (21). - Am 4. November bat der Rektor und Führer der Universität Heidelberg den Dekan der Philosophischen Fakultät, "das Psychologische Institut der ehemaligen Handelshochschule Mannheim im Benehmen mit Herrn Professor Gruhle in den Räumen der psychologischen Abteilung des Psychiatrisch-neurologischen Instituts (Kellergeschoß) unterbringen zu wollen" (22). - Drei Tage später hatte der seit 1. November dort wirkende neue Klinikdirektor Carl Schneider seine Zustimmung gegeben, und weitere zwei Wochen später war das Inventar aus Mannheim bereits übernommen (23).

Im Einvernehmen mit der Fakultät ersuchte dann der philosophische Dekan in einem Schreiben an den Rektor die Regierung,  

"als Leiter des neuen Psychologischen Instituts die Herren Professor Gruhle und Professor Hellpach ernennen zu wollen. Da dieses Institut einerseits zur Medizin (Psychiatrie), andererseits aber zur Philosophie seine Beziehungen hat, wäre bei dieser Regelung verhindert, dass es bloss zu einem Anhängsel der Psychiatrischen Klinik herabsinkt" (24). Der Rektor leitete diesen Brief nicht einfach weiter, sondern beriet sich zunächst mit seinem Kanzler Stein, dem Klinikdirektor Schneider und dem Dekan der Philosophischen Fakultät Güntert. Anschließend trug er die Angelegenheit entsprechend dieser Beratung dem Hochschulreferenten Fehrle vor, dessen Zustimmung er fand, fragte nochmals bei Güntert und Schneider wegen eventueller weiterer Vorschläge nach (25) und berichtete schließlich dem Ministerium am 12. Dezember von den Verhandlungen:   "Man kam dabei zu dem Ergebnis, dass ein fruchtbares Arbeiten und ein erfolgversprechender Ausbau der hier gegebenen Möglichkeit am zweckmässigsten durch eine Arbeitsgemeinschaft zwischen der Philosophischen und der Medizinischen Fakultät erreicht wurde. Um diese zustandezubringen, schlage ich vor, den Kanzler der Universität, Professor Dr. Stein, mit der Leitung ... zu betrauen ..." (26).  
Abb. 19: Schreiben Fehrles vom 8.Januar 1934

 
Fehrle antwortete am 8. Januar 1934 im Auftrag seines Ministers:  

"Ich bin dem dortigen Antrag entsprechend damit einverstanden, daß Professor Dr.Stein mit der Leitung des psychologischen Instituts der Universität Heidelberg betraut und ihm ein Beirat, bestehend aus den Professoren Dr. Guntert und Dr. Schneider, beigegeben wird. Von dem Beizug der Professoren Dr. Hellpach und Dr. Gruhle zu den Arbeiten des Instituts habe ich Kenntnis genommen. Ich ersuche, hiernach das Weitere zu veranlassen" (27) (vgl. Abb. 19). Der Rektor gab am 22. Januar diese Nachricht an die beiden Dekane weiter (28). Im Verzeichnis der Vorlesungen des Sommerhalbjahres 1934 erschien unter den geisteswissenschaftlichen Instituten ein "Psychologisches Institut, Voßstr. 4":

 

Abb. 20: Aus dem Personal- und Vorlesungsverzeichnis der Universität Heidelberg 1933 und 1933/34
 

 

(22)
Das Personal des ehemaligen Mannheimer Instituts

Damit war das "entjudete"Mannheimer Institut übernommen und der Universität Heidelberg eingefügt. - Die Bezüge des in den Ruhestand gesetzten Otto Selz hatte die Stadt Mannheim zu tragen, "da sie ihn als ,Nichtarier * ohnehin hätte entlassen müssen" (29). Otto Selz lebte nun "als Jude" in Mannheim. Im Zusammenhang mit den Vorgängen um die "Reichskristallnacht" wurde er 1938 verhaftet. Nachdem aber die deutschen und holländischen Behörden die Aus- und Einreise offiziell genehmigt hatten, emigrierte er. - Am 24. Juli 1943 wurde er in Amsterdam verhaftet, "kam in das Konzentrationslager Westerbork und wurde ,am 24. August 1943 zum KZ Auschwitz überstellt'. Dann endet unser Wissen... Sein Tod ist für den 27. August 1943 in der Nähe von Auschwitz bescheinigt" (30).  

Ohne Ordinariat wurden weder die Assistentenstelle noch der Assistent Justus Bahle übernommen. Dieser hatte zwar am 9. Oktober 1933 beim Mannheimer Rektor die Übernahme nach Heidelberg beantragt und war bei Dekan Güntert vorstellig geworden, der sein Ersuchen auch an das Heidelberger Rektorat weiterleitete, hatte dann noch eine Zeitlang unbezahlt am Psychologischen Institut in der Klinik gearbeitet, doch beabsichtigte der nun für Assistenten zuständige Institutsdirektor Stein, ihn, wie auch den früheren Privatdozenten Eduard Meyer, nicht zu übernehmen. Bahle ging nach Jena, wo er sich schließlich 1936 habilitieren konnte (31).  

Eduard Meyer, für den Güntert in seinem Schreiben vom 20. November 1933 beantragt hatte, ihn als Hilfskraft oder Assistenten am Institut zu verwenden, hatte schon am 20. September die Heidelberger Philosophische Fakultät gebeten, sich umhabilitieren zu dürfen (32). Im Ministerium wurden dagegen keine Einwände erhoben; der Führer der Mannheimer Studentenschaft hatte eigens geschrieben, ihnen läge die Förderung solcher Kräfte am Herzen, die sie als Kämpfer für die nationalsozialistische Weltanschauung kennengelernt hätten, weshalb sie die "Unterstützung und Förderung von Privatdozent Dr. Meyer" befürworteten (33).

Zunächst wurde ihm für die "Dauer des Winterhalbjahres 1933/34 ein dreistündiger Lehrauftrag für Methoden und Probleme der experimentellen Psychologie" übertragen. Nachdem er im Februar nochmals bei der Fakultät angefragt hatte, erlaubte ihm diese am 10. Dezember 1934 schließlich die Umhabilitierung (34).  

Auch Edmund Lysinski konnte sich nach Heidelberg umhabilitieren. Er wurde später in die neu entstandene Staats- und Wirtschaftswissenschaftlicbe Fakultät übernommen (35).

 

(23)
Karrieren

Das Ministerium hatte auf die Direktion der Psychiatrischen und Neurologischen Klinik und das Ordinariat für Psychiatrie nicht Gruhle, sondern den bereits am 1. Mai 1932 in die Partei eingetretenen Carl Schneider berufen (36). - "Die Möglichkeit der Weiterverwendung des Oberarztes ... Hans Gruhle" wurde einstweilen nur bis Ende November 1933 genehmigt (37). Später, 1937, berichtete die Gestapo Heidelberg über ihn:

Im April 1934, einen Tag nach Beginn des Semesters, in dem erstmals "Psychologisches Institut" im Vorlesungsverzeichnis stand, zeigte Gruhle seinem Dekan ,1ergebenst" an, daß er bis auf weiteres die Vertretung des Bonner Ordinariats für Psychiatrie übernehmen werde, wofür ihn das Ministerium bereits beurlaubt hätte, und daß sein Ausscheiden "hier" auf den 25. des Monats erfolge (39).  

Bei Gruhles erster Vorlesung in Bonn saß übrigens der langjährige Kölner Ordinarius und "eben aus dem Amt gejagte" Gustav Aschaffenburg in der ersten Reihe (40).  

Im folgenden November war diese Vertretung bereits beendet, aber Gruhle auch dort nicht berufen worden. Dem Heidelberger Rektor schrieb er, ab Dezember zwar wieder in Heidelberg zu sein, doch möge er ihn für das laufende Semester weiterhin beurlauben (41). Seinen Direktor Carl Schneider setzte er davon in Kenntnis, aus dem Klinikdienst ganz ausscheiden und im badischen Anstaltsdienst eine neue Verwendung finden zu wollen (42), weshalb er ihn bat, sein Gesuch um Beurlaubung zu unterstützen.

Am 14. Februar 1935 hielt er nochmals zwei Promotionsprüfungen in Psychologie ab, war damals aber schon als Arzt in Weissenau angestellt. An der Universität galt er (als Privatdozent) noch bis 1937 als beurlaubt (43). - Nach einer kurzen Zeit am Württembergischen Innenministerium wurde er 1936 Anstaltsleiter in Zwiefalten, - "Sofort" nach Beginn der Aktion T4 - ,Euthanasie der Geisteskranken'- reichte "Gruhle ein Gesuch an das Innenministerium ein, man möge von der Freistellung seiner Person vom Militärdienst absehen und ihn einziehen". Er wurde Leiter eines Militärlazaretts in Winnenden (44).  

Willy Mayer-Groß war ebenso wie zwei andere Ärzte der Psychiatrisch-Neurologischen Klinik inzwischen vom Dienst suspendiert worden; er emigrierte nach England (45).  

Währenddessen machte der Leiter des Psychologischen Instituts und "Mediziner /Johannes/ Stein nach langem Warten (1926 in Heidelberg habilitiert) ... eine Blitzkarriere' (46). - Im Februar 1934 hatte sich die Medizinische Fakultät zur Neubesetzung des Lehrstuhls für Innere Medizin auf einen Vorschlag geeinigt, der Straub und Viktor von Weizsäcker gleichberechtigt an erster, Bohnenkamp und Stein ebenfalls gleichberechtigt an zweiter Stelle empfahl. "Professor Carl Schneider, der bei der Erstellung der Vorschlagsliste nicht beteiligt war, bat den Rektor . /einen Tag späten um ,Korrektur der Vorschlagsliste' dahingehend, daß Professor Stein an erster und Professor Weizsäcker an zweiter Stelle genannt werde." Auch der Rektor setzte sich für die Berufung seines Kanzlers ein, "den er als einzigen für fähig ansah, ,einen Ansatz für eine Umgestaltung und Neuentwicklung der Inneren Medizin zu schaffen'" (47). Zum 1. April wurde Stein vom Reichsstatthalter Robert Wagner zum ordentlichen Professor für Innere Medizin und Leiter der Krehl-Klinik ernannt (48). Gustav Adolf Scheel, Führer der Heidelberger Studentenschaft und später des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes, schrieb: "Die Heidelberger Studentenschaft sieht in Pg. Stein einen der hervorragendsten Kämpfer des Nationalsozialismus an den deutschen Hochschulen" (49).  

Der Staatspräsident a.D. Willy Hellpach hatte gleich zu Beginn dieser Jahre Schwierigkeiten bekommen. Obwohl "Maßnahmen nicht geboten" waren, traf auf ihn ein anderer Paragraph jenes "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" zu: §21 schrieb vor, die Bezüge der seit dem 9. November 1918 ernannten Reichsminister und Mitglieder von Landesregierungen neu festzusetzen, wobei 1930 ergangene Gesetze zugrundezulegen seien, "als ob sie bereits zur Zeit des Ausscheidens ... aus dem Amt in Kraft gewesen waren . Hiernach seit dem 1. April 1932.zuviel gezahlte Bezüge waren zurückzuzahlen - Nachzahlungen fanden allerdings keine statt (50).  

Also teilte am 5. Juli 1933 der badische Finanzminister Walter Kähler Hellpach mit, "daß nach § 12 seine Bezüge als Emeritus der TH Karlsruhe herabgesetzt und Rückzahlungen fällig werden müssen" (51). Hellpach bemühte sich zwar um Rücknahme der Entscheidung und wollte als Härtefall behandelt werden, doch Kähler bedauerte, legte seinen Fall allerdings in Berlin vor. Am 10. August hatte sich der ebenfalls neu ins Amt gekommene Staatsminister Paul Schmitthenner für ihn eingesetzt - politisch habe sich Hellpach "immerhin seit einigen Jahren wenigstens als Gegner des parlamentarischen Systems bekannt", aber ein neuerlicher Bescheid bedeutete unwiderruflich Rückzahlungen in Höhe von ca. 5000 RM und eine Kürzung der Bezüge von 720 auf 390 RM (52).  

Der Dekan der Philosophischen Fakultät schlug daraufhin in jener Sitzung vom 23. Oktober 1933 vor, "Herrn Hellpach, der in schwierige finanzielle Verhältnisse geraten sei, zu helfen", und einen Tag später bat er den Rektor, bei der Regierung einen weiteren Lehrauftrag für Hellpach zu erwirken. Mit dessen Bewilligung erhöhten sich seine Bezüge wieder um 480 RM (53).  

Am 1. Januar 1934 trat Willy Hellpach dem NS-Lehrerbund bei (54).
 

 

(24)
Das Psychologische Institut

Als Lehrer zum Psychologischen Institut "beigezogen", las Hellpach im Sommerhalbjahr 1934 "Entwicklungsgeschichte der Seele", "Standort und Wesensart, Erbgefüge und Geistordnung (Kultur)" und bot im Philosophischen Seminar "Elemente der Völkerpsychologie und Volksseelenkunde" an. Weder in diesem noch in den folgenden Semestern wurde im Vorlesungsverzeichnis darauf hingewiesen, daß im Psychologischen Institut Veranstaltungen abgehalten wurden. Selbst Eduard Meyers "Selbständige Untersuchungen auf dem Gebiet der allgemeinen und angewandten Psychologie", die nach Vereinbarung stattfanden und gratis waren, auch sein "Praktischer Einführungskurs in die experimentelle Psychologie", den 16 zahlende "Zuhörer" besuchten, wurde schlicht unter "Philosophie und Pädagogik" angekündigt, genauso die von Professor Carl Schneider zusammen mit Professor Freiherr von Weizsäcker angebotene "Psychologische Arbeitsgemeinschaft" (55).

Nachdem am 1. Mai 1934 in Berlin das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung gegründet worden war - die Unterrichtsverwaltung sollte zentralisiert werden (56) -, hatte dessen Minister Bernhard Rust im Juli unter anderem bestimmt, "daß vor Schließung bestehender oder Eröffnung neuer wissenschaftlicher Institute ... /seine/ Zustimmung einzuholen" sei. Er "habe Veranlassung, alle wissenschaftlicher Hochschulen des Reiches um genaueste Beachtung dieser selbstverständlichen Anordnung zu ersuchen..." (57).  

Das Psychologische Institut war aber nicht geschlossen worden, auch wenn sich keine Hinweise auf dort abgehaltene Veranstaltungen fanden. Allerdings gab es auch keine Veranlassung, Rust ausdrücklich von seiner Existenz zu informieren, zumal in den für Heidelberger Institute erstellten Listen mit Aversen ein "Psychologisches Institut" nie vorkam (58). Im März 1936 richtete Rust jedoch ein Schreiben an die Universitäten, man möge ihm eine Aufstellung mit den im jeweiligen psychologischen Institut durchgeführten Arbeiten zusenden. Der Heidelberger Rektor ließ eine solche Liste von Eduard Meyer in Vertretung des Institutsleiters Stein erstellen. So erfuhr man in Berlin, daß seit Beginn des Wintersemesters 1935/36 eine Dissertation sowie zwei sonstige Forschungsarbeiten im Institut abgeschlossen worden seien und daß an einer Dissertation und zwei sonstigen Forschungsarbeiten noch gearbeitet wurde. Dabei wurden weder Hellpachs Arbeiten aufgeführt, noch wurde erwähnt, daß der Institutsleiter Stein, von Weizsäcker oder Schneider dort arbeiten (59).  

Als dann die Universität ihre ersten 550 Jahre feierte, "äußerer Höhepunkt der nationalsozialistischen Universität" (60) - zu diesem Anlaß trafen Goebbels und Rust hier ein, der Führer ließ ein Grußtelegramm schicken, und zahlreiche ausländische Beteiligte besuchten die Stadt -, erschien ein kleiner, von der Pressestelle der Universität herausgegebener "Wegweiser durch ihre wissenschaftlichen Anstalten, Institute und Kliniken", worin auch das Psychologische Institut erwähnt wurde" (61) (vgl. Abb. 22).  

 

Abb. 21: Telegramm des Führers

Inzwischen war Eduard Meyer in die SA eingetreten und dort zum Rottenführer ernannt worden. Er wollte sich im Februar des Jahres 1937 nach Göttingen umhabilitieren (62). Er sei, so schrieb er in seiner Begründung hierzu, durch die Institutstätigkeit in Heidelberg an der Ausbildung von Heerespsychologen beteiligt gewesen, die nun von Dr. Johann Sebastian flach übernommen wurde, ferner habe er an "Untersuchungen über Schwachsinn (Mitentscheid bei der Frage nach Sterilisation), sowie an Berufsberatungen in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt" teilgenommen (63). Am 12. April 1937 erging gemäß neuer Habilitationsordnung von Berlin aus der Bescheid, daß Meyer mit Beginn des Sommersemesters 1937 in Göttingen wirke (64).

Abb. 22: Aus dem "Wegweiser" von 1936

 

 

(25)
Ernst Krieck

Geblieben war der ordentliche Honorarprofessor Willy Hellpach, doch sah sich der nach der Kürzung seiner Bezüge und dem Ärger über Rückzahlungen bereits neuem Unheil gegenüber. War doch zum 1. April 1934 der ehemalige Volksschullehrer und "Vorkämpfer der nationalsozialistischen Idee auf den Hochschulen", Ernst Krieck, auf den durch Heinrich Rickerts Emeritierung freigewordenen und dann umgewandelten Lehrstuhl für Pädagogik und Philosophie gekommen, ein Mann, den Hellpach nicht erst aus seinen Tagen als Unterrichtsminister kannte (65). Nun hegte er "die schwersten Befürchtungen wegen /dessen/ ... Haltung /ihm/ gegenüber .. und sah das Ende /seines/ ... Wirkens in dieser Fakultät gekommen" (66). -  

Die beiden hatten sich nach dem Krieg in Mannheim kennengelernt. Als Hellpach Unterrichtsminister und als solcher für den Abbau der Lehrerstellen, für Volksschulreform und Lehrerbildung zuständig war, gerieten die beiden aneinander. Krieck, damals Mannheimer Volksschullehrer und im Badischen Lehrerverein engagiert, veröffentlichte einige Artikel in der Badischen Schulzeitung, in denen Hellpachs Politik und dieser ab und an auch persönlich angegriffen wurde ( - "dem Unterrichtsminister eine -rote Nase anzudichten" - ). Schon vordem war ihre Meinung, das parlamentarische System betreffend, auseinandergegangen. Was Krieck Hellpach jedoch "nicht verzieh, war /dessen/ Ministeramt" (67). - Und diesen Artikelschreiber, der nie auf einer Hochschule studiert hatte, lediglich seit 1923 mit dem Ehrendoktor der Heidelberger Philosophischen Fakultät ausgezeichnet war (68), setzte man gerade Hellpach vor die Nase!  

Kriecks Aufstieg war zunächst unaufhaltsam. Als im Januar 1937 der badische Unterrichtsminister Dr. Otto Wacker zusätzlich zunächst vertretungsweise die Leitung des Amtes Wissenschaft in Rusts Ministerium übernahm und den Heidelberger Rektor Wilhelm Groh als stellvertretenden Amtschef mitnahm (69), wurde das Heidelberger Rektorat dem inzwischen in die 55 eingetretenen und als Gutachter für derer "Sektion Wissenschaft" arbeitenden Krieck übertragen (70). Grob hatte Krieck bereits im Oktober 1934 in seinen "Führerstab" gerufen und ein halbes Jahr später zum Dozentenschaftsleiter ernannt, was er bis zu seiner Ablösung durch Karl Schmidhuber im Juni 1936 auch geblieben war.
Seit Mitte 1935 war er dazu noch Gaudozentenbundsführer und seit der Zwangsemeritierung des Philosophieprofessors Ernst Hoffmann mit Karl Jaspers zusammen Leiter des Philosophischen Seminars (71).  

Krieck galt als "Prototyp des nationalsozialistischen Wissenschaftlers und als Aushängeschild der braunen Universität Heidelberg" (72).  

Aus seiner bereits 1934 konzipierten "Dozentenakademie" war der Gedanke eines "Volks- und kulturpolitischen Instituts" hervorgegangen (73), das sich, so Krieck in einer Denkschrift zur Gründung eines solchen Instituts an der Universität Heidelberg, nach außenhin darstelle "als eine Arbeitsgemeinschaft der überzeugten Nationalsozialisten unter den Wissenschaftlern", wobei diese eine "Wachstumszelle" sein solle, "von der aus die überlieferten ,Räume' der Universität ausgefüllt und umgestaltet, die bestehenden Fach- und Fakultätsschranken von einer übergreifenden Einheit überhöht" würden (74). - Das Karlsruher Ministerium begrüßte zwar eine solche Einrichtung, doch sei momentan kein Geld für laufende Mittel vorhanden; man möge sich - mit inneruniversitärer Umschichtung behelfen. Am 12. April 1937, nun schon Rektor der Universität, beantragte Krieck laufende Mittel in Höhe von 35.160 RM. Aus Berlin antwortete Wakker im Auftrag seines Chefs, alles würde zwar begrüßt, aber Geld sei keines verfügbar, die Deutsche Forschungsgemeinschaft wolle jedoch acht Forschungsstipendien übernehmen. Eineinhalb Jahre später beantragte Krieck erneut Geld, diesmal jährliche 12.060 RM zusätzlich zu den Stipendien. - Schließlich wurde ihm für das am 10. Juli 1939 eingeweihte Institut ein Aversum von 4.000 RM bewilligt - man war in das zu diesem Zweck erworbene Haus Hauptstraße 126/128 eingezogen (75).  

Nachdem zum 30. September 1937 auch der "jüdisch versippte" Karl Jaspers in den Ruhestand versetzt und dessen Lehrstuhl in ein Ordinariat fur Wehrpolitik und Wehrwissenschaft umgewandelt worden war, das dem seitherigen Extraordinarius für Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Wehrkunde und Leiter des Kriegsgeschichtlichen Seminars, Staatsminister Paul Schmitthenner übertragen wurde, war in Heidelberg kein Lehrstuhl mehr mit einem Philosophen besetzt, und Krieck, der sich erfolglos bemüht hatte, Jaspers' Entlassung in eine Entpflichtung umzuwandeln, war alleiniger Leiter des Philosophischen Seminars (76).

Doch dann brachte Kriecks "völkisch-politische Anthropologie" seinem Autor Schwierigkeiten mit Alfred Rosenberg ein (78). Im Juni 1938 suchte er um seinen Rücktritt als Rektor nach, der ihm zum 1. Oktober gewährt wurde. Er trat von sämtlichen politischer Ämtern zurück und hatte auch auf seine "Bitte hin mit Datum vom 2a. Oktober 1938 den ehrenvollen Abschied aus der SS erhalten", wie er selbst seinem Nachfolger im Rektorat, Paul Schmitthenner, später mitteilte (79).  

In diesem Wintersemester war mit 1.723 eingeschriebenen Studierenden, darunter 491 Studentinnen, ein Minimum erreicht; die Zahlen entsprachen etwa denen des Sommersemesters 1905 (80).

 

(26)
Willy Hellpach - Staatspräsident a.D.

Mitte März des Jahres 1938 war eine neue Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät vom Reichserziehungsminister genehmigt worden, die nun erstmals auch offiziell in § 6 die Psychologie als Hauptfach auswies. Im vorangegangenen Jahr hatte die letzte Promotion in Psychologie bei Hellpach stattgefunden (82). -

Hatte Hellpach andere Sorgen, als Doktoranden zu betreuen? 1936 fand in Jena der 15. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie statt - Frau Bahle trug bei dessen Eröffnung Lieder von Reger vor, und Willy Hellpach referierte später über Gemütserregung bei der Geschlechtsreife. An einem anschließenden Rundgespräch, von Hellpach veranstaltet, beteiligte sich unter anderem Erich Rothacker, der 1925 in Heidelberg die Interessen der Nicht-Ordinarien gegen Hellpachs Berufung ins Feld geführt hatte. Im Anschluß an diesen Kongreß löste Felix Krueger den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychologie auf und ernannte Erich Jaensch zu seinem Nachfolger (83). Dieser, vor dem Ersten Weltkrieg "Auslöser" jener Petition der 107 Philosophen, war in Heidelberg kein Unbekannter, hatte er doch bereits im ersten Heft der von Krieck herausgegebenen Zeitschrift "Volk im Werden" über "Völkische Bewegung und das Christentum" geschrieben und 1934 an gleicher Stelle seine "Eindrücke von den letzten Kongressen der Deutschen Gesellschaft für Psychologie" veröffentlicht (84).  

Einen Monat vor seiner Ernennung zum Vorsitzenden schrieb Erich Jaensch "streng Vertraulich" an Hellpach. Anläßlich einer Erörterung von Hochschulfragen habe er diejenige Heidelberg betreffend als besonders dringlich bezeichnet. Außerdem habe die Briefstelle (?), in der sich Hellpach über die Lossagung vom alten Regime ausspreche, sehr interessiert und sei zu den Akten genommen worden. Er, Jaensch, wolle in nächster Zeit versuchen, Krieck günstig zu stimmen (85). - Also hatte sich Hellpach vom alten Regime losgesagt?  

Am 18. Januar 1935, die Gestapo hatte sich fur ihn interessiert, schrieb er in seiner Stellungnahme:  

"Im Jahre 1930 habe ich einen tiefen Lebenseinschnitt vollzogen, nämlich mein Reichstagsmandat niedergelegt, die deutsche demokratische Partei verlassen und in ausführlichen öffentlichen Begründungen, die ihren Weg durch die gesamte Weltpresse gemacht haben, dies mit der Einsicht in das Unvermögen der formalen parlamentarischen Demokratie, unser deutsches Volksschicksal zu meistern, motiviert. Damals habe ich eine Totalrevision meiner theoretischen und praktischen Grundanschauungen vollzogen. Ich bin in den folgenden Jahren als einer der sachlich schärfsten Kritiker des demokratisch-parlamentarischen Systems in Deutschland bekannt gewesen" (86). Auch nach seiner Reichspräsidentschaftskandidatur hatte er noch aktiv in seiner Partei gearbeitet, hatte an den Tagungen des Weimarer Kreises verfassungstreuer Hochschullehrer teilgenommen und sich schließlich 1928 entschlossen, ein Reichstagsmandat anzunehmen (87). Am 3. März 1930 legte er dieses Mandat jedoch schon wieder nieder. Die "Neue Badische Landeszeitung" berichtete dazu in ihrem Leitartikel: In seinem Schreiben zur Mandatsniederlegung war zu lesen, er hätte damals den Versuch unternommen, trotz 1'Berufswirkens als Gelehrter . im Parlament an der großen und dringlichen Aufgabe einer Reichs-, Reichstags- und Reichstagswahl-Reform mitzuwirken", der nach jeder Richtung hin vollkommen negativ ausgefallen sei (89) - Zwei Tage später buchte die Bayernausgabe des von Adolf Hitler herausgegebenen "Völkischen Beobachters" den "Fall Hellpach" in ihrem Leitartikel "Hellpachs Faustschlag gegen die Republik" auf ihr "Konto deutscher Aktivität" (90).

An den nächsten Tagungen des Weimarer Kongresses nahm Willy Hellpach nicht mehr teil (91), dafür aber im November 1932 an der Europa-Tagung der Königlich-Italienischen Akademie in Rom, worüber er mehrere Artikel verfaßte, etwa "Das fascistische Italien und der europäische Geist", worin er sich mit Sympathie für Mussolini und dessen Fascismus äußerte. Freilich zog er Parallelen zwischen jenem und seiner eigenen "Konservativen Demokratie" und weniger zur nationalsozialistischen Bewegung im eigenen Land. Dieser sprach er vor allem die Fähigkeit zum "Bündnis mit dem Geist" ab, und in einem Leitartikel in der "Neuen Zürcher" zur Märzwahl des Jahres 1933 brachte er zum Ausdruck, daß auch die Blut- und Rassendogmatik des Nationalsozialismus einen wesentlichen Unterschied zum Fascismus ausmache. Allerdings schloß Hellpach den Artikel mit dem Satz: "Für den geistigen Menschen ist die heutige Stimmabgabe eine der schwersten, die er je zu treffen gehabt hat" (92).  

War aber die Ablehnung des alten Regimes gleichbedeutend mit einer aktiven Hinwendung zum neuen? War die Sympathie für den italienischen Faschismus gleichzusetzen mit Linientreue gegenüber dem Nationalsozialismus? (93). Vor allem, was könnte solche Linientreue gewesen sein, die jenseits aktiver Teilnahme an Parteiumtrieben anzusiedeln wäre?  

Wenige Tage nach seiner Stellungnahme schrieb die Gestapo jedenfalls nach Berlin, Hellpachs Verhalten habe "bis jetzt zu keinen Beanstandungen geführt", und man sei der "Überzeugung, daß Prof/essor/ Hellpach voll und ganz hinter der nationalsozialistischen Regierung" stehe (94).

Sieben Jahre später, als Hellpach zu Vorträgen im Rahmen des deutschen Volksbildungswerks herangezogen werden sollte und erneut ein Gutachten über ihn angefordert wurde, meinte man im NS-Dozentenbund, seit dem Umbruch habe er sich "politisch immer einwandfrei verhalten und niemals ein Hehl aus seiner positiven Einstellung zum Nationalsozialismus gemacht". Im Gutachten stand allerdings, seine beschreibenden Analysen seien nützlich, "obwohl seiner Arbeit bis zuletzt die bei ihrer Vielseitigkeit besonders nötige weltanschaulich-politische Klarheit und Konzentration" fehle (95).

 

(27)
Namentlich ein Psychologisches Institut

Nach der faktischen Vereinigung der Handelshochschule durch die Universität Heidelberg 1933 hatte es noch lange Schwierigkeiten bezüglich der Finanzierung gegeben. Erst am 1. Februar 1939 genehmigte der badische Finanzminister einen im vorangegangenen Herbst unterzeichneten Vertrag zwischen Mannheim und dem Unterrichtsministerium. Dessen § 2 besagte:  

"Die Institute und die dazu gehörigen Sammlungen der Handelshochschule werden auf 1. April 1938 endgültig an die Universität übernommen, nachdem sie bereits früher dorthin verbracht worden sind. Die dazu gehörigen Gegenstände gehen zu diesem Zeitpunkt in das Eigentum des Landes über" (96). Zwei Wochen zuvor hatte der Direktor der Psychiatrisch-Neurologischen Klinik Carl Schneider dem Heidelberger Rektor geschrieben:   "Wie mir fernmündlich vom Sekretariat mitgeteilt wurde, ist geplant, das nur dem Namen nach bestehende psychologische Institut aufzulösen. In meiner Klinik befinden sich aus den Einrichtungen des Instituts 1) eine psychologische Bibliothek, 2) eine philosophisch pädagogische Bibliothek und 3) eine Reihe von Apparaten zu psychologischen Experimenten und psychologischen Eignungsprüfungen. /Ich bitte bei der Verteilung des Gutes zu beschließen, dass die psychologische Bibliothek in die Bibliothek der psychiatrischen Klinik übernommen werden darf... Die Apparaturen dürften nur für psychologische Institute geeignet sein. Über ihre Verwendung vermag ich infolgedessen keinen Vorschlag zu machen... (97) Ende April wurde Schneider mitgeteilt, daß Krieck vorbeikäme, um sich den philosophisch-pädagogischen Teil der Bibliothek anzusehen. - Einen Tag nach Schneiders Brief wurde einer Anfrage aus Tokio geantwortet, das Psychologische Institut der Handelshochschule sei aufgelöst und dessen Aufgaben vom Philosophischen Seminar und der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg übernommen worden (98).

In dem für das Sommersemester herausgegebenen Personal- und Vorlesungsverzeichnis erschien nun kein Psychologisches Institut mehr. Allerdings brachte der Heidelberger Hochschulführer desselben Semesters noch eine entsprechende Notiz, genau so das Deutsche Hochschulverzeichnis 1938/39 und der Badische Geschäfts- und Adresskalender für 1939; auch im 1938 erschienenen Jahrbuch der Gelehrten Welt "Minverva" fand sich das Psychologische Institut unter der Leitung des Johannes Stein verzeichnet (99) Es hatte also als Institut bis dahin "dem Namen nach" bestanden.

Am 1. September 1939 marschierten deutsche Truppen in Polen ein.
 

 

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Nach Eingliederung der Handelshochschule

Die Eingliederung der Handelshochschule in. die Universität hätte der Heidelberger Psychologie zu einer an anderen Universitäten längst üblichen Institutionalisierung verhelfen können; doch nun war sie bis auf Hellpachs Lehraufträge und die an der Klinik verbliebenen Inventarreste eines Instituts aus dem Blick geraten.  

Die Verlegung der Handelshochschule brachte auch eine Verlegung planmäßiger Stellen aus dem Haushalt der Stadt Mannheim in den des Landes Baden mit sich; diese ökonomiche Seite der Angelegenheit darf, bei aller politischen Eingebundenheit, nicht übersehen werden. Den Fakultäten der Universität wurden neue Stellen geschaffen, über deren Besetzung sie keine ordentlichen Berufungsverfahren durchführen konnten, und deren finanzielle Ausstattung durch Umschichtungen innerhalb des Universitätsetats, also durch Kürzungen in anderen Bereichen, geleistet werden sollte, d. h. mit möglichst geringer Mehrbelastung des Staatshaushalts. - Weil das psychologische Ordinariat "entjudet" wurde, und die Ruhestandsbezuge Otto Selz , von der Stadt Mannheim zu tragen waren, bestand auf administrativer Seite keine Notwendigkeit mehr, dieses Ordinariat in das Budget der Universität Heidelberg einzustellen. Allerdings fanden wir auch keinerlei Belege irgendwelcher Bemühungen der Heidelberger Philosophischen Fakultät, dieses Ordinariat zu übernehmen - oder gar den Ordinarius Selz durch Schaffung dieser Stelle vor dem Ruhestand zu bewahren. - Nicht einmal laut "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums war diese Versetzung in den Ruhestand zwangsläufig, doch fanden wir keine Dokumente eines Protestes der Fakultät gegen das Vorgehen der Verwaltung. Vielleicht war man froh, derart einfach um ein zusätzliches Fakultätsmitglied und ein zusätzliches Ordinariat herumzukommen, zumal die Fakultät traditionell kein besonderes Interesse an einem psychologischen Lehrstuhl zeigte.  

So wurde das Mannheimer Institut Gruhles Laboratorium eingefügt, allerdings nicht mehr als sein Sachinventar. Daß Aversen oder dergleichen in den Haushaltsplan eingestellt worden wären, blieb uns unbekannt. Wahrscheinlich begnügte man sich mit den innerhalb der Psychiatrischen Klinik für wissenschaftliche Laboratorien festgesetzten Haushaltsmitteln. Problematisch aber war die Direktion eines - nunmehr offiziell - auf zwei Fakultäten verteilten Instituts ohne Lehrstuhl. In diesen Führerzeiten eine kollegiale, jährlich wechselnde Leitung einzurichten, deren oberste Instanz im Streitfall das Ministerium hätte sein sollen, wäre - wenn überhaupt vorstellbar - kaum realisierbar gewesen. So könnte es rein zeitgebunden-verwaltungstechnischen Motiven entsprungen sein, den Kanzler und Stellvertreter des Rektors zum Leiter zu bestimmen. Ein Kompromiß zwischen Philosophie und Psychiatrie? - Oder auch nur die genehmste Regelung unter angepaßten Parteianhängern, gegen die niemand mehr Einwände erhob?  

Von da ab war jedenfalls ein Parteigenosse, Internist und Direktor der Krehl-Klinik Leiter des Instituts, von dessen psychologischen Interessen - sofern sie überhaupt vorhanden waren - uns nichts bekannt geworden ist, ohne den ein weiterer Ausbau des Faches nicht mehr möglich war, Zusätzlich war das Institut bei einem Psychiater (und ebenfalls Pg.) untergebracht, der für seine neu eingefuhrte Arbeitstherapie Platz brauchte (ein ewiges Problem der Klinik), andererseits keine sichtbaren Aktivitäten im Bereich einer selbständigen Psychologie außerhalb der Psychiatrie erkennen ließ, die ein Psychologisches Institut erfordert hätten. - Schließlich verließ Hans W. Gruhle die Klinik und seine alte Wirkungsstätte im Keller. Angesichts des neuen Chefs, der veränderten Lage innerhalb der Psychiatrie und wohl auch aus Bitterkeit über das aus politischen Gründen gescheiterte Weiterkommen wird er die festbesoldete Stelle eines Anstaltsarztes vorgezogen haben. - Als einziger arbeitete Eduard Meyer, Privatdozent und auf Kolleggelder seiner Studenten angewiesen, weiterhin im Institut.  

Als auch dieser ging, blieb nur noch Willy Hellpach, als ehemaliger demokratischer "System"-Minister in schwierige finanzielle Verhältnisse geraten", mit einem ihm nur zu gut bekannten Ernst Krieck als am Schluß einzig für Psychologie verbliebener Fachvertreter in der Philosophischen Fakultät. Ob sich Hellpach in diesen Jahren um den Ausbau des Instituts gekümmert hat, ob er je seine Räume betreten hat, können wir nicht sagen. (Aus einem Brief Meyers an Hellpach aus der Zeit nach 1945 geht hervor, daß die beiden sich persönlich nicht näher gekannt haben; denn Meyer meint, Hellpach die Geschichte des nach Heidelberg gekommenen Mannheimer Instituts erzählen zu müssen (100)). Wohl erkundigte sich Hellpach nach dem Verbleib seiner alten Karlsruher "Apparaturen zur Experimentalpsychologie" die nach der Wegberufung Friedrichs nicht mehr gebraucht wurden - aber sie waren verschollen (101).  

Hatte Hellpach überhaupt den Mut, sich aktiv an der Heidelberger Universität für den Ausbau seines Faches einzusetzen, oder wartete er, zurückgezogen mit eigener Forschung und Schriftstellerei beschäftigt und vielleicht Zeiten politischer Wirksamkeit nachträumend, bis von dritter Seite ein "fürs Wirken" günstigerer Boden bereitet würde? Durch Hilfen der sowohl mit ihm als auch mit Ernst Krieck bekannten Psychologen Erich Jaensch und Oswald Kroh? (102)  

Ob sich Krieck für die Psychologie eingesetzt hätte, bleibt bei seiner Einstellung dem Fach gegenüber und bei seinen Bemühungen um sein eigenes Institut fraglich (103). - Aber wer wäre sonst noch gewesen?

 

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Bemühungen um die Psychologie unter veränderten Bedingungen

Fünf Monate nach Kriegsbeginn wurde der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychologie aktiv. Nach Jaenschs Tod hatte Oswald Kroh ihren Vorsitz übernommen. Eine Fachkommission arbeitete an einer Diplomprüfungsordnung für Psychologen (104). - Als im selben Monat Otto Wacker starb, wurde ab Juni 1940 der Rektor der Universität Heidelberg, Staatsminister Paul Schmitthenner, durch Führererlaß mit der Wahrung der Geschäfte des Ministers des Kultus und Unterrichts in Karlsruhe betraut (105).  

Am 16. Juni 1941 wurde die Diplomprüfungsordnung für Psychologen erlassen (106) (vgl. Abb. 23).
 

 
 
Abb. 23: Auszug aus der Diplomprüfungsordnung
 

Zwei Wochen später ging der Professor der Inneren Medizin, Johannes Stein, an die Universität Straßburg (107); seit März war Richard Kienast Dekan der Heidelberger Philosophischen Fakultät, ein Mann, dessen Berufung zum Ordinarius für deutsche Philologie 1938 zunächst für ein Jahr zurückgestellt worden war, weil der "Stellvertreter des Führers" .. moniert hatte, daß Kienast als Mitglied der NSDAP und des NS-Dozentenbundes in der letzten Zeit eine aktive Mitarbeit in der Bewegung habe vermissen lassen" (108).  

§ 3 der neuen Prüfungsordnung sah als Vorsitzenden des Prüfungsausschusses den jeweiligen rnhaber des planmäßigen Lehrstuhls für Psychologie vor, den Heidelberg allerdings nicht vorweisen konnte. - Am 9. September 1941 bemühte sich der Rektor der Universität und kommissarische badische Unterrichtsminister Schmitthenner daher,

"Hellpach eine planmäßige Professur zu verleihen. in seinem Antrag betonte der Rektor, er lege großen Wert darauf, daß in Heidelberg die Möglichkeit zu einer psychologischen Diplomprüfung bestünde, Er wies auf die Entwicklung des Berufes des Heerespsychologen, die Rolle der Universität Heidelberg im Wehrkreis XII bei der Ausbildung wehrmachtspsychologischen Nachwuchses, den Einsatz der Psychologie bei Berufsberatung und Berufslenkung, die Interessen der Industrie im Rhein-Main-Raum und die Verbindung der Psychologie zu anderen Fächern der Universität hin. Da Heidelberg mit Hellpach einen anerkannten Fachvertreter besitze, entspräche es dem Interesse der Universität, ,wenn Herr Hellpach durch Verleihung einer planmäßigen Professur in die Lage versetzt /würde/ .. , nach den Vorschriften der neuen Prüfungsordnung das Studium der Psychologie an der Universität Heidelberg aufzubauen'". Das Karlsruher Ministerium unterstützte diesen Antrag (109).  

Zuvor hatte Kienast über den Rektor angefragt, ob Hellpachs Lehrauftrag über dessen 65. Geburtstag (am 26. Februar 1942) hinaus verlängert werden solle. Bei der augenblicklichen Lage der Psychologie sei dies "bis zu einer endgültigen Regelung der Frage der Errichtung eines ordentlichen psychologischen Lehrstuhls dringend erwünscht". Noch vor Hellpachs Geburtstag konnte Karlsruhe den Bescheid des Reichserziehungsministeriums, der Lehrauftrag sei "auf die Dauer des Krieges" verlängert, an die Universität weiterleiten (110).  

An Hellpachs Geburtstag gingen von verschiedenen Seiten viele Glückwünsche ein. Unter anderem gratulierte Schmitthenner namens der Universität und in /seinem/ .. eigenen Namen". Schmidhuber übermittelte Wünsche "namens des Dozentenbundes und der Dozentenschaft" und schloß eigene zum Wohlergehen an. Fehrle, seit Dritten des Monats Nachfolger Kienasts, übersandte als Dekan der Philosophischen Fakultät Grüße (111).  

Einen Monat später legte Fehrle dem Rektor "befürwortend" ein Schreiben Hellpachs vor, in dem dieser um Reaktivierung des Psychologischen Instituts nachsuchte:  

"Die im Juli v.J. vom Herrn Reichserziehungs-Minister erlassene Diplomprüfungsordnung für den Psychologenberuf erfordert an einer Reihe von deutschen Hochschulen erstmalige oder ergänzende Einrichtungen und Ausstattungen für die experimentelle Seelenkunde ... Nachdem es im Jahre 1933 und auch bei späteren nochmals in derselben Richtung erfolgten Schritten nicht möglich gewesen ist, das z.Zt. vortrefflich ausgebaute psycholog. Institut der Mannheimer Handelshochschule den Unterrichtszwecken der Philosophischen Fakultät zuzuführen und sicherzustellen, ergibt sich für Heidelberg die unaufschiebbare Notwendigkeit, eine eigene Lehrstätte der experimentellen Psychologie aufzubauen...

Ueber die gegenwärtigen Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer experimentalpsychologischen Ausrüstung wird der Unterzeichnete in den nächsten Wochen persönliche Besichtigungen u. Besprechungen an führenden psychologischen Instituten Deutschlands durchführen, welche eine Grundlage für konkrete Mindestvoranschläge liefern sollen.

Es fehlt aber hierorts an jedem elementarsten Unterrichtsdemonstrations-Material für die Einführungszwecke der Experimentalpsychologie. Solange in dieser Hinsicht auch das Bescheidenste nicht vorliegt, kann nicht einmal eine wirkliche Einführungsvorlesung, geschweige denn ein Kurs dieser Art gehalten werden. ... Da ich, nach dem seinerzeitigen Scheitern der eingangs bezeichneten Bemühungen, mich selber auf die Pflege der Sozial-, Völker-, Kultur- und Entwicklungspsychologie habe beschränken müssen, so sind wir heute hier jeder Demonstrationsmaterialien bar. Die paar primitiven Dinge, die ich aus eigenen Mitteln zur Vorführung allereinfachster Tatbestände hergestellt habe, reichen, wie sich im vorigen Semester schon erwiesen hat, bei der stark angestiegenen, rund verdreifachten Hörerzahl der Hauptvorlesung (Im verflossenen SS weit über 100, statt früher 25 bis 45) einfach nicht mehr aus...

Ich stelle daher den Antrag, daß für die erstmalige Unterrichts-Ausstattung der Hauptvorlesungen über Psychologie im Sinne der ergangenen Diplomprüfungs-Anforderungen zu schleunigen Anschaffungen von elementaren Lehrmitteln sofort ein Betrag von 1500 (eintausendfünfhundert) RM verfügbar gemacht werde. Ich werde bei meinen demnächstigen Besprechungen in Leipzig, München und Jena mich vergewissern, wie dieser Betrag auf die sparsamste und doch sachlich zweckentsprechendste Weise nutzbar gemacht werden kann. Es tut aber Eile dringend not, weil der Bezug von jenen Unterrichtsmitteln immer schwieriger wird, da ein Teil davon fabrikmäßig nicht mehr geliefert werden kann.

Heil Hitler! W. Hellpach (112)

Anfang April 1942 ging der Direktion der Psychiatrischen und Neurologischen Klinik ein Schreiben zu, in dem es hieß, man möge die "nach Überführung der Handelshochschule ... dorthin einstweilen abgegebenen Apparate und Bücher des ehemaligen Psychologischen Instituts der Handelshochschule an die Philosophische Fakultät" zurückführen; oder ob dem grundsätzliche Bedenken entgegenstünden. (113) - Für die Abgabe der Bücher und Apparate, antwortete Carl Schneider am 15. des Monats, bestünden weniger "grundsätzliche als praktische Bedenken": "Die Bücherei ist seinerzeit bei der Errichtung des Seminars von Herrn Prof. Krieck geteilt worden, der philosophische Teil der Bücherei ist an dieses Seminar abgegeben worden. Der grössere Teil der psychologischen Bücherei kann ohne weiteres dem Institut überlassen werden. Jedoch sind Teile der Bücher, etwa 20 Stück, in die Bücherei der psychiatrischen Klinik überführt worden. Die Apparate sind zum grössten Teil, nachdem unsere Keller, in denen sie aufgestellt waren, zu Luftschutzzwecken genutzt werden mussten, vorläufig verpackt und sind mit dem eigenen Gut der Klinik an psychologischen Apparaten zusammengestellt worden... Zur Zeit würde ich allerdings weder das Personal noch die Räume zur Verfügung stellen können, die eine Sortierung benötigte" (114).  
(30)
Carl Schneider

Carl Schneider hatte zu jener Zeit andere Sorgen.

Er war von Anbeginn an der Euthanasie-Aktion beteiligt gewesen, "spätestens seit 1. Juli 1940 als bezahlter Gutachter für die Thiergartenstraße 4", die Zentrale dieser Tötungsmaschinene. Etwa zur Zeit des erwähnten Schreibens, Anfang 1942, erhielt Schneider von der s s Dachorganisation der Euthanasieaktion 5000 Reichsmark für Forschung von ‚kriegswichtiger Bedeutung', die ,Probleme der Idiotie und der Epilepsie‘ zum Gegenstand haben sollte". Im Anschluß daran konzipierte er einen weitergehenden Forschungsauftrag, in den neben der Anstalt Wiesloch auch die Tötungsanstalt Eichberg einbezogen war.  

Die Forschung kam kriegsbedingt nur allmählich in Gang, aber Anfang 1944 konnte er mitteilen, "daß er ‘nunmehr an den Reichsausschuß die ersten Anträge stellen wolle. Die Verlegungen sollen dann am besten nach dem Eichberg erfolgen mit der ausdrücklichen Anweisung, die Gehirne an uns zu geben’" (115).

Allerdings gab es später Probleme, weil der Eichberg nicht wunschgemäß geliefert hatte, und Carl Schneider schrieb:  

Wie Sie wissen, sind die Kinder in unserem Auftrag durch die Transportgesellschaft nach dem Eichberg verlegt worden. Der Eichberg behauptet nun, nichts davon gewußt zu haben, daß die Kinder von uns waren... - um so mehr als uns ja der Eichberg die Gehirne der bei ihm sterbenden Idioten ohnehin schicken sollte.

Auch erwies sich, daß im Eichberg zu wenig Formalin da war, so daß die Gehirne verdorben sind. Ein Teil der Kinder ist nicht seziert. Auf jeden Fall werden wir von etwa 10 der von uns untersuchten Idioten keine Gehirne bekommen. Ein weiterer Teil fällt aus, teils weil sie nicht verlegt worden sind, teils weil sie offenbar nach dem neuerlichen Vergehen nicht mehr unter die Bestimmungen des Reichsausschusses fallen. Ich muß also rechnen, daß nur die Hälfte der Idioten, die wir hier untersucht haben, voll für die Untersuchung zur Verfügung stehen werden. Das ist sehr bedauerlich, aber nicht zu ändern. Darum habe ich natürlich in erster Linie an der ständigen Vergrößerung des Materials Interesse und bin daher froh, wenn man uns grundsätzlich ermächtigt, die Dinge weiterzuführen in der Form, wie ich es Herrn Blankenburg vorgeschlagen habe..." (116).

Auf dem Eichberg bekam das Pflegepersonal den Auftrag zur Tötung der Patienten. "Dr. Walter Schmidt ... pflegte ... bei der Abendvisite bei einem Kranken stehenzubleiben und zu sagen: ‘Der gefällt mir nicht mehr’" (117).

In der Nacht vom 10. zum 11 Dezember 1946, nach Inhaftierung durch die Alliierten, beging Carl Schneider Selbstmord" (118).
 

 

(31)
Fortsetzung der Bemühungen um die Psychologie in Heidelberg

Noch im April 1942 berichtete Fehrle dem Rektor, er habe in der Fakultät besprochen, daß "an der Universität hier ein psychologisches Institut gegründet werden solle. Die Fakultät würde eine solche Gründung begrüßen". Nun sei allerdings die Raumfrage zu klären (119).  

Etwa um diese Zeit wandte sich Ernst Krieck an den Ministerialdirektor im Unterrichtsministerium, um auf "schwebende Probleme der Fakultät" zu sprechen zu kommen, wovon eines Hellpach betraf. Er habe nie etwas dagegen gehabt, daß dieser blieb, "WO und was er 1933 war, es sollte angesichts seiner politischen Vergangenheit dabei auch sein Bewenden haben". Er denke dabei an dessen Mitgliedschaft in der badischen Regierung zur Zeit des Separatismus 1924". Weiter schrieb er:  

"Die Notwendigkeit eines psychologischen Instituts für Hellpach sehe ich umso weniger ein, als nach meinen neuen Informationen die ganze Heerespsychologie stark im Umbau, vielleicht im Abbau sich befindet. Ich halte eine neue Herausstellung Hellpachs für einen schweren politischen Fehler" (120). Tatsächlich wurde wenig später die Heerespsychologie zum 1. Juli 1942 aufgelöst (121).  

Doch fünf Tage zuvor hatte Rektor Schmitthenner Hellpachs "Antrag" vom 26. März dem Ministerium vorgelegt. "Um nicht als einzige deutsche Universität auf das Diplompsychologiestudium verzichten zu müssen", sei die Einrichtung eines Psychologischen Instituts dringende Notwendigkeit (122).  

Am 30. Oktober 1942 wurde dann ein Diplomprüfungsausschuß für das Fach der Psychologie eingerichtet und Hellpach zum Vorsitzenden ernannt (123).  

Abb. 25: Aushang des. Prüfungsausschusses
 

"Herr Hellpach hat mit Beginn des Wintersemesters 1942/43 das Institut für Psychologie übernommen", so Fehrle in einem Schreiben von Ende März 1943, in dem dieser beim Ministerium - wie vor längerer Zeit mit dem "Vertreter" des Ministeriums, Fuhs, besprochen - die Verdoppelung der Hellpachschen Einnahmen beantragte. - Die Erhöhung wurde gewährt: von 2.400 auf 4.800 RM (124).  

Am 27. Dezember 1942 hatte der Führer im "Namen des Deutschen Volkes ... dem Honorarprofessor Dr. Willy Hellpach in Heidelberg als Anerkennung für 40jährige treue Dienste das goldene Treudienst-Ehrenzeichen" verliehen (125).  

Am 31. Mai 1943, die Unterrichtsverwaltung hatte inzwischen die Bezeichnung "Psychologisches Institut" genehmigt (126), beantragte Hellpach Stempel, Briefbögen und Dienstmarken (127). Er hatte von Krieck zwei Zimmer des Philosophischen Seminars zur Verfügung gestellt bekommen, was "nur ein ganz notwendiges Provisorium" darstellte. Die aus den Kellern der Psychiatrischen Klinik geholten Apparate waren nun im Keller der Neuen Universität untergebracht (128). Ihm waren 1.500 RM fur Apparate, Bibliothek und Möbel sowie ein Aversum von 300 RM genehmigt worden (129).  

Endlich, am 3. August 1943, richtete im Auftrag des Badischen Ministers des Kultus und Unterrichts Fuhs, zwischenzeitlich mitsamt Ministerium nach Straßburg umgezogen, ein Gesuch an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, die bereits erfolgten Ernennungen nachträglich genehmigen zu lassen (130) (vgl. Abb. 26).

 

Abb. 26: Schreiben Fuhs‘ vom 3.August 1943

 



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29.9.1998