Nach § 5 der Verfassung der Technischen Hochschule Karlsruhe waren planmäßige Extraordinarien Bearite (57). Auf Hellpach traf nun § 9 Abs.3 des "Gesetzes die Einrichtung der Ministerien und die Gehaltsbezüge der Minister betr/effend/" zu.
In Heidelberg
berichtete am 25. November 1925 der Dekan der Philosophischen Fakultät
seinen zur Sitzung zusammengerufenen Kollegen "über die von der Regierung
gewünschte Schaffung einer ord/entlichen/ Professur für Philosophie
für den bisherigen Staats-Präsidenten Hellpach". Dann erwähnte
Jaspers, er habe mit Rickert gesprochen; dieser lehne eine ordentliche
Professur ab, mit dessen Einverständnis schlage er jedoch eine ordentliche
Honorarprofessur vor. Hoffmann dagegen erklärte sich für ein
Ordinariat für Psychologie u/nd/ Pädagogik nur für die Persönlichkeit
Hellpachs’. Nur Hampe war "im Prinzip für ein etatsmässiges Ordinariat",
sollten allerdings andere Professuren dadurch gefährdet sein, stimme
auch er für eine Honorarprofessur, Erich Rothacker führte "die
Interessen der Nicht-Ordinarien gegen die einer neuen etatsmässigen
Philosophie-Professur an". - Man einigte sich, den Dekan weitere Verhandlungen
führen zu lassen, und weiteres in der nächsten Sitzung zu besprechen
(59).
Abb. 14: Auszug
aus dem Protokoll der Sitzung der Philosophischen Fakultät vom 18.November
1925
Als diese am
28. November stattfand, hatte der Dekan bereits mit dem Hochschulreferenten
verhandelt. Jener habe den "Gedanken der Honorarprofessur" nicht abgelehnt,
eine ordentliche Professur "doch stark empfohlen". Jaspers brachte zunächst
einen Antrag der Fachvertreter auf eine "Honorarprofessur (angew. Psychologie)
im Sinne einer Huldigung für Hellpach, aber auch zugleich als Ausschluss
der o/rdentlichen/ Prof/essur/, deren Verleihung eine wesentliche Durchbrechung
von Tradition und ordentl/ichem/ Berufungsverfahren wäre", ein.
So könne
man im Falle einer Oktroyierung gegen die Regierung protestieren, ohne
damit Hellpach zu betreffen. Nun sprach sich E.R. Curtius, der in der letzten
Sitzung gefehlt hatte, "unter Berufung auf die Originalität der Hellpachschen
geopsychischen, rassenkundlichen u/nd/ a/nderen/ Fragestellungen" für
ein Ordinariat aus. "Die Rücksicht auf den individuellen Fall sollte
die Traditions- und Präzedenzfragen überwiegen, zumal wegen der
Stellenvermehrung".- Aber man befürchtete eine Gefährdung der
Interessen der Fachvertreter, die auf jeden Fall vermieden werden müsse.
Jaspers meinte, eventuell könne man "bei hinreichenden Sicherungen"
für ein Ordinariat sein. Doch, warf Hoffmann ein, Rickert sei gegen
ein "Ordinariat schlechthin, zumal (aber nicht nur weil) er an gültige
Sicherungen nicht glaub/e/ und nicht gern ... mit H/ellpach/ als Pädagogen
zusammen arbeiten würde".- Im übrigen wollte man sich - ohne
eigene Mitwirkung - kein Ordinariat und dessen Besetzung aufzwingen lassen.
Jaspers betonte zwar nochmals "entschieden" Hellpachs wissenschaftliche
Verdienste, war es aber bei aller Anerkennung opportunistischer Gründe
doch gegen die Gefährdung des Humboldtschen "Universitätsgeists".
Abb: 15: Willy
Hellpach - Postkarte zur Reichspräsidentenwahl
Letztlich war es von Rickert abhängig zu machen, was Alfred Weber durch einen Eventualantrag auf ein Ordinariat bei Wegfall der Rickertschen Befürchtungen deutlich machen wollte. Einige Kollegen sprachen sich jedoch gegen diesen Vorschlag aus, und Jaspers betonte "(auf eine Anregung Her/rn Webers) Er und Herr Hoffmann könnten hier nicht eine von Herrn Rickert getrennte Meinung vertreten".
Schließlich wurde ein Ordinariat mit 15 gegen 1 Stimmen bei 2 Enthaltungen abgelehnt (60) (vgl. Abb. 14).
Entsprechend weiteren Beschlüssen bat die Fakultät das Ministerium zwei Tage später, es solle Hellpach anbieten, ihn an der Universität Heidelberg zum ordentlichen Honorarprofessor für das Gebiet der angewandten Psychologie zu ernennen. Als Gründe führte sie an,
Abb. 16: Ernennungsurkunde Hellpachs
Anschließend war das Staatsministerium damit beschäftigt, Hellpachs Bezüge festzusetzen. Weil er Aussicht auf eine Berufung nach Mannheim gehabt habe, wurde sein Gehalt dem eines Ordinarius angeglichen (62). Auf der Sitzung vom 4. Januar 1926 ernannte man ihn dann auf Antrag des neuen Unterrichtsministers zum ordentlichen Honorarprofessor in der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg (63) (vgl. Abb. 16). Damit war Hellpach als planmäßiger Extraordinarius der Technischen Hochschule Karlsruhe in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Schließlich beschloß die Philosophische Fakultät am 23. Januar, Hellpachs Wünschen entsprechend, für ihn einen vierstündigen Lehrauftrag für allgemeine und angewandte Psychologie zu beantragen, der später vom Ministerium erteilt wurde (64). Am 8. Mai hielt Hellpach in der Aula seine Antrittsvorlesung "Erscheinung und Entstehung des Volkstums" und las im Sommersemester "Lebenskunde mit besonderer Berücksichtigung der Jugendkunde".
Innerhalb der Medizinischen Fakultät war inzwischen ein reichhaltiges Angebot psychologischer Vorlesungstitel angezeigt. Willy Mayer-Groß, seit zwei Jahren Privatdozent (66), bot "Psychotherapie" und "Psychologie des primitiven Menschen" an, Hans W. Gruhle "Psychologie des Denkens und der Intelligenz", "Psychologie der Reifejahre", eine "Psychologie des Verbrechers" sowie "Arbeiten im psychologischen Laboratorium". Vor allem mit Gruhle, seit 1921 Mitherausgeber der "Psychologischen Forschung" (67), war eine kontinuierliche psychologische Lehre an der Universität vertreten, die sich auch in den von ihm betreuten Doktorarbeiten niederschlug.
Nachdem die Philosophische Fakultät auf ihrer Sitzung vom 23. Januar 1926 Hellpachs Lehrauftragswünschen entsprochen hatte, brachte Jaspers weitere Anträge zum Fach ein, zunächst einen, der die Promotion in Psychologie betraf, dessen Beschlußfassung jedoch verschoben wurde. Für die nächste Sitzung legte er diesen Antrag dann schriftlich vor:
Des weiteren wollte Jaspers auf die psychologischen Vorlesungen Gruhles im Vorlesungsverzeichnis auch innerhalb der Abteilung der Philosophischen Fakultät "Philosophie, Psychologie und Pädagogik" hingewiesen haben, was sofort angenommen wurde (69). In einem von Jaspers verfaßten Schreiben der Fakultät an den Engeren Senat hieß es:
Abb. 17: Aus dem Vorlesungsverzeichnis der Universität Heidelberg, Wintersemester 1926/1927
Nachdem Karl Jaspers dem Fach der Psychologie in seiner Forschung und Lehre immer weniger Raum eingeräumt hatte und zum hauptamtlichen Philosophen geworden war, erhielt die Philosophische Fakultät der Universität Heidelberg in Willy Hellpach wieder einen sich der Psychologie widmenden Gelehrten. Allerdings hatte einerseits die Art und Weise, wie man ihr diesen Psychologen anbot, andererseits aber die traditionell der empirischen Psychologie wenig gewogene Haltung des philosophischen Ordinarius, in diesem Falle Rickerts, dazu beigetragen, daß aus dem von ministerieller Seite möglichen Ordinariat nichts wurde - weder aus einem psychologischen noch aus einem inoffiziell psychologisch philosophischen. Hellpach war ordentlicher Honorarprofessor für Psychologie, und als solcher ähnlich den Privatdozenten oder den außerplanmäßigen außerordentlichen Professoren nicht staatlich zu besolden. Nach wie vor fehlte also eine etatmäßige, dauernd mit einem Psychologen zu besetzende Stelle im Haushaltsplan der Universität.
Die rechtliche
Stellung des Honorarprofessors - in Baden gab es nur ordentliche'- war
im Reich nicht einheitlich geregelt. In Baden war "die Amtsbezeichnung
ordentlicher Honorarprofessor ... kein reiner Titel, sie /brachte/ ...
vielmehr eine besondere Rechtsstellung innerhalb des Lehrkörpers zum
Ausdruck".
Der Honorarprofessor
stand vor dem Privatdozenten und wurde im Vorlesungsverzeichnis nach den
Ordinarien und noch vor den planmäßigen Extraordinarien aufgeführt.
Nach neuer Universitätsverfassung von 1919 konnte er als nichtetatmäßiger
Dozent Sitz und Stimme in den Fakultäten erlangen und gehörte
unter bestimmten Voraussetzungen dem Großen Senat an. "Die Amtsbezeichnung
ordentlicher Honorarprofessor /wurde/ ... regelmäßig auf Antrag
der Fakultäten ... nach Stellungnahme des Senats durch Entschließung
des Staatsministeriums verliehen. In Betracht /kamen/ ... habilitierte
nichtplanmäßige Lehrkräfte .. die eine Reihe von Jahren
in
Erfüllung eines Lehrauftrags sich bewährt /hatten/ ..., daneben
in besonderen Fällen auch nichthabilitierte Lehrkräfte mit Lehrauftrag
hervorragende Persönlichkeiten aus Handel und Industrie...". Die Honorarprofessur
gab so die Möglichkeit, jemanden mit der Universität in Verbindung
zu bringen, damit dieser einen dort fehlenden Lehrauftrag übernehmen
konnte, für den unter Umständen kein Ordinariat eingerichtet
war, und für dessen Lehrgebiet er selbst nicht notwendig habilitiert
sein mußte (71).
Trotzdem hatte die Berufung Hellpachs auch institutionell gesehen Folgen für das Fach Psychologie. Die Promotionsordnung der Philosophischen Fakultät wurde zwar dem Ministerium gegenüber offiziell nicht geändert, und es wurde ihr kein Hauptfach "Psychologie" angefügt, doch wurde über einen Ausnahmeparagraphen offensichtlich eine Dauerregelung geschaffen, die eine Promotion zum Dr. phil. in Psychologie ermöglichte (72). Zudem erhielten alle im Gebiet der Psychologie planmäßig Lehrenden - ohne Ansehung ihrer Fakultätszugehörigkeit - das Recht, über von ihnen betreute Dissertationen das alleinige Referat zu erstatten, und in ihrem Fach zu prüfen. Damit war auch Gruhle die Möglichkeit gegeben, psychologische Doktorarbeiten im Rahmen der Philosophischen Fakultät zu vergeben.
Das in der Psychiatrischen Klinik eingerichtete psychologische Laboratorium war zwar kein offizielles Universitätsinstitut - es wurde über das wissenschaftliche Aversum der Klinik finanziert, ohne dort gesondert ausgewiesen zu sein - erfüllte aber durchaus die Funktion eines Instituts - man hielt Seminare ab und konnte dort experimentalpsychologisch arbeiten. Nun war es durch Beschluß der Philosophischen Fakultät in einen über die Klinik hinausgehenden offiziellen Rahmen eingefügt worden.
Auch ohne ein der Psychologie gewidmetes Ordinariat war es also in Heidelberg möglich, dem Studium der Psychologie nachzugehen, in welcher Fakultät man auch immatrikuliert war.
In Baden wurde die Lehrerbildung reformiert und am 30. März 1926 ein entsprechendes Gesetz verabschiedet, das für "Volksschullehrer(innen)" einen "zweijährigen erziehungswissenschaftlichen Lehrgang in Lehrerbildungsanstalten" vorsah (73).
Als dann an einer solchen Anstalt in Karlsruhe "die jungen Lehrer um zweiten Lehrgang/ Vorlesungen über allgemeine Psychologie, insbesondere Psychologie des Kindes" erhalten sollten, fragte das Ministerium am 21. März 1927 bei Gruhle an, ob er diese Vorlesungen nicht übernehmen wolle (74). Gruhle hatte schon im Februar des vorangegangenen Jahres beim Ministerium um eine Empfehlung an die hessische Regierung nachgesucht, weil er sich in Darmstadt und Mainz mit der dortigen Lehrerbildung vertraut machen wollte, und hatte später einen Lehrauftrag für pädagogische Vorlesungen im Turnlehrerkursus erhalten (75). – Er sagte in Karlsruhe zu und hielt ab Sommersemester 1927 an der dortigen Anstalt eine dreistündige Vorlesung sowie ein einstündiges Seminar (76).
Als am 15. Mai 1928 die Heidelberger Lehrerbildungsanstalt eröffnet wurde, übernahm er auch dort die entsprechenden Vorlesungen (77). - Damit kamen mehr und mehr sich für Psychologie interessierende Volksschullehrer an Gruhles Laboratorium, die dort nicht nur arbeiteten, sondern auch von der Möglichkeit Gebrauch machten, bei Gruhle zum Dr. phil. promoviert zu werden (78). Weiteren Zulauf aus dieser Richtung erhielt das Laboratorium durch 1928 vom Bezirkslehrerverein Heidelberg-Stadt organisierte "Psychologische Fortbildungskurse", die wiederum Gruhle leitete, und die aus im Lehrerbildungsseminar oder im Hörsaal der Klinik gehaltenen Vorträgen bestanden (79). Dazu kam, daß 1929 regelmäßig eine "Psychologische Arbeitsgemeinschaft ... im Psychologischen Institut, Voßstr. 4 (Psychiatrische Klinik)" tagte (80).
Anfang 1929 war in Karlsruhe die Frage psychologischer Lehraufträge neu zu regeln, und Gruhle schlug vor, die Ausbildung in Psychologie in eine Hand zu legen. Er selbst würde für Karlsruhe dann einen fünfstündigen Lehrauftrag benötigen. Dafür solle in Heidelberg sein Schüler Willy Mayer-Groß die Vorlesungen übernehmen. Dem wurde entsprochen. Ab 1929/30 unterrichteten Mayer-Groß in Heidelberg und Gruhle in Karlsruhe, wobei sie zur Vorlesungsvorbereitung dieselbe Hilfskraft verwendeten (81).
Kaum ein Jahr später teilte das Ministerium Gruhle mit, daß zum 1. März 1932 "die Lehrerbildungsanstalt Karlsruhe für einige Zeit geschlossen werden" müsse; - Auch die Heidelberger Anstalt schloß "wegen des Überschusses an ausgebildeten Lehrern" (82).
Am 31. Juli 1932 gaben 52.256 Heidelberger ihre Stimme zur Reichstagswahl ab: Davon entfielen auf die KPD 5.726, auf das Zentrum 8.747, auf die SPD 9.201, die NSDAP kam auf 21.446 Stimmen (83).