7.4 Objekterkennung und Klassifikation

Die Vorstellung, die der Objekterkenntung grundsätzlich zugrunde liegt, ist die folgende: Zunächst entdeckt man einfache Merkmale (1), die man in einem zweiten Schritt zu einem perzeptuellen Objekt zusammen fügt (2). Dieses perzeptuelle Objekt wird identifiziert, indem es mit denen im Gedächtnis gespeicherten Objekten verglichen wird (3). Man unterscheidet verschiedene Verarbeitungsformen.

Wiedererkennung vs. Identifikation

Die Wiedererkennung ist leichter als die Identifikation oder Klassifikation.

Wiedererkennung findet schon dann statt, wenn der Eindruck von Familiarität vorliegt: Man nimmt etwas wahr, was man schon einmal gesehen hat (z.B. eine Person, die man aber nicht zuordnen kann).

Objekt-Identifikation bedeutet, dass das Objekts benannt wird. Hierzu ist eine korrekte Klassifikation notwendig: der Kontext und die Beziehungen zu anderen Konzepten müssen erkannt werden (z.B. eine Person, die man gut kennt, deren Namen man weiß).

Daten- vs. konzeptgesteuerte Verarbeitung

Datengesteuert (“bottom-up”): die datengesteuerte Verarbeitung beginnt auf der Rezeptorebene und die Daten rufen Regeln auf. Wäre dies die einzige uns zur Verfügung stehende Art der Verarbeitung, dann könnten wir keinen Gebrauch von unserem Erfahrungsschatz machen.

Konzeptgesteuert (“top-down”): bei der konzeptgesteuerten Verarbeitung lenken vorherige Erfahrungen eine aktive Suche nach bestimmten Mustern im Wahrnehmungsgegenstand. Würden wir aber ausschließlich auf diese Weise verarbeiten, dann sähen wir nur das, was wir erwarten.

Die folgende Abbildung zeigt Hinweise auf datengesteuerte Prozesse. Sie stammen aus Untersuchungen mit stabilisierten Retina-Bildern: Hier kann man feststellen, dass das Verschwinden feature-weise erfolgt, d.h. es verschwinden jeweils ganze Linien udn Winkel (obere Abbildung). Bei zufälligem Verschwinden könnte das Bild so aussehen, wie in der unteren Abbildung.


Globale vs. lokale Verarbeitung

Navon (1977) stellte fest, dass globale Merkmale schneller entdeckt werden als Detailmerkmale (lokale Merkmale).

Das heißt, dass das große H schneller entdeckt wird als das kleine H (Abbildung A). Darüber hinaus konnte er feststellen, dass das Benennen der lokalen Form stark verlangsamt ist, wenn die globale Form (H) von der lokalen Form (S) abweicht (Abbildung B im Vergleich zu A). Wird allerdings die globale Formwahrnehmung erschwert (bei Wechsel von A und B nach C und D), kehrt sich der Effekt um!

Integrale vs. separable Stimuli

Die Unterscheidung zwischen integralen und separablen Stimuli wirft erneut die Frage auf, was eigentlich “gute” Figuren auszeichnet? Einigen wir uns mit Lockhead (1966) und Garner (1978) darauf, dass es so etwas ist wie eine "eigentümliche Ganzheit" und das "nicht einfache Aufbrechen-Können in einzelne Komponenten".

Integral: Integral sind dann solche Stimuli, die ganzheitlich wahrgenommen werden. Alle Aspekte des Stimulus werden simultan wahrgenommen.

Separabel: Separable ist ein Stimulus dann, wenn die Stimulus-Aspekte nicht einfach integriert werden können. Die unten abgebildeten Punktemuster kennst Du schon; sie sind ein Beispiel für separable Stimuli.


Kontexteffekte bei der Identifikation

Manchmal kann man seine eigene Schrift nicht mehr lesen, aber aus dem Zusammenhang lässt sich oftmals doch erraten, was da wohl stehen muss. Genau das ist ein "Kontexteffekt bei der Identifikation". Ein schönes Beispiel für einen konzeptgesteuerten Prozess ist das folgende Bild.

Das “B” und die “13” sind identisch, werden aber durch den Kontext anders identifiziert.

Ein anderes Beispiel stammt von Palmer (1975): konzeptgesteuerte Erwartungen kompensieren fehlende Detailtreue, die in einer datengesteuerten Verarbeitung erforderlich wäre.


 

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