Amsterdam, WS 2019/20 (BSc)
Amsterdam, Winter semester 2019/2020 (Bachelor)
Wenn du diesen Text lesen solltest, interessierst du dich vermutlich für ein Auslandssemester an der Vrijen Universiteit Amsterdam und möchtest wissen, ob das eine gute Idee ist und möchtest gerne meine Meinung dazu hören. Ich werde also im Folgenden versuchen, dir einen kurzen Einblick in mein Auslandssemester zu geben.
Der Beginn meines Auslandssemesters war etwas chaotisch, da an irgendeiner Stelle meine E- Mailadresse falsch angegeben wurde und ich die E-Mails von der Amsterdamer Uni nicht bekam. Genereller Tipp: Wenn man sich bei Erasmus unsicher ist, immer einfach nachfragen auch wenn man sich nervig fühlt, es zahlt sich aus! Die Vrije Universiteit war zum Glück unglaublich nett und erlaubte mir, mich trotz Ablauf der Bewerbungsfrist noch zu bewerben. Diese Flexibilität und Offenheit im Umgang mit Studenten begleitete mich meinen ganzen Aufenthalt und war in verschiedenen Situationen hilfreich. Einmal bekam ich auf 5 administrative E-Mails innerhalb eines Tages Antworten! Nachdem ich also erfolgreich angenommen worden war, begann die Wohnungssuche. Ein unglaublich leidiges Thema, da im Vergleich zu Amsterdam der Heidelberger Wohnungsmarkt noch entspannt erscheint. Die Uni in Amsterdam gibt einem die Option für einen nach einem Zimmer zu gucken, man darf sogar eine maximale Mietpreishöhe angeben. Ich würde jedem wärmstens empfehlen dieses Angebot anzunehmen, da es fast unmöglich ist, ein Zimmer auf dem freien Markt zu finden, ohne selbst da zu sein. Ich hatte obwohl ich spät dran war das unglaubliche Glück, dass jemand sein Zimmer in "Uilenstede" (einem Wohnheimskomplex in Uninähe mit 3 400 Studenten) untervermietete. Wenn ihr im Rahmen eures Aufenthalts richtig ins Studentenleben einsteigen wollt und kein Problem damit habt relativ einfach zu wohnen, ist Uilenstede ideal! Es gibt sowohl Einzel- als auch Zweierapartments und große WGs mit 14 Leuten in denen man sich meistens nur die Küche, aber manchmal auch das Bad teilt. Ein Großteil des Komplexes ist aus den 70ern und dementsprechend ist alles etwas alt, aber Atmosphäre und Uninähe sind kaum zu überbieten und es ist eine unglaublich einfache Art und Weise, Kontakte zu knüpfen. Das Sport- und Kulturzentrum der Uni befinden sich außerdem auf dem Gelände und es lohnt sich, dort ein oder zwei Kurse zu belegen.
Oft wohnt man in WGs mit anderen internationalen Studenten, aber da ich in einem untervermieteten Zimmer gewohnt habe, hatte ich nur niederländische Mitbewohner. Für mich war das ideal, da ich zum einen die niederländische Kultur besser kennenlernen wollte und zum anderen immer jemand da hatte, den ich fragen konnte, wenn mir irgendetwas unklar war (z.B. "was heißt PMD auf den Mülltonnen?" oder "wo ist dieser Raum in der Uni?") und immer jemanden hatte mit dem ich abends kochen und quatschen konnte. Mit meinen Mitbewohnern habe ich mich gut angefreundet und stehe weiterhin mit ihnen in Kontakt und wir besuchen uns gegenseitig. Preislich ist das Wohnheim für Amsterdamer Verhältnisse sehr günstig. Wem allerdings Ruhe sehr wichtig ist und wer immer eine blitzblanke Küche haben will, dem kann ich dieses Wohnheim nicht empfehlen.
Die niederländische Uni unterscheidet sich vor allem in einem Aspekt fundamental von der deutschen Uni: ihre Semester sind noch einmal in Drittel, sogenannte "periods" aufgeteilt. In der ersten und zweiten period (September-Oktober und November-Dezember) belegt man jeweils zwei Kurse und in der dritten period (Januar) nur einen, jeweils für 6 ECTS, man kommt also wie in Deutschland auf 30 pro Semester. Am Ende jeder period schreibt man dann Klausuren, oft auch beide an einem Tag, was schlimmer klingt als es ist! Für mich persönlich war dieses Lernsystem etwas ganz Neues und ich fand es spannend, sich so intensiv nur zwei Themen widmen zu können und da richtig tief einzusteigen. Ich würde sagen, der Aufwand ähnelt dem, den man in Deutschland hat, aber weil die Klausurenphase so entzerrt war, kam es mir weniger stressig vor als in Deutschland. Da der Unterricht auf Englisch ist, gibt es auch keine größeren sprachlichen Barrieren und man kann dem Ganzen gut folgen. Die meisten weitern wichtigen organisatorischen Unterschiede werden einem in der Einführungswoche vermittelt, die, obwohl freiwillig, ich jedem nur empfehlen kann. Man lernt viele hilfreiche Dinge (unter anderem wo man seine Drogen auf Reinheit testen kann) und kann super andere internationale Studenten kennenlernen. Viel läuft an der Uni auch schon online ab, zum Beispiel das Einreichen von Hausaufgaben oder die Einteilung in Präsentationsgruppen.
Meine Kurse in den Niederlanden waren teils theoretisch und teils praktisch ausgelegt. Im theoretischen Bereich belegte ich Evolutionspychologie, Education and the Good Life und Zwillingsstudien (eigentlich ein Genetikkurs mit Fokus auf Zwillingsstudien). Eher praktisch orientiert waren Research Toolbox, ein Fach in dem wir unsere eigene kleine Studie konzipieren, durchführen, auswerten und einen Bericht drüber schreiben durften (unglaublich zeitintensiv aber gerade im Hinblick auf den Bachelor unglaublich hilfreich) und psychophysiologische und kognitive Anwendungen, ein Kurs in dem ich unter anderem lernte, selbst EKG-Studien zu machen. Alles in allem ist das Studium sehr abwechslungsreich, aber ich denke nicht, dass ich mir alles anrechnen können lassen werde. Versucht habe ich es noch nicht, aber da man in Heidelberg weder Evolutionspsychologie noch EKG-Studien behandelt, stehen meine Chancen wohl eher schlecht. Inhaltlich war das Studium aber unglaublich interessant und ich denke auf jeden Fall, dass ich meinen akademischen Horizont erweitern konnte und mich jetzt der Herausforderung der Bachelorarbeit eher gewachsen fühle. Auf eine Sache muss man allerdings auch gefasst sein, wenn man in die Niederlande geht: die Notenvergabe ist streng. Benotet wird auf einer Skala von 1-10, wobei 10 das Beste ist und man ab 5 Punkten besteht. Alles über 7,5 zählt aber schon als richtig gut und 10 Punkte kommen quasi nie vor. Die Niederländer haben den Spruch "8 Punkte sind für den Studenten, 9 für den Professor und 10 für Gott" der die Seltenheit der 10 Punkte gut zum Ausdruck bringt.
In Amsterdam Zentrum war ich während meines Aufenthalts vergleichsweise wenig, da mein Wohnheim sehr im Süden lag und damit auch meinen Lebensmittelpunkt darstellte. Wie jeder sich vorstellen kann, ist Amsterdam im Zentrum von Touristen überlaufen. Ich war eigentlich nur im Zentrum, wenn ich Gäste hatte oder mit Einheimischen, die sich auskannten. Oft haben wir uns vorher überlegt, was wir machen wollten und sind dann gezielt dorthin gefahren, weil gerade am Wochenende man sonst kaum durchkommt. Aber die Idee, dass man jeden Tag in Amsterdam Zentrum verbringen würde, hat sich zumindest für mich nicht bewahrheitet. Das kam meinem Geldbeutel vermutlich auch zu Gute, denn Amsterdam Zentrum ist ziemlich teuer! Die Niederlande an sich haben bereits höhere Lebenshaltungskosten als Deutschland, aber im Amsterdamer Zentrum kommt noch einmal einiges drauf (ich habe eine Kugel Eis für 3,80 gesehen und das ist keine Übertreibung!). Als Stadt ist Amsterdam natürlich trotzdem kaum zu überbieten. Kulturell gibt es alles was man sich wünschen kann. Ich fand vor allem das Van Gogh Museum toll, aber wenn man sich für Kunst interessiert sind auch die anderen Museen definitiv sehenswert. Und wer zum Amsterdam Lights Festival da ist, sollte dann unbedingt eine nächtliche Bootstour mit Drinks inklusive machen, das ist wunderschön. Wunderschön ist Amsterdam generell natürlich auch! Überall Grachten und diese schmalen Häuser, man kennt das ja von instagram, aber so sieht es teilweise wirklich aus!
Aber auch sonst kann man als internationaler Student gut am Leben teilhaben. Es können nicht nur alle Leute Englisch, alle Filme laufen in den Niederlanden in der Originalsprache mit niederländischen Untertiteln, auch Cineasten haben also ihren Spaß. Man sollte allerdings immer zweimal nachgucken. Ich war mit einer deutschen Freundin in dem Musical "Kinky Boots", da wir naiverweise angenommen hatten, dass das auch auf Englisch sein würde, es war aber auf Niederländisch. Außerdem ist der öffentliche Nahverkehr relativ teuer und es empfiehlt sich definitiv, sich ein Fahrrad zuzulegen um viele der Strecken so zurückzulegen. Das Fahrradwegnetz in Amsterdam ist schwer zu überbieten und auch an den vielen Regen gewöhnt man sich dank Regenkleidung schnell. Man kann sich entweder ein gebrauchtes Fahrrad kaufen oder, wie ich, sich von Swapfiets ein Fahrrad für etwas über 15 pro Monat leihen. Der Vorteil eines Swapfiets (Fiets= Fahrrad) ist, dass sie Reparaturen übernehmen, falls etwas kaputt sein sollte und man das Rad am Ende seines Aufenthaltes nicht verkaufen muss, sondern einfach zurückgeben kann. Falls man sich doch ein eigenes Fahrrad kauft, sollte man neben einer guten Regenjacke (es regnet viel und unerwartet und nachdem man einmal klatschnass in einem unterkühlten Kino saß, lernt man) unbedingt in ein gutes Schloss investieren. Fahrräder werden viel geklaut und ich habe auch Geschichten von betrunkenen Studenten gehört, die Fahrräder in die Grachten geworfen haben...
Ich habe während meines Auslandsaufenthaltes aufgrund meiner WG fast nur Niederländer kennengelernt, habe aber von anderen Erasmus-Studenten gehört, dass das nicht die Norm ist. Oft lernt man am Einfachsten andere internationale Studenten kennen, da die Niederländer natürlich ihre Kontakte schon haben, ich vermute aber, dass das in allen Ländern der Fall sein wird. Wenn man jedoch Niederländer kennenlernen will, ist es sicher hilfreich zumindest ein paar Brocken Niederländisch zu können. Obwohl ausnahmslos alle Niederländer, die ich getroffen habe, super Englisch konnten, hat man bei ihnen einen Stein im Brett, wenn man es mit Niederländisch versucht. Oh, und falls man keine Lust auf einen längeren Vortrag hat: es heißt Niederländisch und nicht Holländisch und es ist ganz sicher nicht dasselbe wie Flämisch, das in Belgien gesprochen wird, da sind die Niederländer sehr penibel! Sonst habe ich allerdings die Erfahrung gemacht, dass die Niederländer durch und durch nett und liebenswürdig sind und immer neugierig, auch andere Kulturen kennenzulernen. Von der Niederländischen "directness" und "coldness", vor der verschiedene Expatberichte vorher gewarnt hatten, habe ich nichts gespürt.
Zusammenfassend würde ich sagen, dass sich ein Erasmus-Semester in den Niederlanden definitiv lohnt! Man hat zwar nicht so viel Sonne wie etwa in Italien, aber ich für meinen Teil habe sowohl fachlich als auch sprachlich und persönlich unglaublich viel für mich mitnehmen können. Tatsächlich sind das schlechte Wetter und die erhöhten Lebenshaltungskosten die einzig negativen Dinge, die mir zu meinem Aufenthalt einfallen, sonst war alles einfach super!