Oslo Sommersemester 2024, Nebenfach Psychologie
Oslo, Kristiana University College, Sommersemester 2024 (Bachelor)
Es ist natürlich schwierig, ein ganzes Semester in ein paar hundert Worten zusammenzufassen, vor allem, wenn es von solchen Gegensätzen geprägt war wie meins.
Mein Auslandssemester in Oslo war ein wundervolles Abenteuer, in dem ich gelernt habe, mich besser zu organisieren, Freunde und großartige Bekanntschaften gefunden habe und Natur erleben durfte, die ich so noch nie gesehen habe. Norwegen ist ein Land, das mutig macht. Freiheit und Selbstbestimmung sind hier unter den höchsten Werten der norwegischen Kultur und die Landschaft Norwegens lädt dazu ein, von Abenteurern entdeckt zu werden. Kunst, Musik und Architektur veranschaulichen währenddessen den modernen und inklusiven Lebensstil in den Großstädten. Man fühlt sich als internationale Studentin also willkommen in einem Land voll traditioneller Bunads, Zimtschnecken und Feste.
Die wahren Gegensätze Norwegens sind aber die Jahreszeiten, die fast übergangslos von Winter zu Sommer wechseln. Meine Erfahrungen waren abhängig von der Jahreszeit komplett unterschiedlich. Während der Winter ein magisch stilles Winterwonderland in der Stadt zaubert, zeigt der Sommer an endlos scheinenden Tagen die Lebensfreude, die das grün und rosa der Fliederbüsche mit sich bringt.
Studium
Das Studium in Norwegen baut sehr stark auf hohe Selbstständigkeit und Eigenmotivation auf. Der Individualismus der Kultur war für mich besonders in meinen Lehrveranstaltungen zu spüren. Lehrbücher mussten bis zu 60 Seiten pro Woche selbstständig erarbeitet werden und sowohl Seminare als auch Vorlesungen bestanden zu 90% aus Frontalunterricht. Außerdem wurden die meisten Vorlesungen aufgezeichnet, weshalb außer den internationalen Studierenden meist nur zwei oder drei Norweger/innen in Präsenz da waren und der Rest die Vorträge von zuhause aus ansah. Auch deshalb hatte während des Semesters leider nicht das Gefühl, sehr viel aus den Vorlesungen mitzunehmen und habe letztendlich das meiste gelernt, als ich mich auf meine Abschlusspräsentationen vorbereitet habe. Dass das Studium nicht sehr anspruchsvoll war, hatte aber auch gute Seiten, denn dadurch hatte ich mehr Zeit zu Reisen und die norwegische Kultur kennenzulernen.
Die Kristiania Universität hat zwar versucht, die Internationalen Studierenden durch einen Willkommenstag zu vernetzen und in das Unileben zu integrieren, allerdings war nach diesem einen Tag nur noch eine Wanderung für uns geplant. Abgesehen davon habe ich mich etwas alleingelassen in Oslo gefühlt, vor allem zu Beginn des Semesters, wo wegen des Schnees und der Kälte draußen nicht viele Aktivitäten möglich waren, um Studierende kennenzulernen. Mehr Aktivitäten für Internationale wären hierfür schön gewesen. Die ERASMUS-Koordinatorin war allerdings sehr freundlich und hilfreich zu jeder Zeit und nachdem ich mein Sozialleben selbst in die Hand genommen habe, habe ich auch viele neue Bekanntschaften und ein paar Freundschaften schließen können.
Sehr viel trauriger war, dass ich bei meiner Rückkehr nur einen Bruchteil meiner ECTS (4LP) nach Heidelberg übertragen konnte. Das Kurssystem an der Kristiania Universität erlaubt es internationalen Studierenden nicht, mehr als zwei Kurse mit je 15 ECTS zu belegen. Von diesen konnte ich letztendlich nur einen anrechnen lassen, da der andere unbenotet abgeschlossen wurde. Ich hatte das Glück, einen großen Teil der ECTS auf mein Hauptfach Germanistik im Kulturvergleich zu übertragen. Hat man diese Möglichkeit jedoch nicht, bringt einen das Semester in Oslo für die Studienleistung nicht sehr weit voran.
Wohnen und Leben
Oslo ist eine teure Stadt, besonders zum Wohnen. Deswegen ist eine Bewerbung bei SiO.no mit Abstand die beste Option für Erasmus-Studierende. Man sollte sich hier frühzeitig bewerben, Zimmer werden aber bevorzugt an internationale Studierende vergeben, weshalb man in der Regel ein Angebot erhält, solange man nicht wählerisch ist. Ich war mit meinem Zimmer sehr zufrieden, es war möbliert und in super Zustand. Die Gemeinschaftsbereiche von WGs sind praktisch und wohnlich gestaltet und Kochutensilien, Töpfe, Geschirr, Besteck sind normalerweise schon vorhanden. Mein Zimmer lag im zweitgrößten Studentenwohnheim Oslos. Das Sogn Studentby besteht aus ca. 40 Wohnblöcken, einem Supermarkt und einer Studentenbar/Gemeinschaftsraum, in der regelmäßig Karaokeabende, Quiz oder Partymusik von Freiwilligen Studierenden organisiert werden. Die Miete ist für ein Studentenheim natürlich ziemlich hoch, aber letztendlich habe ich nur ca. 50-70 € mehr gezahlt als für mein WG-Zimmer in Heidelberg (das hängt auch sehr vom Wechselkurs ab).
Die Preise besonders für Lebensmittel sind in Norwegen um ca. ein Drittel höher als in Deutschland, daran muss man sich erst einmal gewöhnen, man bekommt für sein Geld aber auch durchweg Top-Qualität sowohl im Supermarkt, als auch bei jedem Imbiss oder Foodtruck, bei dem ich war. Auch Alkohol hat sehr hohe Preise (bspw. kostete die billigste Flasche Wein 10€ und ein Bier in der Bar ca. 8€), und kann nur in speziellen Läden, genannt Vinmonopolet, an Wochentagen gekauft werden. Die Einlasskontrollen für Clubs und Bars werden ebenfalls sehr ernstgenommen und man kann unter 21 große Probleme haben, einen Club zu finden, der Einlass ab 18 Jahren hat. Ein großer Vorteil ist, dass man eigentlich überall in Norwegen bargeldlos bezahlen kann. Nur für Flohmärkte oder Künstlermärkte habe ich nach ein -zwei Monaten Bargeld abgehoben.
Sprache
Norwegisch ist eine sehr fröhliche Sprache, die ich im letzten halben Jahr lieben gelernt habe, obwohl ich sie immer noch nicht spreche. Da alle Lehrveranstaltungen und die meisten Uni-Verwaltungsinstanzen auf Englisch sind, war das aber nie ein Problem. Auch die Menschen in Oslo sprechen alle gut Englisch, und man kann sich selbst an der Supermarktkasse oder auf der Fjordfähre problemlos mit Norweger/innen unterhalten. Nur wenn man sich an sehr entlegenen Orten Norwegens aufhält, kann es manchmal schwierig werden. Dann kommt man aber oft auch mit ein paar Worten norwegisch und gebrochenem Englisch/Deutsch zurecht. Obwohl ich Norwegisch nicht spreche, habe ich in den sechs Monaten gelernt vor allem geschriebenes Norwegisch gut zu verstehen. Die meisten Begriffe und der Satzbau sind ein Mix aus Deutsch und Englisch, weshalb ich mir zuletzt 90% herleiten konnte. Die Aussprache von Norwegisch ist leider wesentlich schwieriger zu verstehen.
Ich finde nur sehr schade, dass die Kristiania Universität keinen Norwegisch-Sprachkurs anbietet. Externe Sprachkurse sind leider sehr teuer, weshalb ich die Chance nicht hatte, die Sprache richtig zu lernen. Die OLS-Sprachlern-Website ist zwar ganz gut gestaltet und nützlich für die Basics, aber nicht motivierend zum allein lernen.
Verkehrsmittel
Mit Bus, Straßenbahn und Metro kommt man in Oslo wunderbar von Ort zu Ort. Die Metros fahren meistens pünktlich und im 10 Minutentakt, mit dem Bus kommt man auch spät abends und nachts noch gut nach Hause und man ist innerhalb von zehn Minuten vom Stadtzentrum in die Natur gefahren. Nur im Winter sind die Elektrobusse wegen der Kälte sehr unzuverlässig. Autos sieht man in der Innenstadt aber wenige, was das Stadtbild sehr verbessert.
Mit Oslo Bysykkel kann man sich mit einem günstigen Monatsabonnement bis zu eine Stunde am Stück ein Fahrrad an verschiedenen Stationen im Stadtgebiet ausleihen. Das ist besonders im Sommer sehr angenehm, um zur Uni zu kommen, wenn man bergab fährt. Die Fähren fahren von Aker Brygge aus ca. alle 30 Minuten die Inseln vor Oslo an und zwei bis dreimal am Tag in den Fjord hinaus bis Haøya und Drøbak und sind im Studententicket Großteils inbegriffen. Im Winter bieten sie sich daher als eine gratis Sightseeingfahrt durch den vereisten Fjord an, im Sommer bringen sie einen schnell zum Badestrand auf Hovedøya und zu den Museen auf Bygdoy.
Oslo als Stadt
Oslo ist eine architektonisch beeindruckende Stadt. Im Stadtzentrum glänzt Quadraturen mit gemütlichem Altbauten-Charme und der Festungsanlage Akershus. Die Gegend rund um den Hauptbahnhof und im Osten der Stadt ist hingegen von futuristisch moderner Architektur geprägt.
Das geniale an Oslos Stadtgestaltung ist ihre Zugänglichkeit für ihre Bewohner. Die Neubauten sind nicht nur wunderschön in das Stadtbild eingefügt, sondern bieten auch viele Aufenthaltsräume, Sitzgelegenheiten und Erholungsorte. Oslo hat viele Parks, in denen gerne gegrillt, Sport gemacht und gesonnt wird. Und einen Fluss, der sich wie ein grünes Band von Norden nach Süden durch die Stadt schlängelt. Es gibt kostenlose Sportplätze und Felder, sodass es an Grünflächen in der Hauptstadt nicht mangelt. In der Mitte und dem Norden Oslos befinden sich hippe Künstler oder Studentenviertel wie Grünerløkka, wo man Flohmärkte, Künstlermärkte, Secondhand-Shops, kleine Restaurants und belebte Bummelzonen findet. Im Nordwesten der Stadt sind hingegen zwei der größten Studentenwohnheime gelegen und gemütliche Familienwohnviertel. Auf der Landseite ist Oslo von Wald, Outdoor-Sportanlagen und Wandermöglichkeiten umgeben. Fährt man zehn Minuten bis eine Stunde mit dem Bus am Fjord entlang findet man kleine gemütliche Dörfchen. Der Fjord bietet nicht nur Badegelegenheiten (bspw. auf Bygdoy) sondern auch kleine Häfen, Schiffrundfahrten und Kayak oder SUP-Verleihs.
Außerdem kann man Oslo als Zentrum der Kultur Norwegens betrachten. Alle großen Museen, Theater und Konzerthäuser befinden sich hier und sie sind definitiv einen Besuch wert. Besonders empfehlen kann ich: das Munch Museum, das für jede Altersgruppe und für Kunstinteressierte, als auch -Anfänger perfekt gestaltet ist. Der Eintritt ist Mittwochabends ab 18:00 frei; Das Nationalmuseum, in dem man Kunstwerke aus aller Welt und Epochen bewundern kann, es gibt auch viele moderne und synästhetische Ausstellungsstücke; die Oper, die von innen genauso architektonisch beeindruckend ist wie von außen. Abgesehen davon ist das Angebot von Stadtführungen, historischen Gebäuden (Rathaus, Akershus Festung, Dom), Workshops und Kunst- und Kultureinrichtungen riesig.
Reisen in Norwegen ______ Das Beste an Norwegen sind die unbegrenzten Möglichkeiten zu reisen und das Land zu entdecken. Norwegen hat eine Fläche von 385.203 km² und verschiedenste Klimazonen und Vegetationsarten. Sehr empfehlen kann ich einen Roadtrip mit Zelt im Sommer. Dabei bekommt man unheimlich viel von der Natur und den Facetten Norwegens zu sehen, die Menschen, denen man begegnet sind immer hilfsbereit und freuen sich über den Austausch von Erfahrungen. Und das Recht, überall Wildcampen zu dürfen, sobald man 200 m vom nächsten Haus entfernt ist, spart einem viel Geld. Die Natur Norwegens zu entdecken ist auf jeden Fall ein Muss.
Aber auch die Städte und Dörfer sind einen Besuch wert. Ich habe Städtetrips nach Bergen und Trondheim unternommen, die ich beide sehr als Reiseziel empfehlen kann. Das Highlight Trondheims ist der riesige gotische Dom. Tromsø hingegen hat als Stadt nicht sehr viel zu bieten, hier liegt der Fokus eher auf der schroffen, faszinierenden Natur rund um die Stadt. Sehr hilfreich für Städtetrips im Süden und Südwesten Norwegens sind die preiswerten Nachtzüge zwischen Oslo und den größten Städten.
Freizeit und Associations
Da mein Studium nicht so anspruchsvoll war wie in Heidelberg, hatte ich viel Freizeit. Im Winter habe ich sie öfter zum Rodeln oder Schlittschuhlaufen genutzt. Manchmal haben wir auch Lagerfeuer am Ufer von Sognsvann gemacht, was bei Osloern sehr beliebt ist. Allerdings muss man im Winter auch sehr viele Aktivitäten auf Indoor verlegen. Da hat mir das Association-System der Uni Oslo sehr weitergeholfen. Ähnlich dem englischen System gibt es in Oslo zahlreiche Student-Associations, die sich mit jedem denkbaren Hobby beschäftigen. Neben Sportarten wie Hockey, Quidditch, Gruppentanz und Bouldern gibt es auch verschiedenste Chöre und Gemeinschaftsspiele, DnD, Fotografie oder Astronomie Associations, denen man beitreten und Freunde mit gleichen Interessen finden kann. Ich habe damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Besonders bei den ersten Treffen im Semester sind alle unheimlich aufgeschlossen und sobald man ein gemeinsames Gesprächsthema hat, ist auch jede Zurückhaltung der Norweger/innen verschwunden.
Im Sommer bietet die Natur um Oslo insbesondere der Oslofjord geradezu unendliche Freizeit Möglichkeiten. Von Fahrradtouren am Fjord entlang über Picknicks auf Hovedøya, wandern auf Håøya und zum Vettakollen, bis Outdoor Festivals und Grillen im Park ist alles möglich. Auch ESN bietet Exkursionen in alle Ecken Norwegens und Aktionen in der Stadt und Umgebung an.
Sommer und Winter
Was mich am meisten fasziniert hat an meinem Aufenthalt in Oslo ist, wie unterschiedlich das Leben je nach Jahreszeit ist. Als ich im Januar in Oslo angekommen bin, hatte es bis zu -24 Grad C. Überall lagen Berge und meterweise Schnee auf den Straßen und meine Koffer waren fast unmöglich zu ziehen in 5 cm Neuschnee. Sich draußen länger als zehn Minuten freiwillig aufzuhalten ist bei unter – 10 Grad keine Option und die Menschen und das Sozialleben waren dementsprechend im Winter sehr verschlossen und unzugänglich.
Was braucht man für den Winter:
• Warmen Wintermantel, am besten knielang und Daunen
• Wollpullover
• Skiunterwäsche o.ä. zum unter Hosen tragen
• Fettcreme für Gesicht gegen Kältebrand, wenn man länger draußen ist
• Robuste Winterstiefel, wasserdicht
• Spikes wegen eisiger Gehwege (kann man überall in Oslo kaufen)
Was braucht man für den Sommer:
• Mückenspray!
• Sonnencreme, 20 Stunden Sonneneinstrahlung nicht unterschätzen
• Kurze Sommerkleidung, kann bis zu 29 Grad werden
• Sonnenschutz für den Kopf, evtl. auch gegen Wind
Der Sommer ist das perfekte Gegenteil zu diesem Erlebnis. Innerhalb von einer Woche im Mai verwandelt sich die Stadt von einer Winterlandschaft in ein blühendes Frühlingsparadies. Wochenlang strahlt die gesamte Stadt von den duftenden Fliederbüschen, die in jedem Garten stehen und von einem Tag auf den anderen ist Gesamtoslo auf den Straßen. Im Sommer sind die Menschen lebensfroh, offen und verbringen jede Sonnenminute im Park oder am Fjord. Es gibt so viele Freizeitangebote in und um Oslo und die Inseln im Fjord werden zum Freizeitziel Nummer eins.
Fazit
Mein Auslandssemester in Oslo war eine wundervolle Erfahrung und ich vermisse Norwegen sehr, jetzt da ich wieder zuhause bin. Ich würde ein Semester in dieser vor Möglichkeiten sprühenden Stadt jedem/r empfehlen, der/die Zeit in der Natur genießt, eine Affinität zu Sport und Ausflügen hat und sich in einem ruhigem, aber offenem Setting wohlfühlt. Norwegen ist ein Land, das immer noch enorm unterschätzt wird und die öffentliche Organisation hat der deutschen vieles voraus. Die Gegensätze von Land und Stadt, Sommer und Winter, Tradition und Moderne zeigen, wie wertvoll dieses kleine Biotop in unserer sich schnell verändernden Welt ist. Falls ihr euch für Oslo entscheidet, wünsche ich euch viel Spaß beim Entdecken.
Und falls ihr Tipps, Hilfe, oder einfach eine Erfahrungsmeinung braucht, könnt ihr euch gerne hier melden: lia.wellenstein01@stud.uni-heidlberg.de.
Zum Abschluss habe ich hier noch eine kleine Liste meiner persönlichen Highlights und Lowlights angelegt, die euch vielleicht bei der Entscheidung helfen :)
Persönliche Highlights
Deichmanske Bibilothek
Museen und Kultur in Oslo
Reise zu den Lofoten
Campingtrip
ESN-Trips und Angebote
Associations und Sportangebote
Hohe Qualitätsstandards
Kostenloses Trinkwasser überall
Cabins für Wochenendtrips
Zimtschnecken von BIT
Karamellisierter Käse
Persönliche Lowlights
Geringe Arbeitsmotivation
Studienangebot: kein Norwegisch-Kurs
Vereiste Straßen und Gehwege im Winter
Februar und März (schreckliches Nieselwetter)
Hohe Preise
Wenig ECTS angerechnet