Erfahrungsbericht zum Auslandssemester 

Wien, Wintersemester 2015/2016

Studium und Betreuung

An der psychologischen Fakultät der Universität Wien studieren rund 7000 Studierende. Allein diese Zahl legt nahe, dass kein den Heidelberger Verhältnissen nahe kommendes Betreuungsverhältnis geschaffen werden kann. Die Hörsäle und Seminarräume in der Psychologie sind öfter überfüllt und wenn in einem Seminar 60 Studierende auf Einzelreferate verteilt werden müssen, dann kann dies schnell Nerven kosten.

Wenn auch die Betreuungssituation zu wünschen übrig lassen mag, habe ich die fachliche Qualität der von mir belegten Seminare (zu linearer Gleichungsmodellierung mit R, zu forensischen Störungsbildern, zu Werbe- und Steuerpsychologie, empirischer Ästhetik und Psychoanalyse) als sehr hoch befunden. Die Fakultät bietet eine Vielzahl an Schwerpunkten aus sehr interessanten und teilweise hoch spezialisierten Forschungsbereichen, so zum Beispiel der Steuerpsychologie (bei Prof. Dr. Erich Kirchler) oder das EVALab (für empirical visual aesthetics), welches sich unter Federführung Prof. Dr. Helmut Leders als einer der wenigen Lehrstühle in Europa der empirischen Ästhetik widmet.

Nicht zuletzt aufgrund des Mangels an Professoren wird eine große Anzahl an externen Dozenten an die Fakultät berufen, was zu einer ausgezeichneten Bereicherung der Theorie durch die Praxis dient. So konnte ich in vielen Seminaren die Behandlung eines theoretischen Hintergrundes mit aktuellem Praxisbezug des Dozenten bereichert finden. Wovon man als Austauschstudent unbedingt Gebrauch machen sollte, ist die Möglichkeit, alle Lehrveranstaltungen, also auch Masterveranstaltungen besuchen zu dürfen. Durch den Besuch von Masterveranstaltungen im fünften Semester hatte ich beispielsweise die Möglichkeit, mich zu einem frühzeitigen Punkt in anspruchsvolles und interessantes Fachgebiet einarbeiten zu können.

Die organisatorische Unterstützung für Erasmusstudierende wird vom Erasmussekretariat der Universität Wien (https://international.univie.ac.at/incoming-students/erasmus/) bestens bewerkstelligt. Bei Fragen jeglicher Art findet sich dort jederzeit ein Ansprechpartner.

Wohnen

Die Kosten für Wohnraum in Wien sind, vermutlich ähnlich allen europäischen Metropolen, im Steigen begriffen. Zieht man als Student mit beschränkten finanziellen Mitteln in die Stadt, bieten sich jedoch Möglichkeiten, auch einigermaßen nah am Stadtkern (dem 1. Bezirk mit Hauptuniversitätsgebäude) zu halbwegs moderaten Preisen zu wohnen. Verschiedene Möglichkeiten gibt hierzu das Erasmus-Sekretariat (http://international.univie.ac.at/incoming- students/erasmus/unterkunft/) an die Hand.

Generell empfiehlt es sich, ist man nun an einer WG-Gründung oder einem Platz in einem Studentenwohnheim interessiert, bereits ein halbes Jahr im Voraus Ausschau zu halten. Gerade Wohnheimplätze sind sehr begehrt, weshalb man sich unbedingt auch mehrere Alternativen offen halten sollte. Aus eigener Erfahrung kann ich die Wohnheime der Akademikerhilfe (http://www.akademikerhilfe.at) empfehlen. Diese betreibt in mehreren österreichischen Großstädten (Linz, Graz, Wien, Klagenfurt) Wohnheime ganz verschiedener Preisklassen und Formate. So gehören mehrere Wohnheime in der Josefstadt (8. Bezirk), die ältesten Studentenwohnheimen der Stadt Wien, in einem derer auch ich unterzukommen den Vorzug hatte, der Akademikerhilfe. Der achte Bezirk grenzt unmittelbar (5 Minuten zu Fuß) an die innere Stadt, man wohnt somit zentral und die Mietpreise belaufen sich auf rund 300 (warm) für 16qm mit eigenem Bad. Wer so wie ich weniger Kontakt zu anderen Erasmusstudenten sondern vielmehr zu Wienern und Österreichern sucht, findet in den Pfeilheimen eine heimelige Atmosphäre vor, die hauptsächlich von oberösterreichischem Humor geprägt ist. In den äußeren Stadtbezirken (15., 16., 17., 18.) fallen die Mietpreise für WG-Zimmer und ­ wohnungen im Vergleich zum Stadtkern stark ab.

Kosten

Das Leben in Wien ist nicht günstig. Die Preise gerade für Lebensmittel lassen sich mit Münchener Niveau messen, könnte man sagen. Kocht man regelmäßig selbst, so sollten hierfür gut 250 im Monat kalkuliert werden. Die Mensen (z.B. im Neuen Institutsgebäude) sind sowohl mit Menüpreisen von mehr als 5 als auch was die Atmosphäre betrifft nicht sehr attraktiv. Es empfehlen sich vielmehr Restaurants um die Hauptuni, welche Mittagessen für rund 7 anbieten.

Eine Wiener Melange (Kaffee mit Milch und Sahne) kostet in den traditionellen Cafés rund 5, generell sind Cafépreise recht teuer. Im Innenhof der Hauptuni lässt sich sehr schön und preisgünstig Kaffee trinken. Eins klassisches Wiener Schnitzel (Kalbfleisch wohlgemerkt), z.B. im Café Landtmann kostet rund 20 .

Die öffentlichen Verkehrsmittel in Wien sind sehr gut ausgebaut und insbesondere der Benutzung eines Fahrrades vorzuziehen. Wer gern auch nach Semesterende noch ein oder zwei Monate in Wien bleiben möchte, ist mit einer Jahreskarte der Wiener Linien (http://www.wienerlinien.at/eportal3/) gut beraten. Diese kostet 30 im Monat und ist jederzeit kündbar (im Vergleich: Semesterticket 4 Monate 75 nur bei Anmeldung des Erstwohnsitzes, sonst 150).

Wer gerne Zeitung liest, kann von den zu Semesterbeginn angebotenen, sehr günstigen Studentenabonnements der Österreichischen Tageszeitung "Der Standard" profitieren.

Urteil

Auch wenn Wien deutschsprachig ist und gar nicht weit von der deutschen Grenze entfernt liegt, geht einem in dieser Stadt nichts von einer eindrücklichen Erasmus-Erfahrung ab. Wer kulturinteressiert ist oder die klassische Musik liebt, der wird nicht die Möglichkeit, in seinem Umfeld eine neue Sprache zu lernen, vermissen, sondern vielmehr in einem kulturellen Angebot einer Stadt aufgehen, das seinesgleichen sucht. Wenn ein Austausch nach Wien zur Frage steht, sollte man schließlich nicht vergessen, dass diese Stadt innerhalb Europas auf selber Höhe wie Paris, Rom oder London rangiert was Atmosphäre, Mondänität und Kulturdichte anbelangt.

Einen besonderen Reiz mag in Wien der Kontrast zwischen Alt und Neu, Konservatismus und Avantgarde ausmachen, welcher sich sowohl im Humor der Menschen wie nicht zuletzt in der Stadtarchitektur niederschlägt, welche in ihrer Ringstraßenpompösität doch immer wieder von Lichtblicken des Jugendstil durchsetzt ist. Die Innere Stadt Wiens hat die für den Fußgänger angenehme Eigenschaft der räumlichen Kompaktheit, so sind alle Cafés, die Oper, der Musikverein oder die meisten Museen in kurzer Zeit fußläufig zu erreichen. Die Wiener selbst scheinen meist vornehm, fröhlich und hilfsbereit. Man fühlt sich in den breiten Alleen wie den schmalen Gassen schnell heimisch und findet immer ein warmes Eckchen zum Einkehren.

Natürlich wirkt die Stadt im Winter ­ der doch auch recht frisch werden kann, nicht zu unterschätzen ­ mit ihren Weihnachtsmärkten und dem Eistraum (https://www.wienereistraum.com) ­ noch mal mehr bezaubernd. Wer gerne reist, der findet in Wien auch einen idealen Ausgangspunkt zu Ausflügen nach Italien, Tschechien oder Ungarn. Besonders auch für kürzere Ausflüge zu empfehlen sind Bratislava, Budapest, Prag, Ljubliana oder Venedig. (Falls man diese Städte mit der Österreichischen Bundesbahn besuchen möchte (http://www.oebb.at), empfiehlt sich der Kauf einer Vorteilskarte).

Insgesamt kann ich einen Studienaufenthalt in Wien nur von ganzem Herzen empfehlen!