Warschau WS 2021/22 (BSc)

Warszawo (Warschau) 4EU+, Wintersemester 2021/2022 (Bachelor)

Vorab: Polen war als Zielland für mein Erasmussemester sicher nicht meine erste Wahl, ich habe es am Anfang ehrlich gesagt nicht einmal wirklich in Erwägung gezogen, mich dort zu bewerben, und mich vor allem an den „klassischen“ Erasmusländern wie Italien, Dänemark oder Spanien orientiert. Als ich dann jedoch nach der ersten Bewerbungsrunde eine Absage für meine erstgewählte Gastuniversität erhalten hatte und an der Universität Warschau noch Restplätze zur Verfügung standen, habe ich mich dazu entschlossen, mich doch für Warschau zu bewerben. Rückblickend bin ich für diese Entscheidung und die erste Absage so dankbar und kann nur alle ermutigen, nicht aufzugeben, wenn es bei der erstgewählten Universität nicht klappt, sondern dranzubleiben und auch anderen Städten, die man am Anfang vielleicht nicht in Betracht gezogen hat, eine Chance zu geben. Für mich war es im Nachhinein die beste Entscheidung, für mein Erasmussemester nach Warschau zu gehen und ich kann die sowohl die Universität dort als auch die Stadt selbst wirklich nur jedem ans Herz legen. Sie ist in meinen Augen einer der am meisten unterschätzten Städte Europas und müsste ich heute nochmal wählen, würde ich mich definitiv wieder (und dieses Mal als erste Wahl!) für Warschau entscheiden.

Vorbereitung

Während der Organisation des Erasmussemesters gibt es zwar einiges an Dokumenten auszufüllen und hin- und herzuschicken, wenn man jedoch die Deadlines im Blick behält und sich an der Vorbereitungscheckliste des Dezernat Internationale Beziehungen der Uni Heidelberg orientiert (bekommt man per Mail), ist das alles machbar. Zudem bietet das International Office der Uni Warschau mehrere sehr hilfreiche Webinare an, in denen beispielsweise genau erklärt wird, welche Dokumente wo und bis wann eingereicht werden müssen oder wer die eigene Kontaktperson an der Gastuniversität ist und es können alle noch offenen Fragen geklärt werden. Die Teilnahme an diesen Webinaren würde ich auf jeden Fall empfehlen, ansonsten erhält man jedoch auch immer alle Informationen nochmal zugeschickt und bekommt auf Fragen per Mail schnell eine Antwort. Da die psychologische Fakultät der Uni Warschau verglichen mit anderen Fakultäten eher klein und familiär ist und der dortige Mobility Coordinator für eine vergleichsweise überschaubare Anzahl an Austauschstudierenden verantwortlich ist, verläuft auch die Kommunikation mit ihm (bzgl. des Learning Agreements oder der Kurswahl) sehr unkompliziert und schnell. Das klingt zwar nebensächlich, ist aber gerade in der Vorbereitungsphase, wenn vieles geklärt werden muss und man einige Fragen hat, von großem Vorteil. Ich habe von Freunden anderer größerer Fakultäten gehört, dass ihre Mobility Coordinator teilweise Wochen nicht geantwortet haben, und da ist man für eine kleinere Fakultät durchaus dankbar.

Während der Vorbereitungen findet ungefähr drei Monate vor Semesterbeginn durch den Mobility Coordinator auch die Kurswahl statt. Man erhält Informationen zu den jeweiligen Themen, Prüfungsformaten usw. und sofern man die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt, kann man ziemlich frei sowohl Bachelor- als auch Masterkurse wählen. Auch hier würde ich wieder sagen, dass die kleine Fakultät ein großer Vorteil ist, da man sich nicht zu einer bestimmten Uhrzeit einwählen und mit hunderten anderen nach dem first come first served Prinzip um die begrenzten Kursplätze konkurrieren muss, sondern mit ausreichend Zeit seine Auswahl treffen kann und dann in aller Regel seine gewählten Kurse auch bekommt. Schließlich kann ich für die Vorbereitung auch empfehlen, den Facebookseiten der Uni Warschau und des Erasmus Student Network (ESN) zu folgen. Dort werden Links für die offiziellen Whatsapp/Telegram Gruppen für Austauschstudierende geteilt und falls man allgemeinere Fragen (zur Zimmersuche, Einführungswoche, Auslandsbankkonto, Orte in Warschau, …) hat, kann man sie auch in diesen Gruppen immer stellen.

Zimmer

Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten, in Warschau ein Zimmer zu finden: Im Wohnheim, über pepehousing.com oder durch privates Suchen. Wenn man ein Zimmer im Wohnheim möchte, muss man dies bereits beim Registrierungsprozess der Uni Warschau angeben und bekommt schließlich zwei bis drei Monate später Bescheid, ob und wenn ja, in welchem Wohnheim man ein Zimmer erhalten hat (es gibt verschiedene Wohnheime, man kann jedoch keine Präferenz angeben). Die Anzahl der Plätze ist zwar begrenzt, ich habe im Freundeskreis jedoch die Erfahrung gemacht, dass alle, die ein Zimmer dort wollten, auch eins bekommen habe. Da für Austauschstudierende grundsätzlich nur Plätze in Doppelzimmern (mit zwei Einzelbetten natürlich) vergeben werden und ich mir lieber ein Einzelzimmer suchen wollte, habe ich mich damals gegen das Wohnheim entschieden – mit nur 100€ Miete im Monat ist es aber definitiv die günstigste Option. Es empfiehlt sich auf jeden Fall, vor einer Zusage die Entfernung und ÖPNV-Anbindung des zugeteilten Wohnheims zur eigenen Fakultät nachzuschauen, da einige Wohnheime etwas außerhalb liegen.

Ich habe mein WG-Zimmer damals über die zweite Option, pepehousing.com, gefunden und war damit sehr zufrieden. Die Website hat sich auf die Vermittlung von Zimmer an Austauschstudierenden spezialisiert und wird auch von ESN offiziell empfohlen, kann also als „sicher“ betrachtet werden. Die dort angebotenen privaten Zimmer und Wohnungen sind aufgrund des Vermittlungsservices und der Provisionen eindeutig teurer, als wenn man auf eigene Faust (z.B. über Facebook) sucht. Zudem hat man zwar Zugang zu Beschreibungen und Bilder des Zimmers und erfährt, wie viele Schlafzimmer die Wohnung hat, seine Mitbewohner*innen lernt man jedoch erst beim Einzug kennen – hier kann man (genau wie im Wohnheim) Glück oder Pech haben. Der Vorteil des Ganzen ist jedoch definitiv die unkomplizierte Abwicklung: Die Kommunikation läuft auf Englisch (was auf Facebook und anderen Seiten oft nicht der Fall ist), man kann das Zimmer bequem online buchen und ist an keine festen Mietzeiträume gebunden (z.B. kann man auch erst ab dem 27.9. buchen und muss dann tatsächlich nur für diese vier Tage und nicht den ganzen September zahlen). Da außerdem die Lebenshaltungs- und damit auch die Wohnkosten in Warschau insgesamt deutlich unter denen in deutschen (Groß-)Städten liegen, war selbst der „teurere“ Zimmerpreis verglichen mit Heidelberg noch relativ günstig. Wer über pepehousing.com suchen will, kann ich nur empfehlen, möglichst früh mit der Suche anzufangen, da dann einfach die Auswahl (bzgl. Preis, Lage, Zimmergröße usw.) noch am größten ist. Zur dritten Option, der privaten Suche, kann ich leider wenig sagen, da ich niemanden kenne, der nicht im Wohnheim gewohnt oder über pepehousing.com sein Zimmer gefunden hat. Allerdings gibt es diverse Facebookgruppen, in denen Privatpersonen (oft auf Polnisch) Zimmer anbieten und auch in den Erasmus-Whatsappgruppen wird insbesondere in den Wochen vor dem Semesterstart von anderen Austauschstudierenden, die bereits eine WG gebildet haben und noch einen Platz frei haben, nach weiteren Mitbewohner:innen gesucht.

Universität

Die Universität Warschau und insbesondere auch die Fakultät für Psychologie haben in Polen einen sehr guten Ruf und meine Erfahrungen können diesen nur bestätigen. Wie bereits oben geschrieben, ist die psychologische Fakultät eher klein und alle Veranstaltungen finden – sofern Präsenzunterricht stattfindet – im gleichen Gebäude statt, sodass man nicht zwischen verschiedenen Bezirken pendeln muss. Der Psychologiestudiengang in Warschau dauert insgesamt fünf Jahre, ist somit anders als in Deutschland nicht in einen separaten Bachelor und Master unterteilt, und Austauschstudierende können grundsätzlich Kurse aus allen Jahrgängen belegen (also auch Bachelorstudierende können Kurse aus dem vierten oder fünften Jahr – vergleichbar mit Master-Level – besuchen). Da der gesamte Studiengang sowohl auf Polnisch als auch komplett auf Englisch angeboten wird und theoretisch Kurse aus fünf Jahrgängen zur Wahl stehen, ist das Kursangebot wirklich sehr vielfältig und bietet viele Seminare, die in Heidelberg entweder in dem Format (z.B. Self-Experience in Psychodynamic Group Psychotherapy) oder dem Themenschwerpunkt (z.B. LGBTQI & GSRD Psychology) nicht angeboten werden. Insgesamt fand ich alle meine Kurse sehr interessant und sollte es die Seminare zu dem Zeitpunkt noch geben, kann ich vor allem die Kurse Financial Psychology und Positive Psychology empfehlen! Die Atmosphäre in den Seminaren ist persönlicher und interaktiver, als ich es aus Heidelberg gewohnt war, und alle Dozent*innen haben auf mich einen sehr nahbaren, engagierten und interessierten Eindruck. Auch bezüglich der Organisation gibt es nichts Negatives zu berichten – Materialien wurden immer rechtzeitig hochgeladen, zu Assignments oder Tests bekommt man schnell eine Rückmeldung und auch nachdem die Veranstaltungen aufgrund von Corona von Präsenz auf Online umgestellt wurden, gab es bis auf einige zu spät verschickte Zoom-Links nie größere Probleme. Die Notenzusammensetzung variiert von Kurs zu Kurs, meistens setzt sich die Endnote jedoch aus mindestens zwei bis drei Prüfungsleistungen zusammen (Präsentation, Essay, Gruppenarbeit, Mitarbeit in den Seminaren, Abgabe von kleineren Assignments während des Semesters, …) und in den meisten von mir besuchten Kursen wurde sowohl ein Midterm Exam als auch ein Final Exam geschrieben. Der Nachteil ist, dass man zwei Prüfungsphasen hat und schon in der Mitte des Semesters einmal lernen muss, der Vorteil ist jedoch, dass sich dadurch der Prüfungsstoff besser verteilt und nicht am Ende alles geballt gelernt werden muss. Die geforderten Prüfungsleistungen sind von Anfang an festgelegt und für wen die geforderten Prüfungsleistungen ein wichtiges Kriterium ist (z.B., wenn man auf keinen Fall eine Präsentation halten will), kann sich diese bereits vor der Kursauwahl durchlesen und in der Wahl berücksichtigen. Wie wahrscheinlich an jeder Uni schwankt auch das Anspruchsniveau je nach Kurs und Dozent:in, aber meiner Erfahrung nach sind die Seminare und Vorlesungen mit etwas Mitarbeit sehr gut machbar und mit entsprechender Vorbereitung kann man durchaus auch sehr gute Noten erreichen. Das Englisch sollte auf jeden Fall niemanden Sorge bereiten – wenn man einen gewissen Grundwortschatz hat und rund um die Uhr an der Uni und mit Freunden Englisch spricht und hört, kommt man schnell rein und lernt auch die einzelnen in den Seminaren benötigten und immer wieder benutzten Fachwörter in kurzer Zeit.

Leben

Fast alle, denen ich erzählt habe, dass ich mein Erasmussemester in Warschau verbringen werde (und dann auch noch über die Wintermonate), reagierten erstmal mit einer hochgezogenen Augenbraue und der mehr oder weniger deutlich formulierten Frage, was man denn ausgerechnet in Polen wolle. Es gibt eigentlich kein Vorurteil, was ich während der Vorbereitungen nicht von der einen oder anderen Seite – ungefragt – zu hören bekommen habe: Warschau sei vor allem grau und kalt, bestünde nur aus hässlichen Ostblock-Plattenbauten und generell seien die Polen ja eher rechtspopulistisch, europafeindlich und intolerant eingestellt. Wenn du diesen Erfahrungsbericht bis hierhin gelesen hast und nur eine Sache daraus mitnimmst, kann ich nur sagen: Warschau ist so viel schöner und hat wirklich so so viel mehr zu bieten, als irgendwelche Vorurteile es vermuten lassen und lass dich von diesen „gut gemeinten“ Ratschlägen nicht unterkriegen, sondern freue dich auf die Stadt. Ja, vor allem in den äußeren Bezirken der Stadt gibt es auch die klassischen Plattenbauten und ja, im Winter wird es – wie auch in Deutschland – mal kalt und ungemütlich. Das ist allerdings längst nicht das, was die Stadt ausmacht. Es gibt eine wunderschöne, nach dem zweiten Weltkrieg komplett wieder aufgebaute Altstadt, ein unmittelbar daran anschließendes prächtiges, ebenfalls nach dem zweiten Weltkrieg vollständig renoviertes und sehr gepflegtes Stadtzentrum und seit einigem Jahren entstehen im Westen der Stadt zahlreiche moderne Hochhäuser, in die immer mehr Banken und andere internationale Unternehmen ziehen. Auch sonst lässt Warschau als Haupt- und Großstadt eigentlich keine Wünsche offen: Es gibt unzählige Restaurants und Cafés, Bars und Clubs, Museen, Parks, englischsprachige Kinos und Einkaufszentren – die während Corona ausnahmslos weiter und fast ohne Beschränkungen weiterhin geöffnet waren – und alles ist durch ein sehr gut ausgebautes und zuverlässiges ÖPNV-System unkompliziert zu erreichen. Ein echter Pluspunkt bei all dem sind vor allem die für deutsche Studierende deutlich geringeren Preise, die oftmals mindestens 20-30% unter dem Niveau liegen, das man aus deutschen oder anderen europäischen Großstädten kennt. Beispielsweise kostet eine Kinokarte umgerechnet – gezahlt wird in der polnischen Währung Zloty – weniger als 6€, eine Hauptspeise im Restaurant bekommt man für 8-10€ und das ÖPNV-Ticket kostet für Studierende für drei Monate nur 30€. Was die Sprache angeht, ist es in der Uni definitiv kein Problem, kein Polnisch zu sprechen, da dort wirklich alle sehr gut Englisch sprechen. Im Alltag hingegen kann und sollte man das nicht automatisch voraussetzen – in den Restaurants und Cafés wird zwar in der Regel Englisch gesprochen, im Supermarkt oder wenn man jemanden auf der Straße anspricht habe ich jedoch gemischte Erfahrungen gemacht. Hier muss man sich manchmal einfach mit Mimik und Gestik verständigen oder eben Google Übersetzer zur Hilfe holen und es schadet eindeutig nicht (im Gegenteil, die Leute freuen sich!), die wirklich grundlegenden Wörter wie Guten Tag, Bitte, Danke, Auf Wiedersehen auch auf Polnisch zu kennen. Ich habe während des Semesters einen E-Learning Kurs belegt und versucht, Polnisch zu lernen, allerdings muss ich zugeben, dass ich mich mit der Sprache relativ schwergetan habe und mir hat letztendlich einfach die Übung gefehlt, da ich in der Uni und im Freundeskreis nur Englisch gesprochen habe. Da kommt es jedoch wahrscheinlich auch einfach auf die eigenen Ambitionen an und mit etwas mehr Fleiß und Disziplin kann man innerhalb von fünf Monaten sicherlich solide Grundkenntnisse aufbauen.

Um zu Beginn des Semester in der Stadt und im Studentenleben anzukommen, kann ich auf jeden Fall die Einführungswoche eine Woche vor dem offiziellen Semesterstart empfehlen und würde auch raten, tatsächlich schon vor Ort zu sein. Zwar wurden die tagsüber vom International Office angebotenen offiziellen Infoveranstaltungen online durchgeführt, die vom Erasmus Student Network (ESN) organisierten Veranstaltungen am Nachmittag und Abend konnten jedoch trotz Corona in Präsenz stattfinden und ich kann jedem nur raten, dort hinzugehen. Gerade am Anfang, wenn man noch niemanden kennt und sich generell etwas verloren fühlt, ist es die perfekte Gelegenheit, die wichtigsten Orten kennenzulernen, sich in der Stadt zu orientieren und andere Austauschstudierende zu treffen. Alle sind total aufgeschlossen und fast alle meine späteren Freunde habe ich in dieser ersten Woche kennengelernt. Auch unter dem Semester sind die Organisatoren von ESN wirklich sehr engagiert und bieten immer wieder verschiedenste Events an (Parties, Städtetrips, Karaoke- und Spieleabende, Pierogi-Kochkurse, Museumsbesuche, …), bei denen man auch später noch neue Orte und Leute kennenlernen kann.