Southampton SS 2021 (BSc)

xNo longer available: Southampton, Sommersemester 2021 (Bachelor)

Zwischen Januar und Juni 2021 erhielt ich die Möglichkeit, an der School of Psychology an der University of Southampton in England zu studieren.

Den Bewerbungsprozess für das Erasmussemester behalte ich als recht kurzfristig in Erinnerung. Als Nachrücker kam ich Mitte April 2020 überraschend zu einem Platz für Psychologie in Southampton. Zu diesem Zeitpunkt überrollte auch Europa die erste Welle der Pandemie, sodass die Zusage, ab September in England studieren zu können, von vornherein nur unter Vorbehalt galt. Geplant hatte ich, dass ich den Erasmus-Aufenthalt in meinem siebten Bachelorsemester absolviere. Da ich deshalb in England kaum ECTS für meinen Abschluss in Heidelberg zu sammeln brauchte, war ich bereit, mich auf diese Ungewissheit einzulassen.

Einige Wochen später erhielt ich die Benachrichtigung der englischen Uni, dass jegliche Präsenzlehre in der Psychologie für das Wintersemester 2020 abgesagt worden war, woraufhin mir eine komplette Absage des Erasmussemesters, eine rein virtuelle Teilnahme oder das Verschieben auf das darauffolgende Semester angeboten wurde. Da sich das Verfassen meiner Bachelorarbeit bis in mein siebtes Semester zog, wählte ich die dritte Option, auch wenn zu ahnen war, dass gerade im Winter die Pandemie keinen Präsenzunterricht zulassen würde.

Mitte Dezember erhielt ich den offiziellen Bescheid, mich bei der Uni Southampton einschreiben zu dürfen. Es folgten eine Reihe von Telefonaten sowie unzählige Mails, um sowohl meine Aufenthaltsberechtigung (zum 1.1.2021 traten für EU-Bürger:innen neue Reiseregelungen für UK in Kraft) als auch meine Unterbringung zu klären. Mein letzter Stand hierzu übrigens: solange der Aufenthalt den Zeitraum von sechs Monaten nicht überschreitet, kann bei deutscher Staatsbürgerschaft mit einem „Tourismus-Visum“ in England studiert werden. Dieses Visum braucht nicht beantragt werden und hätte in meinem Fall keine weitere Vorbereitung erfordert. Bei der Einreise ist ein gültiger Reisepass erforderlich.

Zwei Tage nach dem Verkünden des „harten“ Lockdowns im Vereinigten Königreich reiste ich Anfang Januar in England ein. Der welcome service organisierte meine Fahrt vom Flughafen Heathrow in mein neues Zuhause. Ich hatte mich für eine private Unterkunft in Swaythling (Burgess Road, ~425 Pfund/Monat) mit drei weiteren Studierenden entschieden. Mit meinen Mitbewohner:innen hatte ich die meiste Zeit über wenig bis gar keinen Kontakt. Das lag auch daran, dass einer der drei während des Lockdowns zu seinen Eltern zurückzog. Mit einem anderen verbrachte ich hingegen mehr Zeit, indem ich mich seinem Fußballverein anschloss, nachdem dies die Lockerungen im April 2021 ermöglicht hatten.

Schließlich habe ich nur ein Uni-Gebäude betreten: das Covid19-Testing-Zelt. Das bedeutet, ich habe fünf Monate in Southampton gewohnt, konnte jedoch ausschließlich online an den Lehrveranstaltungen teilnehmen. Diese Regelung wurde erst am Tag meiner letzten Prüfung von der Universität aufgehoben. Nichtsdestotrotz: sowohl das Studieren als auch das Leben in England haben mir wertvolle Erfahrungen geschenkt.

Studieren – „be prepared to interact“

Die Vorbereitung des Semesters erfolgte in meinen Augen sehr engmaschig. Viele Mails erklärten bereits im Vorfeld den jeweiligen Kursaufbau und baten um die aktive Beteiligung an der Diskussion im Kurs. Eine dem Semester vorangestellte Info-Veranstaltung für alle neuen Erasmus-Studierende in der Psychologie klärte alle wichtigen administrativen und ein paar akademische Punkte. Spätestens dann wussten alle, dass jede:r Studierende:r eine feste Ansprechperson für alle Fragen und Probleme rund um das Studium hat. Ich konnte mich in allen Fällen grundsätzlich auf eine zeitnahe und konstruktive Bearbeitung meiner Anliegen (diverse Bescheinigungen und die Änderungen des learning agreements) verlassen.

Folgende Kurse (mit je 7,5 ECTS, bzw. 15 CATS) hatte ich gewählt:

  • PSYC3002 Current Issues in Clinical Psychology
  • PSYC3010 Attachment & Personal Relations
  • PSYC3015 Social & Psychological Approaches to Sexual Health
  • PSYC3059 Psychology of Advertising

Es ist möglich, genau einen Kurs aus einem anderen der Fächer der Fakultät zu wählen, sofern es die Kapazitäten zulassen. Zudem können bis zu zwei Wochen nach Beginn der Veranstaltungen Kurse noch gewechselt werden.

Am Kurs 3002 (klinische Psychologie) gefiel mir, dass jede Woche eine andere Person (Expert:in mit Praxiserfahrung) jeweils ein bestimmtes psychisches Störungsbild in einer Vorlesung präsentierte – also eine Ringvorlesung. Das war aufgrund der praktischen Einblicke (Videos zu Kasuistiken etc.) sehr eindrücklich. Auch die Auswahl der Störungen ging über die Inhalte der Vorlesung zu klinischer Psychologie und Psychotherapie in Heidelberg (Bachelor) hinaus. Noten erhielten die Studierenden über eine Gruppenarbeit (Anamnesebericht und VT-Therapieplanung verfassen und begründen) sowie eine Abschlussprüfung.

Der Kurs 3010 zur Bindungstheorie von Prof. Kathy Carnelley hat im Verlauf der Veranstaltung leider überhaupt kein weiteres Interesse in mir hervorgerufen. In zweistündigen Sitzungen fanden wöchentlich Präsentationen der Studierenden zur Pflichtlektüre statt. Die abgelesenen Texte zur Präsentation erinnerten eher an Sicherheitsdurchsagen an Flughäfen oder Bahnhöfen. Es fiel mir schwer, den Präsentationen konzentriert zu folgen. Im Anschluss daran folgten Diskussionsrunden, in denen vorgegebene Fragen diskutiert wurden. Diese Momente in den Break-Out-Rooms empfand ich oft als unangenehm. Die meisten Teilnehmenden, so auch ich, hatten es nicht geschafft, alle Texte zu lesen. Die Professorin und ihre Hilfskräfte traten diesen Räumen bei, um die Moderation (jeweils ein Mitglied der präsentierenden Gruppe) zu bewerten. Das Ergebnis: gezwungene Gespräche, die über Allgemeinwissen kaum hinausgingen, gestresste Moderator:innen sowie eine abnehmende Teilnehmendenzahl im Verlaufe des Semesters. An der letzten Veranstaltung nahmen nur noch acht von ursprünglich mehr als 50 Studierenden teil. Die Präsentation sowie eine Prüfung am Ende des Semesters lieferten die Grundlage zur Benotung.

Den Kurs 3015 zur sexuellen Gesundheit kann ich hingegen als Erfolg bezeichnen. Im Duo moderierten Roger Ingham und Cynthia Graham (zwei Koryphäen auf diesem Forschungsgebiet) den Kurs. Aufgrund ihrer langjährigen und intensiven Forschungserfahrungen konnten sie von ganz unterschiedlichen Themen des Forschungsgebietes detaillierte Ergebnisse (auch aus der eigenen Forschung und Praxis) berichten, was ich als sehr bereichernd empfand. Immer wieder schafften die beiden es, Bezüge zur (Gesundheits-)Politikberatung herzustellen und die soziologische Perspektive hervorzuheben. Dieser Kurs repräsentierte in meinen Augen durch seine vielfältige und umfassende Betrachtung des Themas die akademische Herausforderung, die ich mir auch in allen anderen Psychologie-Kursen meines bisherigen Studiums gewünscht hätte. In Kleingruppen wurden Präsentationsthemen bearbeitet und im Verlaufe des Semesters vorgetragen. Auch hier wurden vorbereitete Diskussionsfragen eingesetzt. Hervorzuheben ist, dass es (wie auch im Kurs 3010) vorbereitend eine einstündige Vorbesprechung der Präsentation mit der/dem Dozierenden gab. Dieses individuelle Gespräch empfand ich als sehr wertvoll. Die Bewertung erfolgte auf Basis der Präsentation, eines Praxisprojektes und einer abschließenden Prüfung.

Der vierte Kurs 3059 über Werbepsychologie war für mich am reizvollsten. Der polarisierende und unter den Studierenden nicht unumstrittene Professor Aiden Gregg setzte auf alternative Prüfungsformate. Ein Drittel der Note bildete sich aus der Erstellung eigener MC-Fragen (nach streng formulierten Kriterien) der Studierenden auf Basis der Vorlesungsinhalte und entsprechender Literatur. Ein weiteres Drittel basierte auf der Erstellung eines eigenen Werbeplakats anhand der vorgegebenen Literatur sowie eines Interviews der Managerin des zu bewerbenden Cafés. Das Projekt war also sehr praxisnah. In der Vergangenheit wurden die Ergebnisse der Studierenden auch von den kooperierenden Restaurants, Cafés, Bars, etc. übernommen. Das letzte Drittel ergab sich aus einem Essay. Wenig überraschend basierte dieser Kurs auf marktradikalen Prämissen. Diese wurden jedoch lediglich erwähnt und nicht kritisch adressiert. Dem Kurs mangelte es außerdem an einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit den kapitalistischen Motiven von Werbung. Für alle Kurse mussten zusätzlich zu den Prüfungen und Prüfungsleistungen auch eine Anzahl an Versuchspersonenstunden vorgewiesen werden, die online abgeleistet werden konnten.

Southampton – beste Ausgangslage

Da ich aufgrund einer Halbtagsstelle als Werkstudent in Deutschland (dank mobilem Arbeiten möglich) nur wenig Freizeit hatte und außerdem der Lockdown galt, entdeckte ich in den ersten Monaten nur die nähere Umgebung. Bereits im Februar besorgte ich mir ein Rennrad und unternahm kleinere Touren. Die meiste Zeit verbrachte ich joggend im Lords Wood (Wald), hinter dem kommunalen Golfplatz. Spaziergänge im nahegelegenen Itchen Valley waren für mich besonders erholsam. In der Innenstadt hielt ich mich eher selten auf. Die meisten Orte waren ohnehin geschlossen.

Mit der Aufhebung der inländischen Reisebeschränkungen begann ich später, Freunde und Freundinnen zu besuchen und kam auf diese Weise nach Brighton, London, Oxford, Cambridge und Guildford. Gemeinsam mit anderen Erasmus-Studierenden unternahm ich Rennrad- und Wandertouren in den New Forrest (z.B. New Milton, Brockenhurst, Lepe Beach, Hurst Castle), nach Bournemouth, Christchurch und auf die Isle of Wight. Diese Orte kann ich empfehlen. Gerade das Rennradfahren auf der Isle of Wight wird mir besonders in Erinnerung bleiben oder die Wildpferde im New Forrest. Einen Tag verbrachten wir auch in Salisbury und Stonehenge.

Für Vielfahrer*innen in englischen Zügen empfehle ich die Railcard für junge Menschen (~30 Pfund), die in Deutschland einer Bahncard mit 33% Rabatt pro Fahrt entsprechen würde und sich schnell amortisiert hat.

Nun? – Fazit

Dass mir eine seltsame Zeit bevorstehen würde, hatte ich geahnt. Trotzdem blicke ich zurück und bin überrascht über das erste Halbjahr 2021. Ich behalte die Zeit in England als belastende und für mich außergewöhnliche Zeit in Erinnerung. Das Semester in England empfand ich als anspruchsvoll, was besonders der hohen Arbeitslast zuzuschreiben ist und weniger der Komplexität, mit der die Themen behandelt wurden. Beinahe wöchentliche Abgaben zur Bewertung erinnerten eher an Hausaufgaben aus Schulzeiten.

Bemerkenswert fand ich die enge Betreuung durch die Dozierenden, die grundlegende Arbeitsgeschwindigkeit und die Offenheit, mit der Feedback erbeten wurde. Ebenso positiv zu erwähnen ist der Versuch, möglichst viele Entscheidungen transparent zu kommunizieren. Eindrücklich war auch die digitale Infrastruktur der gesamten Uni, die funktional und modern ausgestaltet war.