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Rezension Schaub (2001)

Harald Schaub:

Persönlichkeit und Problemlösen.

BeltzPVU, Weinheim 2001. 221 Seiten, € 44,90.

Von Joachim Funke

Aus Report Psychologie 27, 2002, 262 & 267.

Wie war das noch mit dem Unterschied zwischen Allgemeiner und Differentieller Psychologie: die Allgemeine Psychologie sucht die allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten, die Differentielle konzentriert sich auf das, was die Menschen unterscheidet - sollte diese schöne Aufteilung nicht mehr gelten? In seinem gerade erschienen Buch versucht Harald Schaub, zwischen den beiden Disziplinen eine Brücke zu schlagen. Am Beispiel des (komplexen) Problemlösens will er zeigen, dass die Suche nach persönlichkeitsstiftenden Konstrukten solange nicht weiterhilft, wie man die dahinter stehenden (erzeugenden) Verarbeitungssysteme nicht beachtet, die ein bestimmtes, stabiles Verhalten produzieren. Nimmt man aber eine gemeinsame Architektur an, kann bei gleicher Grundausstattung Variation durch sog. Parameteränderungen (Schwellenwerte z.B.) erzeugt werden. Die These ist also: es gibt ein allen gemeinsames Verarbeitungssystem, Unterschiede im Verhalten werden durch verschiedenartige Parametrisierungen erzeugt. Dieser Gedanke ist sicher interessant - wenngleich nicht neu: bereits die frühen Psychophysiker des 19. Jahrhunderts waren davon ausgegangen, dass bestimmte Gesetzmäßigkeiten (etwa psychophysische Funktionen) für jeden Menschen in genau gleicher Weise gelten (z.B. die logarithmische Beziehung zwischen Reiz- und Empfindungsstärke), sich aber dennoch unterschiedliche Empfindsamkeiten durch die Parameter der Funktion abbilden liessen. Auch Eysencks Persönlichkeitstheorie liegt ja - wie Schaub selbst berichtet - eine ähnliche Annahme (neuronale Erregbarkeit) zugrunde. Dies bedeutet aber keinesfalls, dass eine integrative Theorie, die Personenunterschiede als Parameterunterschiede begreift, deswegen nur auf subsymbolischem Niveau möglich wäre, wie auf S. 122 unten nahegelegt wird. Die Lösung besteht vielmehr darin, allgemeingültige Gesetzesaussagen mit Individuenparametern auszurüsten. Dies hat mehr mit Logik als mit neuronalen Netzen zu tun. Es geht ja gerade nicht darum, entweder das Allgemeine oder das Besondere zu finden, sondern das Besondere im Allgemeinen zu erkennen und im Allgemeinen Platz für das Besondere zu lassen.

So interessant der vorgestellte Ansatz ist, so wenig glücklich bin ich über das Konzept dieses Buches. Einmal abgesehen von den zahlreichen Fehlern im Text (auch das Beltz-Lektorat hat geschlafen: schon in der Titelei wird auf eine Reproduktionsvorlage der Autorin verwiesen, Schnitzer im Umbruch wie z.B. auf S. 92, ein Literaturverzeichnis mit vielen Fehlern einschliefllich falscher Alphabetisierung, Seitenangaben im Namensregister oftmals nur Näherungswerte), erweist sich das Buch als heterogene Sammlung: ein unkommentierter, fast stichwortartig bleibender Abriss bisheriger Forschung zum Zusammenhang von komplexem Problemlösen und Persönlichkeit; ein 60seitiger Mittelteil mit der sehr detaillierten, ausführlichen Darstellung zweier kleiner Studien (bis auf die Ebene der SPSS-Variablennamen PSI9FF1 oder psifac4 - wären nicht einige der fast 40 hierfür verwendeten Tabellen entbehrlich gewesen?); ein etwa gleich grofler Teil über kognitive Architekturen wie ACT, SOAR und PSI; und schließlich das Herzstück: 40 Seiten über die Integration der zwei Disziplinen, leider 20 Seiten davon wieder sehr spezifisch einem computerimplementierten Wesen namens Persys und dessen fiktiver Persönlichkeit gewidmet. Empirie wird dabei reduziert auf die "Verhaltensbeobachtung" anthropomorphisierter künstlicher Agenten in artifiziellen Umwelten - trifft das wohl Borings (1950) Einschätzung: "correlationist psychologists like people"? Da lasse ich mir lieber Cattells (1898) Vorwurf gefallen, die Experimentierer würden den "body of nature" mit dem Blick eines Anatomen und nicht demjenigen eines Liebhabers betrachten - immerhin haben wir noch den Körper vor uns und nicht nur bits and bytes!

Was wir brauchen, ist Modellbildung über lebende Wesen - über Menschen. Die in der KI-Forschung betriebenen Studien zu intelligenten Agenten, die angeblich über "Überzeugungen", "Wünsche" und "Absichten" verfügen und für die Schaub viel Sympathie aufbringt, sind bestenfalls heuristisch fruchtbar. Prüfinstanz unserer Modelle ist und bleibt menschliches Verhalten. Und hier sind Schaubs eigene empirische Arbeiten aus Kapitel 4 hinter seinen Anspruch zurückgefallen - so einfach ist es denn wohl nicht, das Verhalten erzeugende System bei der Arbeit festzunageln.

Nein, dass die Persönlichkeitspsychologie Anwärterin auf ein die gesamte Psychologie integrierendes Fach (so S. 26) sein sollte - dem kann ich nach Lektüre dieses Buchs nicht zustimmen. Eher zeigt sich hier die Krise der Differentiellen Psychologie, die auf der Suche nach ihrem Gegenstand in mancherlei Sackgasse läuft. Wer die auf S. 93 abgedruckte Ergebnisübersicht zweier Studien betrachtet, muss zu dem Schluss kommen: Wenn die Situation der Differentiellen Psychologie so unübersichtlich und verworren ausfällt wie dieser zusammenfassende Überblick, sehe ich deren Potenz zur Integration mit großer Skepsis.


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Zuletzt bearbeitet am 04.06.2002 von JF.