Die Anfänge des alt-neuen, jedenfalls jetzt real existierenden Psychologischen Instituts sind kriegsbedlngt bescheiden. Nachdem ein im Juni 1943 von Hellpach gestellter Antrag auf die Anmietung von Räumen im "Bremeneck" erfolglos geblieben war, "half" der allmählich "total" werdende Krieg insofern, als die im damaligen Weinbrennerbau im Marstallhof untergebrachten Sammlungen des Archäologischen und Ägyptologischen Instituts ausgelagert wurden. In dadurch frei werdenden Räumen wurde das Psychologische Institut Anfang 1944 provisorisch untergebracht (1). Das Provisorium währte etwa ein Jahr, bis am 30. März 1945 die amerikanischen Truppen in das unzerstörte Heidelberg einrücken und mit der Schließung der Universität sofort am 1. April auch den Weinbrennerbau requirieren (2).
Personell war Hellpachs Stütze seit dem 8.1.43 der seit 1937 promovierte Wilhelm Witte, dem dann am 2. August 1944 die Philosophische Fakultät aufgrund seiner Habilitationsschrift über "Die Methodik der experimentellen Charakterologie" die Würde eines Dr.phil.habil. verlieh. Auch die Dozentur für Psychologie wurde Witte aufgrund seiner "Lehrprobe" am 28.11.1944 verliehen, nachdem die Probe am Vortag wegen Fliegeralarms hatte abgesetzt werden müssen (3). Im Vorlesungsverzeichnis taucht Witte (anfangs mit Hellpach) seit dem SS 1944 auf, vornehmlich mit Übungen zur experimentellen Psychologie und Psychodiagnostik nach der Zwangspause im SS 1946 (4) neben Hellpach und (ab SS 1952) noch neben Rudert.
Mit der Wiedereröffnung der Universität Anfang 1946 bezieht das Psychologische Institut neue Räume und zwar so kurzfristig, wie Hellpach meinte und hoffte: "endgültig", im 2. Obergeschoß des Seminarienhauses der Universität (mit immerhin sieben Räumen, davon "5 eigentlichen experimentellen Arbeitsräumlichkeiten") (5). Bald danach aber mußte das Institut in das 3. Obergeschoß des Eckhauses Hauptstr. 126/128 umziehen, in die Räume des ehemaligen "Volks- und Kulturpolitischen Instituts" Kriecks, die Hellpach noch im November 1945 begutachtet hatte als "untauglich für die meisten Arten psychologischer Experimentalveranstaltungen, weil sie direkt am zur Zeit außerordentlichen Lärm der Hauptstraße und der Ecke des Universitätsplatzes liegen" (6).
Im übrigen waren die Jahre 1946 und 1947, in denen es im Lande wie in der Universität um die Entscheidung ging, an die Zeit vor 1933 wieder anzuknüpfen oder einen Neubeginn zu wagen, auch erfüllt von Auseinandersetzungen um die Rückgabe des Psychologischen Instituts an die als Wirtschaftshochschule wiedererstandene Mannheimer Hochschule. Umfängliche Akten bezeugen das Hin und Her an berechtigten und unberechtigten Forderungen, Zurückweisungen, Rechtfertigungen und Anklagen. Irgendwann in diesem Streit, als alle Geräte schon durch Verhandlungen zwischen Witte (Heidelberg) und Lysinski (Mannheim) gütlich aufgeteilt waren, blieb als einziger Zankapfel ein Hipp'sches Chronoskop, auf das kein sich wissenschaftlich nennendes psychologisches Institut glaubte verzichten zu können (7).
Hellpach, der in zahllosen Schriftsätzen um "sein" Institut kämpfte, ließ bei mancher Gelegenheit seine Retrospektive auf die Geschichte des Psychologischen Instituts deutlich werden. Hierzu eine unkommentierte Kostprobe, datiert "Oktober 1946":
Zur Rhetorik der anderen Seite gehörte die Behauptung, die Überführung der Handelshochschule sei ein nationalsozialistischer Willkürakt gewesen, für den jetzt eine Art Wiedergutmachung zu fordern sei. Auf beiden Seiten schließlich wurde mit politischen und moralischen Attributionen und Insinuationen nicht gespart. Schließlich sicherte ein auch durch Erschöpfung bedingter Kompromiß der Heidelberger wie der Mannheimer Psychologie die als unverzichtbar erklärte institutionelle Infrastruktur (9).
Ab 1950 werden dann Bestrebungen wirksam, die Institutionalisierung der Psychologie in Heidelberg durch die Schaffung eines Lehrstuhls abzurunden. Gegen die vor allem von politischer Seite geäußerte Präferenz für die Einrichtung eines pädagogischen Lehrstuhls (zur Förderung) des Sonderschuiwesens erklärte die Philosophische Fakultät am 8.12.1950 gegenüber dem Präsidenten des Landesbezirks Baden es als ihr "dringliches Anliegen, daß die Psychologie an der Universität Heidelberg vertreten ist. Die Aufgaben des in jahrzehntelanger Arbeit von Prof.Dr. W. Hellpach aufgebauten Psychologischen Instituts sind so gewichtig, daß sie in der bisherigen Besetzung nicht mehr fortgeführt werden können..." (10).
Hellpach war
im
Jahre 1949 zum persönlichen Ordinarius an der Technischen Hochschule
Karlsruhe ernannt worden (11).
Im Jahr zuvor hatte er auf dem Göttinger Kongreß der Deutschen
Gesellschaft für Psychologie einen Vortrag von Johannes Rudert gehört,
dem es gelungen war, aus Leipzig nach Göttingen zu kommen, um einen
von ihm angemeldeten Vortrag über das Gemüt selbst zu halten.
Hellpach war von Rudert so beeindruckt, daß er sich, sobald sich
die Gelegenheit für ein Ordinariat bot, um dessen Berufung bemühte.
1950 wird Rudert gefragt, ob er eine Berufung nach Heidelberg annähme,
was er bejaht (12).
Rudert war seit 1941 planmäßiger a.o. Professor in Leipzig gewesen,
1945 entlassen worden und hatte die Jahre danach zusammen mit seiner Frau
in "freier psychologischer Arbeit" verbracht (13).
Im August 1951 nimmt Johannes Rudert den Ruf nach Heidelberg an; am 16.11.1951
hält er als der erste Ordinarius der Psychologie in Heidelberg seine
erste Vorlesung (14).
Mit ihm beginnt die ordentliche Geschichte des Psychologischen Instituts,
endet die teils außerordentliche, teils unordentliche Vorgeschichte
der Bemühungen um die Institutionalisierung der Psychologie in Heidelberg.
Abb. 27: Johannes Rudert
Postskriptum:
Mit dem ersten Ordinariat erhält die Psychologie in Heidelberg auch
ihr erstes ordentliches Haus, eine Jugendstilvilla in der Hauptstraße
242, heute das unter Denkmalschutz stehende Domizil des anläßlich
der 600-Jahrfeier der Ruperto Carola gegründeten "Internationalen
Wissenschaftsforums Heidelberg". Willy Hellpach stirbt als 78jähriger
mitten in seiner Arbeit am 6. Juli 1955, bis zuletzt als Lehrbeauftragter
dem Institut verbunden. Eine seiner vielen Auszeichnungen war die nach
seinem verehrten Meister benannte Wilhelm-Wundt-Plakette.
Abb.: Villa
Hauptstraße 242
Als es dem Psychologischen Institut In den Wachstumsjahren in der "Villa" zu eng wurde, zog es in Etappen in den "Friedrichsbau" und die "Alte Anatomie" um und hat heute mit über 50 Mitgliedern und über 700 Hauptfachstudierenden sein großzügiges Domizil genau da, wo in den fünfziger und sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts seine Vorgeschichte ihren Anfang genommen hatte.
Abb. 28: Friedrichsbau