Ruprecht-Karls-Universität HeidelbergPsychologisches Institut
Siegel
Anschriften und Telefonnummern Volltext-Suche, E-Mail-Suche, Datenbank-Suche Alle Seiten im Überblick
leiste-bottom picture ATP

Personen > Joachim Funke > Rezension Strohschneider (2001)

Rezension Strohschneider (2001)

Stefan Strohschneider (2001):

Kultur - Denken - Strategie. Eine indische Suite.

Bern: Huber. (333 S. , 68,- DM; ISBN 3-456-83557-4).

Von Joachim Funke

Aus Psychologie Heute, 2001, Dezember-Heft, Seite 73.

Denken Inder anders?

Die Kulturpsychologie gehörte in der Frühzeit der Psychologie ganz selbstverständlich zum Themenkatalog des Faches. Zu denken ist hier etwa an Wilhelm Wundts zehnbändige Völkerpsychologie, in der er eine Entwicklungspsychologie von Denken, Gefühl und Wille mittels der Analyse von Sprache, Mythos und Sitte in ihrem historischen Kontext versuchte. Mit dem Nationalsozialismus und dessen Vereinnahmung des Vaterländisch-Völkischen wurde diese Tradition unterbrochen. Es folgte eine lange Periode betretenen Schweigens. Während die amerikanische Anthropologie hier wesentlich freier und weniger belastet diskutieren konnte und seit den 80er und 90er Jahren geradezu eine Blüte kulturpsychologischer Arbeiten unter dem Label cultural psychology hervorbrachte, ist die Beschäftigung mit derartigen Themen in der deutschsprachigen Psychologie eher die Ausnahme. Über eine solche Ausnahme ist hier zu berichten.

Es geht um den Vergleich indischen und deutschen Denkens und Problemlösens. Dabei kommen unter anderem zwei computersimulierte Szenarien (das Entwicklungshilfeszenario “Moro” und das Kleinbetriebsszenario “Manutex”) sowie “tückische Objekte” zum Einsatz, an denen sich jeweils deutsche wie indische Teilnehmer bewähren mussten.

Die zehn Kapitel des Buches folgen Satzbezeichnungen aus der Musik. Zwei verschiedene Gattungen (fugierte und freie Stücke) werden im Wechsel genutzt, um einerseits die Details von vier empirischen Studien der Form nach “kanonisch gefugt” darzulegen und um andererseits in den lockereren Zwischenteilen sich theoretischer Fragen anzunehmen. Ich habe das Buch mit großer Freude gelesen, da Strohschneider es versteht, seine Leser mit in seine Überlegungen einzubeziehen. Zugleich schafft er es, in einer Reihe von Beispielen die jeweiligen Besonderheiten indischer oder deutscher Denkgewohnheiten hervortreten zu lassen.

Gibt es nun “das” indische Denken im Vergleich zum deutschen? Unterscheiden sich die zwei Kulturen tatsächlich in einem so zivilisierten Bereich wie dem Planen und Problemlösen? Die Antwort lautet ja und nein - nein, es gibt keine Unterschiede, wenn es um die zugrundeliegenden Strukturen der Informationsverarbeitung geht; ja, es gibt Unterschiede, wenn es um die kulturell gebundenen Inhalte und Werte geht, die den Gang der Problemlösung bestimmen.

Strohschneiders Buch liefert eine Fundgrube von Ideen, sei es inhaltlich zu den verschieden Lesarten von Kultur, sei es in methodischer Hinsicht über faire Messungen zum Kulturvergleich. Dem Buch sind nicht nur viele neugierige Leser zu wünschen, sondern vor allem empirische Nachfolger. Je mehr solcher Studien vorliegen, umso deutlicher erkennen wir die Kulturbeschränktheit bisheriger Befunde, die hauptsächlich an westlichen, industriell geprägten Gesellschaften (vor allem der amerikanischen) gewonnen wurden - ein heimlicher Kulturimperialismus.


mehr Rezensionen

 
Zum Seitenanfang Top
Zuletzt bearbeitet am 23.01.2002 von JF.