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Startseite > Lehre und Prüfungen > WS98 ÜV Kognitionsforschung: Protokoll vom 26.10.98

WS98 ÜV Kognitionsforschung: Protokoll vom 26.10.98

Protokoll vom 26.10.98 über die Sitzung "Historischer Abriß der experimentellen Psychologie" im Hauptseminar "Kognitionsforschung aus der Sicht von Ethnologie und Psychologie" (in das Protokoll ist der Text der Folien von Prof. J. Funke eingearbeitet — die restlichen Angaben sind ohne Gewähr und geben nicht unbedingt meine Meinung wieder. Bitte stört Euch nicht an holprigen Formulierungen. Annette Pfalz; Ethnologie):

Von mir zitierte Werke:

DORSCH, Friedrich et al. (Hg.) (121994): Psychologisches Wörterbuch, Bern et al.

HIRSCHBERG, Walter (Hg.) (1988): Neues Wörterbuch der Völkerkunde, Berlin.

 

Geschichte der Psychologie

Überblick

1) Strömungen im 19. Jahrhundert

2) Psychologische Schulen im 19. und 20. Jahrhundert

3) Gegenwärtige Strömungen

 

  1. Strömungen im 19. Jahrhundert
  2. Das Ideengut, das für die heutige Psychologie maßgeblich ist, hat sein Fundament im 19. Jahrhundert. Die damalige Gesellschaft wollte aufgeklärt sein und die Naturwissenschaften beherrschen.

     

    Positivismus und naiver Empirismus

    Positivismus: [...] die Richtung in Philosophie und Wissenschaft, die nur von Tatsachen als wahrnehmbaren Sachverhalten ausgeht und sich auf deren Feststellung und Verknüpfung beschränkt. Außer Phänomenen vermögen wir nichts zu erkennen. (Dorsch 1994)

     

    · Auguste Compte (1789-1857)

    Wissenschaftliche Erkenntnisse sind das, was wir dokumentieren können. Wie in anderen Naturwissenschaften wollte er aus elementaren Ereignissen Gesetzmäßigkeiten ableiten. Man knüpft an dem an, was man sehen kann.

    · Ludwig Feuerbach (1804-1872)

    · Ernst Mach (1838-1916)

    Mitglied des Wiener Kreises. Dort fand der Positivismus seinen Niederschlag. Der Wiener Kreis hat viele Grundgedanken der Psychologie festgelegt. Nach dem Vorbild der Physik wollte man wie eine Naturwissenschaft zu seinen Erkenntnissen gelangen. Es sollten Gesetze formuliert werden, Basissätze mußten her! Basissätze, die räumlich und zeitlich datiert waren. Die Wissenschaft sollte empirisch vorgehen. Man war der Meinung, daß man einfach genügend Basissätze aufstellen müsse und aus diesen dann gewisse Gesetzmäßigkeiten ableiten könne. Das ist naiver Empirismus, da jeder Protokollsatz (Basissatz) an sich schon theoriegetränkt ist. Bereits die Wahl eines bestimmten Wortes zeigt, in welcher Weise der Formulierer des Satzes das betreffende Phänomen einordnet (vgl. Kant:: reine, neutrale Erkenntnis ist unmöglich). Bsp.: à Aus der Tatsache, daß seit 10 Mio. Jahren morgens die Sonne aufgeht, können wir nicht logisch folgern, daß sie morgen wieder aufgeht — obwohl es natürlich sehr wahrscheinlich ist. Dennoch ist eine derartige Annahme logisch nicht zu rechtfertigen.

    Die Schule des Wiener Kreises war eine einflußreiche Strömung, die im Positivismus-Streit in der Soziologie heftige Debatten auslöste.

    Der Gegenpol in dieser Zeit waren Zirkel, in denen metaphysische Erscheinungen diskutiert wurden. Einfache Sachverhalte wurden romantisch erhöht — weg von den aufklärerischen Ansichten.

     

    Evolutionstheorie

    · Charles Darwin (1809-1882)

    Als Darwin im 19. Jahrhundert behauptete, daß der Mensch vom Affen abstammt, schockierte und provozierte er die damalige Gesellschaft, die bis dahin der festen Meinung war, sie sei göttlicher Abstammung. Die "Entstehung der Arten" führte Darwin auf Genvariation und Selektion zurück. Noch heute ist es in einigen Bundesstaaten der USA verboten, Darwins Ansichten zu lehren, da es für rigide Gläubige undenkbar ist, daß sich der Mensch aus niedrigen Lebewesen "herausgemendelt" hat.

    Aufklärerischen Geistern jedoch wurde gezeigt, daß es sogar auf diese Frage eine naturwissenschaftliche Antwort gibt, daß keine mystischen Erklärungen mehr nötig sind. Die letzte Bastion der Mystik geriet ins Wanken.

     

    Völkerkunde und Völkerpsychologie

    · Wilhelm von Humboldt (1767-1835); zeitlich also vor Darwin

    "[...] 1795 entwarf H. seinen ‚Plan einer vergleichenden Anthropologie‘, in dem er u.a. den Zusammenhang von Volkscharakter und Sprachbau und die Herausbildung der Volkscharaktere in gegenseitiger Kontrastierung beobachtete. Er kann als Begründer der geisteswissenschaftlich-hermeneutischen Methode angesehen werden" (Hirschberg 1988: 225).

    Sein Gedanke, eine Psychologie der Völker aufzustellen ist aus heutiger Sicht natürlich nicht mehr akzeptabel. Dennoch war W. v. Humboldt in seiner Zeit ein Motor und hat viele Universitätslehrer beeinflußt: Bildungsgedanke, Dinge transparent machen, Aufklärung.

    Hinweis von Prof. Wassmann auf die "Lehnstuhl-Ethnologen" wie Sir James George Frazer (1854-1941). "Gefragt, warum er nicht ins Feld ginge, soll er geantwortet haben, ‚Gott möge mich davor bewahren‘ " (Hirschberg 1988: 164). Erst im 20. Jahrhundert fingen die EthnologInnen an, selbst ins Feld zu gehen und mit den Leuten dort zu leben.

     

  3. Psychologische Schulen im 19. und 20. Jahrhundert (mehr zu 2.1 — 2.8 siehe weiter unten)
  4. 2.1 Leipziger Schule

    2.2 Würzburger Schule

    2.3 Gestalt- und Ganzheitspsychologie

    2.4 Feldtheorie

    2.5 Psychoanalyse

    2.6 Individualpsychologie

    2.7 Analytische Psychologie

    2.8 Behaviorismus (nachhaltigste Strömung)

     

    "Schulenbildung"

    · Die psychologischen Schulen waren oft an Personen oder Orte gebunden. Das war in der Zeit zwischen 1880 und 1950 ein typisches Verhaltensmuster.

    · Bildung von scientific communities:

    Zentrale "Figuren" als Leitpersonen (die oft ohne Quellenangabe Ideen ihrer Schüler vertreten haben). Hochschullehrer hatten ihre eigene Lehre und einen Kreis von Schülern. Die Grundgedanke waren am Lehrer festgemacht. Wenn es tiefer ging, lösten sie sich aber und waren dann mehr auf Inhalte gemünzt. Ob Ideengut überlebte, hing davon ab, ob man es schaffte, die Idee von der Person zu lösen.

    Früher waren die scientific communities sehr klein. Es gab vielleicht 50 einflußreiche Personen (Lehrstuhlinhaber). Zum Vergleich: Heute treffen sich auf Tagungen in Deutschland etwa 2000 Personen, in den USA sogar 10.000. Frauen spielten damals zumindest offiziell keine Rolle, da die akademische Tätigkeit von Frauen nicht erwünscht war.

    Einschub von Prof. Wassmann: Obwohl heute mehr Frauen als Männer Ethnologie studieren, kann man ein entsprechendes Verhältnis bei der Besetzung der Lehrstühle nicht feststellen. Was natürlich nicht heißt, daß es keine einflußreichen Frauen in der Ethnologie gibt und gab (z.B. Margaret Mead).

    In den scientific communities wurden Paradigmen erprobt (z.B. Gestaltpsychologie).

    Sie richteten eigene Publikationsorgane ein. Das wird heute immer schwieriger. Wer in Deutsch publiziert, wird kaum wahrgenommen.

    Sie hielten gemeinsame Tagungen ab, um sich auszutauschen.

     

    Paradigmentheorie von Kuhn (1976/1962)

    · Konzept der wissenschaftlichen Gemeinschaft (scientific community), die sich hinsichtlich zentraler Annahmen (Paradigmen) einig ist.

    · Bsp.: à gegenwärtiges Konzept der Informationsverarbeitungsmodelle:

    • Mensch als informationsaufnehmendes, -verarbeitendes und —abrufendes Wesen
    • Computeranalogie: Eingabe, Verarbeitung, Ausgabe
    • Gigerenzer, G. (1991): "From tools to theories: A heuristic of discovery in Cognitive Psychology". Psychological Review, 98, 254-267.

    Im 15. Jh. war es wichtig, Speicher für Getreide anzulegen. Dadurch entstand die Metapher der Speichersysteme. Die Vorstellung verschiedener Speicherplätze wurde einfach auf das Abstrakte übertragen. Heute zeigt man analog zum Computer die Funktionsweise des Gehirns. Daran sieht man, daß die Wissenschaft auch durch gesellschaftliche Kontexte beeinflußt werden kann.

     

    Paradigmenttheorie 2

    Unterscheidung von zwei Phasen:

    · normalwissenschaftliche Forschungsperiode

    Anomalien werden durch Einschränkungen des Geltungsbereichs zunächst abgefangen, d.h. was nicht in das Modell der Paradigmenanalyse hineinpaßt, wird einfach ignoriert.

    · revolutionäre Forschungsperiode

    Wenn die Anomalien unübersehbar groß und hartnäckig werden, wird das alte Paradigma durch ein neues abgelöst (die Lehrbücher werden neu geschrieben = Paradigmenwechsel); Bsp.: à Gestaltpsychologie, Behaviorismus (Ansatz war zu starr, es kam zur kognitiven Wende: wichtig ist, was in den Köpfen vorgeht, nicht so sehr das Äußere).

     

    Zu 2) Psychologische Schulen im 19. und 20. Jahrhundert

    2.1 Leipziger Schule

    · Gründung des ersten Experimentalpsychologischen Instituts 1879 durch Wilhelm Wundt in Leipzig

    · "Psychologie vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus": man wollte seelische Vorgänge auf der Grundlage physiologischer Veränderungen erklären. Wundt (auch Freud) vermuteten das Fundament der seelischen Prozesse im physiologischen Bereich (Gehirn, Nervenbahnen etc. = neuronale Substrate).

    · Wundt wollte nur experimentelle Methoden und statistische Auswertungen anerkennen; Introspektion lehnte er ab.

    [Exkurs: Wilhelm Windelband und Wilhelm Dilthey stritten sich darüber, ob die Psychologie zu den Natur- oder den Geisteswissenschaften gehörte. Bis 1879 wurde das Fach Psychologie dem philosophischen Lehrstuhl zugeordnet. Heute sagt man, daß die Psychologie sowohl die verstehende als auch die erklärende Psychologie benötigt. Damals wurde das als Widerspruch angesehen.]

    · Herstellung von Meßgeräten durch den Leipziger Mechaniker E. Zimmermann (z.B. Chronoskop). Es ist schon beachtlich, wenn man sich vorstellt, daß er es geschafft hat, im Jahr 1879 ein Gerät zu bauen, das 1/1000stel Sekunde messen konnte. Man wollte die Psychologie wie eine Naturwissenschaft betreiben. Viele Institute hatten eigene Mechaniker, die heute durch Computertechniker ersetzt werden.

    · Inhaltlich beschäftigte sich die Leipziger Schule mit der Elementenpsychologie: Zerlegung des Bewußtseins in nicht weiter aufteilbare Bestandteile ("Elemente") und Ermittlung der Gesetze, nach denen sich Elemente verbinden (Assoziationen).

     

    Wilhelm Wundt (1832-1920)

    Siehe dazu Folie 9 von Prof. J. Funke.

     

    2.2 Würzburger Schule

    · Die Leitfigur der Würzburger Schule war Oswald Külpe (1862-1915). Seine Schüler waren Narziß Ach (1871-1946), Karl Bühler (1879-1963) und Karl Marbe (1869-1953). Die W. Schule wandte sich von Wundt und seiner Elementenpsychologie ab.

    · Zentrales methodisches Merkmal:

    Wie auch Wundt waren sie der Meinung, daß man Erkenntnisse über Denkprozesse nicht mittels naiver Introspektion gewinnen könne. Im Gegensatz zu Wundt wollten sie jedoch systematische experimentelle Selbstbeobachtung bei Denkprozessen betreiben.

    · Inhaltlich: Analysen von Denkprozessen - sie stellten die Thesen auf, daß Denken eine zielgerichtete Aktivität sei, die durch "determinierende Tendenzen" (Ach) gesteuert wird (unbewußt) und daß man kurz vor der Problemlösung ein "Aha-Erlebnis" (Bühler) hat.

    Zwischen Wundt und Bühler entbrannte 1907/08 ein heftiger Streit über die "Ausfragemethode". Wundt war der Meinung, daß es unmöglich sei, bei der Ausfragemethode wissenschaftlich vorzugehen. Dieser Streitdialog ist ein sehr amüsanter, interessanter wissenschaftlicher Diskurs.

    Heute ist man der Meinung, daß Introspektion unter bestimmten Bedingungen durchaus eine zulässige Methode ist.

    Bemerkung von Prof. Wassmann: Franz Boas und Bronislaw Malinowski waren noch überzeugt davon, daß die Daten, die sie bei der Feldforschung gewonnen hatten, objektiv waren. In den 60er Jahren = Krise der Ethnologie (Ergebnisse sind sehr subjektiv).

     

    2.3 Gestalt- und Ganzheitspsychologie

    · Zentrale Figuren:

    Max Wertheimer (1880-1943), Wolfgang Köhler (1887-1967) und Kurt Koffka (1886-1941); alle ab 1912 in Frankfurt, später in Berlin bis zur Nazizeit, dann Auswanderung in die USA = Ende der Gestalt- und Ganzheitspsychologie.

    · Inhaltlich:

    These der Übersummativität: "Das Ganze ist mehr (bzw. anderes) als die Summe seiner Teile" (Bsp.: Melodie).

    Abkehr von elementarischer und Hinwendung zu holistischer Betrachtung psychischer Prozesse.

    Gestaltprinzipien der Wahrnehmung: Sie sagen, daß die Organisation ganz automatisch geschieht — je nach Reizanordnung werden andere Gestalten wahrgenommen. Alles wird zu einem Ganzen organisiert. Bsp.: Striche: / // / wird anders wahrgenommen als z.B. // // Die Gestaltparadigmen betreffen ihrer Meinung nach nicht nur die Wahrnehmung, sondern lassen sich auf Gesamtprozesse übertragen = Handlungen werden auch als Gestalt wahrgenommen.

    "Einsicht" als Leitprinzip des Denkens (Köhlers Schimpansen-Experimente auf Teneriffa), einsichtsvolle Handlungen als "Gestalten".

     

    2.4 Feldtheorie

    · Leitfigur: Kurt Lewin (1890-1947), bis 1933 in Berlin, danach USA

    Lewin vertrat den modernen Standpunkt, daß die physikalische Umwelt nicht 1:1 abgebildet wird.

    · Inhaltlich:

    Wichtig ist nicht die physikalische Beschaffenheit des wahrgenommenen Raums, sondern dessen erlebnismäßige Strukturierung als "Lebensraum", V=f(Lr)=f(Person,Umwelt). Die Interaktion zwischen Mensch und Umwelt wird berücksichtigt.

    Was mit "Lebensraum" gemeint ist, wird an einem Beispiel klarer: im Zuge der persönlichen Entwicklung jedes Menschen erschließen sich neue Lebensräume (z.B. Rauchen) und alte fallen weg (Daumenlutschen).

    Verschiedene Kräfte wirken auf das Individuum: Appetenz und Aversion. Es gibt unterschiedliche Konflikte:

    A p p e t e n z k o n f l i k t: ich will beides, darf aber nur eines nehmen.

    A p p e t e n z — A v e r s i o n s k o n f l i k t: ich will das eine, aber nicht das andere. Wenn ich das eine nehme, muß ich das andere aber mit in Kauf nehmen (anschaulicher am Beispiel des Mannes, der in eine Frau verliebt ist, aber deren Mutter absolut nicht ausstehen kann. Wenn er die Frau heiratet, wird ihre Mutter automatisch seine Schwiegermutter...)

    A p p e t e n z — A p p e t e n z k o n f l i k t: Fabel über einen Esel, der vor zwei köstlichen Heuhaufen stand und sich nicht entscheiden konnte, welchen er zuerst verspeisen sollte und darüber verhungerte.

    Als Reaktion auf derartige Konflikte kann es zur Regression (z.B. Rückkehr zum Daumenlutschen) oder "aus-dem-Felde-gehen" kommen = Lösungverfahren.

    "Wirklich ist, was wirkt": Betonung der Gegenwart, nicht des Unbewußten (im Unterschied zur historischen Methode der Psychoanalyse).

     

    2.5 Psychoanalyse

    · Leitfigur: Sigmund Freud (1856-1939)

    · Inhaltlich: Entdeckung der Bedeutung unbewußter (traumatischer) Erlebnisse für (weibliche) Hysterie ("Anna O."). Die Hysterie wird erklärt durch unbewußte Erlebnisse in der Kindheit. Indem man diese Erlebnisse wieder bewußt macht, löst sich die neurotische Störung. Das Verhalten und Erleben wird also nicht nur durch bewußte Kräfte gelenkt = verhaltensbestimmende Kräfte (Kräfte, die wir nicht kennen, da sie eben unbewußt sind).

    Strukturelle Theorie der Persönlichkeit (Instanzenlehre mit Ich, Es und Über-Ich) mit unterschiedlichen Bezügen zum Bewußten, Unbewußten und Kulturellen (für die Ethnologie von Interesse).

    Freud provozierte durch seine Behauptung, daß erstens alles unbewußt ist und zweites das Verhalten durch die Sexualität determiniert wird (Triebtheorie). Er stellte die moderne These auf, daß auch kleine Kinder Triebimpulse spüren (Analität, Oralität usw.).

    Antagonistische Triebe "Eros" und "Thanatos" (griech. für "Tod") = aggressive und auto-aggressive Komponenten sind die Leitmotive menschlicher Tätigkeit.

    · Methodisch: Klinische Studien ("Anna O."), in denen er die Mechanismen erforschte, die für das Zustandekommen von Hysterie verantwortlich sind, hermeneutische Arbeit mit Patienten (Traumdeutung, freie Assoziation, Hypnose).

    [Exkurs: Das schwierige an der Psychoanalyse ist die richtige Interpretation. Man kann als Psychologe den Traum eines Patienten deuten und schauen, wie er darauf reagiert oder man kann den Patienten frei assoziieren lassen und warten, bis verborgene Elemente hervorkommen, die dann aber auch wieder gedeutet werden müssen.]

    Kathartische Methode ("Reinigung") durch Bewußtmachen unbewußter Erlebnisse.

    [Exkurs: In der akademischen Psychologie spielt Freud heute kaum noch eine Rolle. Sein Einfluß ist inzwischen auf Null gesunken. Nur noch in ökonomischer Hinsicht ist die Psychoanalyse weiterhin interessant. In der akademischen Psychologie hat man sogar lange Zeit die Worte "unbewußte Prozesse" nicht in den Mund genommen, das ist heute nicht mehr so. Allerdings bezieht man sich in diesem Zusammenhang nicht mehr auf Freud, da "unbewußte Prozesse" anders interpretiert und definiert wird. Wir wissen heute, daß die unbewußten Determinanten nicht alle sexueller oder aggressiver Natur sind.]

    Bemerkung von Prof. Wassmann: Sowohl Wundt als auch Freud hatten Einfluß auf die Ethnologie. Als Malinowski auf den Trobriand-Inseln Feldforschung betrieb, sollte er schauen, ob die Leute dort einen Ödipus-Komplex haben. Freud hatte vor allem Einfluß auf die amerikanischen Ethnologen, auf die britischen weniger. In den 40er Jahren haben Psychologen und Ethnologen zum ersten Mal zusammengearbeitet. Man dachte, daß man ein Kind durch gezielte Erziehung zu einer bestimmten Persönlichkeit machen kann. Während des zweiten Weltkriegs entgleiste die Arbeit dann: Nationalstudien = Warum sind die Russen so und so? Durch die Erziehung.

    [Exkurs: Kritik an der Psychoanalyse = man kann die Falschheit der Interpretation nicht nachweisen. Bsp.: Der Psychologe deutet den Traum eines Patienten. Wenn der Patient den Deutungsvorschlag ablehnt, kann der Psychologe sagen: "Da habe ich wohl ins Schwarze getroffen." Wenn der Patient ihm voll und ganz zustimmt, kann der Psychologe ebenfalls sagen: "Ich hatte also recht." Was der Patient sagt, ist eigentlich egal. Woher aber weiß der Therapeut, was falsch oder richtig ist? Man kann alles so hinbiegen, daß es paßt (Immunisierung gegenüber der Theorie ). Die Theorie kann sich also nie als falsch erweisen. Sogar Freud selbst war interessiert an der Widerlegung seiner Theorie, aber...]

     

    Abspaltungen der Psychoanalyse waren die "Individualpsychologie" und die "Analytische Psychologie".

     

    2.6 Individualpsychologie

    · Leitfigur: Alfred Adler (1870-1937)

    · Inhaltlich: seit 1911 in Abgrenzung von Freud. Adler kritisierte dessen Sexualtheorie sowie die analytische Methodik (2.7).

    Stattdessen holistischer Ansatz: Mensch zeigt Bewegungen mit "Umzu-Charakter" (Finalismus), wird nicht von außen, sondern von innen getrieben.

    Der Mensch versucht ständig, aus Mängel- oder Minus-Lagen in Plus-Lagen zu wechseln. Ausgleich von Minderwertigkeiten durch Überkompensation. Die Haupttriebfeder des Menschen ist das Gefühl der Minderwertigkeit.

     

    2.7 Analytische Psychologie

    · Leitfigur: Carl Gustav Jung (1875-1961)

    · Inhaltlich: er stellte eine eigene Theorie der Libido auf, die auf allgemeine Lebens-energie und nicht nur auf sexuelle Triebenergie baut.

    Nicht nur das individuelle Unbewußte, sondern auch das kollektive Unbewußte spielt eine Rolle. Das individuelle U. ist in das umfassendere kollektive U. eingebettet.

    Zentraler theoretischer Begriff der "Archetypen": sind Bestandteile tradierter Kulturwerte, sind Kernstücke menschlicher Lebensbewältigung, finden ihren Ausdruck in Träumen und künstlerischen Gestalten.

     

    2.8 Behaviorismus

    · Leitfiguren: Iwan Petrowitsch Pawlow = Konditionieren (1849-1936), John B. Watson (1878-1958), Burrhus Frederic Skinner (1904-1990), Clark L. Hull (1884-1952), Edwin R. Guthrie (1886-1959), Edward Lee Thorndike (1874-1949)

    · Inhaltlich: Watson führte den Behaviorismus in seiner Streitschrift "Psychology as the Behaviorist views it" (1913) programmatisch ein.

    Die Behavioristen lehnen Introspektion ab und wollen ausschließlich Verhaltensdaten in Betracht ziehen (Empirie). Gegenstand der behavior. Psychologie sind beobachtbare Phänomene (keine Träume...).

    Stimulus-Response-Schema, "law of effect" (Thorndike) = Wichtig ist, was hinten rauskommt. "Law of effect" ist das, was Skinner "Verstärkung" nennt (siehe unten). Im Gegensatz zu Wundt und Freud, die ins Gehirn schauen wollten, waren die Behavioristen also nicht an der "Black Box" interessiert.

    Skinner = operantes Konditionieren: Bsp. Prof. Funke hält eine Vorlesung und die meisten der Studenten gucken immer aus dem Fenster. Aber wenn er eine bestimmte Geste macht, schauen die Studenten ihn an (kann durch Zufall geschehen). Das könnte dann dazu führen, daß er diese Geste häufiger macht.

    Verstärkung: "Wenn du nach dem Essen abspülst, darfst du heute abend die ‚Sesamstraße‘ angucken." Einer der wichtigsten Verstärker bei Erwachsenen ist Geld.

    Skinner war der Meinung, daß die Gesellschaft nach Operanten-Gesetzmäßigkeiten organisiert werden könnte: Belohnung und Bestrafung sind die Ordnungsprinzipien. In den USA hat eine Gruppe von Leuten diese Lebensform ausprobiert ("Walden 2").

    Die Ansichten der Behavioristen wurden zunächst euphorisch aufgenommen. Das kommt daher, daß Watson gesagt hat: "Gib‘ mir zehn Babys, ich mache daraus einen Verbrecher, einen Politiker, einen Musiker..." Aus jedem kann durch Konditionierung alles werden. Nichts ist angeboren und vererbt. Dies war die wissenschaftliche Fundierung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, wonach alle Menschen gleich sind.

     

  5. Gegenwärtige Strömungen
  6. 3.1 Kognitive Psychologie und Handlungstheorie = Leitbild

    · Informationsverarbeitungs-Ansatz (IVA) = Leitgedanke

    Grundgedanke: Mensch wird als informationsverarbeitendes System konzipiert. Die grobe Architektur sieht so aus: Eingabe, Verarbeitung und Speicherung, Ausgabe.

    Drei Grundfragen in der Konzeption eines informationsverarbeitenden Systems:

    A r c h i t e k t u r: Was sind die Zimmer des Hauses?

    R e p r ä s e n t a t i o n: Welche Informationen werden auf welcher Ebene repräsentiert? Welche Info befindet sich in welchem Zimmer? Was wird dem Langzeitgedächtnis (LZG), was dem Kurzzeitgedächtnis (KZG) zugeordnet?

    P r o z e s s e: Wie werden die Informationen von einem Zimmer in ein anderes transportiert? Wie werden Infos verändert?

     

    IVA: (a) Architektur

    · aus welchen Komponenten besteht ein kognitives System?

    • Sensorik: Sinnesorgane

    • KZG
    • LZG - semantisch (heuristisch, epistemisch) = enzyklopädisches Wissen
    • LZG — episodisch = räumlich-zeitlich datierbare Einträge ("Funke hat sich letzte Woche kritisch zur Psychoanalyse geäußert und trug ein blaues Hemd.")
    • Motorik: Effektoren

    · Bsp.: Anderson’s Konzeption (Figure 1.2)

    Die Verluste beim Übergang vom KZG ins LZG sind nicht so groß wie wir denken. Es kommt auf die Abfragemethode an. Häufig besitzen wir noch passives Wissen von etwas, d.h. daß ich im Multiple-Choice-Test sofort die richtige Antwort wüßte, wenn ich sie vor mir sähe, sie aber nicht aktiv abrufen kann.

    Im deklarativen Gedächtnis ist alles gespeichert, was man erklären kann.

    Im prozeduralen Gedächtnis (working memory) ist alles gespeichert, was man schlecht beschreiben, aber tun kann (Schwimmen).

     

    IVA: (b) Repräsentation

    · wie werden Aspekte der Außenwelt intern repräsentiert?

    • zeitliche Abfolgen (Kategorie "Zeit"): "Ich mache erst die Tür auf, dann betrete ich den Hörsaal, suche mir einen Platz..."
    • räumliche Bilder (Kategorie "Raum"): Ich kann mir eine rote Banane vorstellen, obwohl ich wahrscheinlich noch nie eine gesehen habe. Vor meinem "inneren Auge" kann das Gesicht einer bekannten Person auftauchen. Ich kann sogar mentale Rotationen durchführen, kann mir z.B. eine rote Banane, die sich dreht vorstellen. Aus zweidimensionalen Vorlagen gewinnen wir eine dritte Dimension heraus.
    • abstrakte Propositionen (Kategorie "Bedeutung"): Ich kenne Bedeutungsinhalte von Materialien, ich kann mir unter "größer als" und unter "etwas ist Bestandteil von etwas anderen" etwas vorstellen, ich kann entscheiden, ob ich etwas gerecht finde oder nicht und kann über die Bedeutung von "Gerechtigkeit" nachdenken, obwohl ich kein Bild von Gerechtigkeit gespeichert habe.

    • evtl. noch motorische Form von Repräsentation

    · Bsp. von Anderson (Figure 1.3)

     

    IVA: (c) Prozesse

    · wie kann mit den Repräsentationen umgegangen werden?

    • Aktivationsausbreitung ("Restaurant-Skript" wird z.B. nur bei Bedarf aktiviert, wenn es gerade durch das KZG fokussiert wird). Es kommt dann auch zu Assoziationen und man springt von "Knoten" zu "Knoten": Essen à Tisch à zu Ikea fahren etc. Von Aktivation zu Aktivation.
    • "Inferenzmaschine": Schlußfolgerung, z.B.: Hans ist Vater von Peter, Peter ist Vater von Klaus. Hans ist folglich der Großvater von Klaus. Wir ziehen andauernd irgendwelche Schlußfolgerungen, sehr häufig auch falsche.

    · Repräsentationen und Prozesse müssen immer aufeinander bezogen werden

    • Repräsentationen ohne Prozesse sind tot.

    • Prozesse ohne Repräsentationen sind hohl.


    Kognitionsforschung aus der Sicht von Ethnologie und Psychologie

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Zuletzt bearbeitet am 26.11.2001 von JF.