Auswirkungen auf das Gedächtnis

Bei der Frage, welche Auswirkungen Emotionen auf die Gedächtnisleistung hat, kann man die Forschung grob in vier verschiedene Hypothesen gliedern:

- Verdrängungshypothese
- Intensitätshypothese
- Hypothese der transfer-angemessenen Verarbeitung
- Hypothese der Stimmungskongruenz (mood congruency)

Verdrängungshypothese

Der Name dieser Hypothese lehnt sich an Freuds Verdrängungstheorie an, wonach - grob gesagt - innerpsychische Konflikte aus dem Bewußtsein "verdrängt" bzw. vergessen werden. Freud ist wohl nicht zuletzt deshalb mit seiner Theorie auf so viel Resonanz gestoßen, weil sie im Alltag nachvollziehbar erscheint: Wenn man ein Treffen mit einem ungeliebten, aufdringlichen Bekannten vergessen hat, liefert Freuds Theorie die Erklärung: Man hat es "verdrängt" - weil man eigentlich gar keine Lust drauf hatte und nur aus Höflichkeit nicht absagen wollte. Sprich: Das "Eigentliche", Animalische hat sich gegen das kulturell Aufgesetzte durchgesetzt.

Neuere Theoretiker haben Freuds Hypothese ein wenig vereinfacht, so daß sie der empirischen Prüfung zugänglich gemacht werden konnte. Das bedeutet mit anderen Worten, daß Freud hier als Ideenlieferant dient, seine Theorie jedoch nicht weiter beachtet wird (denn diese ist unter "wissenschaftlichen" Psychologen verpönt).

Die Hypothese lautete also nun: Unangenehme (also mit negativen Emotionen verbundene) Erfahrungen vergessen wir schneller als angenehme (also mit positiven Emotionen verbundene) Erfahrungen.

Ironischerweise stellte sich heraus, daß diese vereinfachte Hypothese kaum einfacher zu prüfen ist als Freuds ursprüngliche Fassung. Denn was sind "unangenehme" oder "angenehme" Erfahrungen? Wie kann ich, wenn mein Proband mir zehn Erinnerungen aufzählt, diese eindeutig zuordnen? Diese und andere Probleme haben die Forschung zur Verdrängungshypothese wenig fruchtbar gemacht. Auch wenn sich meist ein Trend in Richtung "Verdrängung" andeutete, waren die Methoden doch meist unbefriedigend.

Intensitätshypothese

Daher schnell zur nächsten Hypothese. Sie lautet so: Die Intensität (nicht aber die Qualität) einer Emotion determiniert die Behaltensleistung bezüglich des zugehörigen Ereignises.
Dies klingt durchaus plausibel: Wenn wir intensive Emotionen zeigen, heißt das meist gleichzeitig, was wir dem auslösenden Ereignis große Bedeutung zuweisen. Und was uns bedeutsam erscheint, vergessen wir nicht so schnell.

Turner und Barlow haben diese Hypothese 1951 empirisch geprüft. Sie ließen erinnerte angenehme und unangenehme Alltagsereignisse auf einer Intensitätsskala einschätzen. Nach zwei Wochen erfolgte eine - nicht angekündigte - Behaltensprüfung.
Tatsächlich zeigte sich eine bessere Erinnerung bei intensiveren Items, und zwar unabhängig von der emotionalen Qualität (positiv oder negativ). Turner und Barlow stellen als Erklärung die Vermutung auf, die der eingangs gemachten "plausiblen" Überlegung ähnelt: Mit intensiven Emotionen gehe eine erhöhte Aktivierung einher. Diese Aktivierung führe zu einer verbesserten Konsolidierung (Einspeichern ins Gedächtnis).

Hypothese der transfer-angemessenen Verarbeitung

In den 70er und 80er Jahren führte G.H. Bower eine Reihe von Experimenten durch, deren Kernergebnis mittlerweile bereits im Alltagswissen verankert ist: Ob wir Dinge erinnern oder nicht, hängt unter anderem davon ab, ob wir uns zum Zeitpunkt der Abfrage in einem ähnlichen Stimmungszustand befinden wie bei der Einspeisung.
Die Vorstellung, daß der Vorgang des Vergessens ein unwiderbringliches "Verlieren" ist, muß also dadurch ersetzt werden, daß wir Vergessenes lediglich zwischenzeitlich nicht "auffinden" können.

Beispielhaft für eine Vielzahl von Untersuchungen geben wir im folgenden kurz die von Bower, Monteiro & Gilligan aus dem Jahr 1978 wieder.
Sie versetzten diejenigen Probanden, die sich vorher als "leicht hypnotisierbar" herausgestellt hatten, durch Hypnose in glückliche bzw. traurige Stimmung.
Danach sollten sie eine Liste mit 30 abstrakten Begriffen lernen. Nach zehn Minuten wurde durch eine zweite Hypnose wiederum der Stimmungszustand beeinflußt, und zwar so, daß ein Teil der Probanden in dieselbe Stimmung versetzt wurden wie vorher, ein anderer Teil in die entgegengesetzte Stimmung.
Es ergaben sich keine Unterschiede, was den (zeitlichen) Lernaufwand betrifft, aber deutliche Effekte bei der Reproduktion: Übereinstimmend mit der Hypothese konnten die Probanden mit gleicher Stimmung (bei Enkodierung und Reproduktion) mehr Wörter erinnern als die mit ungleicher Stimmung.

Wenn man auch im konkreten Beispiel einige nicht unwichtige Einwände gegen das methodische Vorgehen machen kann, so ergab sich doch der Effekt bei einer Vielzahl recht unterschiedlicher Studien und kann somit als gesichert gelten.

Hypothese der Stimmungskongruenz (mood congruency)

Ganz ähnlich wie die eben geschilderte Hypothese ist die folgende: Die emotionale Qualität des zu erinnernden Materials muß derjenigen des Stimmungszustandes (beim Versuch zu erinnern) möglichst ähnlich sein, damit Erinnern erfolgen kann.
Zum Beispiel sollte man sich an eine fröhliche Geschichte besser erinnern können, wenn man fröhlich ist... Diese Vorhersage bestätigte sich in einer Studie von Bower aus dem Jahre 1981.
Ein ähnlicher Effekt ergab sich auch für den Stimmungszustand bei der Enkodierung (statt wie eben beim Abruf): An eine fröhliche Geschichte sollte man sich dann gut erinnern können, wenn man bei der Enkodierung fröhlich war.

Mehr zu diesem Thema sowie zu dem Netzwerkmodell, das Bower zur Erklärung seiner Befunde 1991 aufgestellt hat, kann man bei Schmidt-Atzert (1996) auf S.203-206 nachlesen.

Zum Abschluß nun zu den Auswirkungen von Emotionen auf das Problemlösen...

Allgemeine & Theoretische Psychologie
Emotion
1.1 Was sind Emotionen?
1.2 Funktion von Emotionen
1.3 Klassifikation
2.1 Behavioristische Emotionstheorien
2.2 Kognitiv-physio. Emotionstheorien
2.3 Attributionale Emotionstheorien
2.4 Evolutionspsy. Emotionstheorien
3 Gesichtsausdruck
4 Auswirkungen
Literatur
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