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Auswirkungen von Emotionen
Wie
wirken sich Emotionen auf andere "psychische Funktionen"
aus? Verzerren nicht unsere Gefühle unsere Wahrnehmung, unsere
Aufmerksamkeit und unser Gedächtnis? Das sind eigentlich einfache
Fragen, doch die Psychologie tut sich erstaunlich schwer mit ihnen.
Der
Alltagsmensch hat für diese Fragen plausible Antworten: Er
merkt genau, wenn er sich aufgrund von Angst nicht mehr konzentrieren
kann. Er weiß auch, daß er manchmal Dinge "verdrängt"
(also absichtlich vergißt oder vernachlässigt), wenn
er sich schuldig fühlt. Und erst recht bemerkt er, daß
er nicht mehr so leistungsfähig ist, wenn er sich geärgert
hat.
Aber manchmal ist es für den Alltagsmenschen auch sonnenklar,
daß die Angst ihn hellwach gemacht in der Prüfung, daß
er als Reaktion von Schuldgefühl übermäßig
streng mit sich ins Gericht geht und daß ihn Ärger zu
Höchstleistungen anstacheln kann.
Fragt
man als Psychologen diesen "Alltagsmensch", warum er sich
mal so und mal so verhalte, wird er wohl wie selbstverständlich
antworten: "Das kommt doch auf die Situation an!" Er wird
uns als Psychologen dann vielleicht erzählen, daß er
im Verhältnis zu seiner Mutter eher zum Verdrängen neige,
in der Beziehung zu seiner Freundin aber immer überehrlich
sei - und daß es mit seiner Tante Frieda aber wieder ganz
anders sei...
Der
Psychologie wird sich bald verzweifelt abwenden und sich fragen,
was er denn mit all den Informationen anfangen soll. Er will doch
einfache, allgemeingültige "Gesetze" finden!
Er wird den Alltagsmenschen bei der Hand nehmen, ihm einen Film
über Konzentrationslager zeigen und ihm dann eine Gedächtnisaufgabe
geben.
So einfach geht das! So macht man aus einem Alltagsmenschen eine
Versuchsperson! Schon kann man (wenn man noch ein paar mehr Versuchspersonen
verwendet, von denen einige einen lustigen Tierfilm gezeigt bekommen)
eine Aussage darüber treffen, wie sich "Emotionen auf
die Gedächtnisleistung auswirken"!
Hm.
Die Methode sei natürlich nicht optimal, wird der Psychologe
zugeben, aber ohne Luft zu holen fortfahren, daß es eine bessere
Methode für diese Frage nicht gebe. Und vielleicht hat er ja
recht. Nur wird er vielleicht bald feststellen, daß seine
Kollegin, die ihren Versuchspersonen einen Erdbebenfilm bzw. einen
Comic gezeigt hat, völlig gegenläufige Ergebnisse erhalten
hat.
Der
Psychologe hat nämlich die Wahl, ob er allgemeine Fragen stellt,
die interessant sind, aber zu denen es keine klare Antwort gibt,
oder ob er spezifische Fragen stellt, deren klare Antwort keinen
interessiert. Ganz grob gesagt. Natürlich gibt es auch Mittelwege:
Man kann z.B. erst einmal allgemeine interessante Fragen stellen,
so daß einem jeder zuhört, um dann erst in der Antwort
mit den Differenzierungen anzufangen (deren fehlende Aussagekraft
freilich die Zuhörer enttäuscht).
Um
einem Mißverständnis vorzubeugen: Aus diesen Überlegungen
folgt nicht, daß "all diese weltfremden psychologischen
Experimente sowieso unnütz sind". Das Geagte soll nur
dazu anregen, den Wert bestimmter Studien kritisch zu hinterfragen.
Und es soll unterstreichen, daß in einer Wissenschaft wie
der Psychologie nicht die Fragen, die man stellen kann, fest vorgegeben
sind, sondern daß man durch die Art zu fragen schon viel vorentscheidet
- nicht zuletzt die möglichen Methoden.
Wir
werden in den folgenden Abschnitten sehen, daß unsere oben
gestellten Fragen nicht eindeutig beantwortet werden können.
Selten wird von Studien berichtet werden, die vollkommen konsistent
miteinander sind. Zudem werden diese Studien immer nur bestimmte
"Aspekte" aus der Frage auswählen, bestimmte "Operationalisierungen"
vornehmen. Dies ist kein Grund zur Verzweiflung, wohl aber ein Anlaß
zum kritischen Hinterfragen der einzelnen Studien, von denen wir
einige beispielhaft wiedergeben werden.
Es
geht los mit der Frage nach den Auswirkungen von Emotion auf Wahrnehmung
und Aufmerksamkeit.
Danach stellen wir die gleiche Frage an das Gedächtnis.
Zum Schluß kommt das Problemlösen
an die Reihe.
Also
ran an die erste Antwort...
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