Resümee
Schon
bei der Besprechung von Weiners Theorie haben wir angedeutet, daß
seine Überlegungen zwar hochplausibel, aber vielleicht theoretisch
wenig brauchbar sind. Nun wollen wir diese Kritik näher erläutern.
Weiner
fragt in seinen (überaus zahlreichen) Studien gewöhnlicherweise
seine Probanden, in welcher Situation sie mit welcher Emotion reagieren
würden. Er muß daher darauf vertrauen, daß seine
Probanden Emotionswörter wie "Ärger", "Trauer"
oder "Angst" richtig verwenden, d.h. daß es eine
Übereinstimmung zwischen Emotionserleben und Emotionswort gibt.
Wie
wir in Kapitel 1.1 gesehen haben,
kann von einer solchen Übereinstimmung nicht ausgegangen werden.
Konsens besteht eben nicht hinsichtlich des Emotionserlebens, das
mit einem Emotionswort gemeint ist, sondern nur hinsichtlich der
Merkmale der Situation, in der ein Emotionswort zu verwenden ist.
Ein
Beispiel:
Ich frage zehn Probanden, was sie fühlen würden, wenn
ein Dozent sie für ihre Hausarbeit loben würde, in die
sie viel Zeit investiert haben. Alle sagen: "Stolz", oder
etwas wie: "Das Gefühl, das am ehesten paßt, wäre
wohl Stolz."
Dann bin ich als Psychologie glücklich und glaube sogar, wie
dies bei Weiner der Fall war, "robuste Naturgesetze" gefunden
zu haben.
Aber Moment: Kann ich denn mit diesen "Naturgesetzen"
nun vorhersagen, was Menschen in einer bestimmten Situation fühlen?
Nein! Ich kann nur vorhersagen, wie sie ihr Erleben beschreiben
werden, nämlich als "Stolz". Was ich herausgefunden
habe, ist also lediglich, daß meine Probanden die Bedeutung
des Wortes "Stolz" einheitlich verstehen.
Weiner
dreht nun die Sache um: Wir bewerten eine Situation hinsichtlich
bestimmter Kriterien. Die Bewertung "führt zum" Emotionserleben.
Das Emotionserleben können wir dann verläßlich mit
einem bestimmten Emotionswort benennen.
Weiners Sichtweise ist zwar nicht grundsätzlich falsch, aber
erscheint doch wenig sinnvoll. Vor allem aber kann er diese Sichtweise
nicht direkt empirisch belegen - eben nur indirekt mittels Befragungen,
die aber nur das Sprachverständnis der Probanden abtesten können.
Dennoch
ist es überaus sinnvoll sich klarzumachen, welche Emotionen
welche Bewertungen voraussetzen bzw. implizieren. Ob wir dabei
die "Bewertung" auffassen als bewußten Gedanken,
der das Gefühl "bewirkt", oder als impliziten "Bestandteil"
der Emotion selbst, ist vielleicht gar nicht so wichtig.
Durchaus
interessante Alternativen zu Weiners Ansatz haben Ortony,
Clore und Collins (1988) - im Deutschen ähnlich Mees
(1991) - sowie Lazarus (1991)
vorgelegt.
Lazarus
fragt sich vor allem, wie aus Kognitionen denn überhaupt Emotionen
entstehen können. Oder anders: Warum entstehen nicht aus allen
Kognitionen bzw. allen Attributionen Emotionen? Diese Fragen zeigen
wieder, wie wenig ausgearbeitet die Begriffe Weiners Theorie sind.
Lazarus hat allerdings auch keinen Masterplan: Er behilft sich mit
der Unterscheidung zwischen "kalten" und "warmen"
Kognitionen. Nur letztere können Emotionen auslösen, weil
sie die Bedürfnisse der Person direkt betreffen...
Was
bleibt von Weiners Ansatz? Zum Beispiel die Vorstellung, daß
Emotionen rationaler sind, als wir im Alltag immer glauben. Wir
bestimmen durch unsere Denkweise selbst, welche Emotionen wir haben.
(Diese Erkenntnis bildet die Grundlage der "kognitiven"
Verhaltenstherapie.)
Das muß aber auch nicht heißen, daß Emotionen
immer "logisch" sein müssen. Wie oft merken wir doch
im Nachhinein, daß z.B. unser Ärger unbegründet
war! Das dumpfe Gefühl des Ärgers war da, obwohl die Person,
auf die er sich richtete, gar nichts für meinen Schaden konnte.
Solche
- wissenschaftlich freilich kaum formalisierbaren - Selbstbeobachtungen
machen wiederum deutlich, wie wichtig die Unterscheidung zwischen
Emotionswort und Emotionserleben ist: Emotionswörter haben
eine feste, zuverlässige Bedeutung - das Emotionserleben kann
aber manchmal auch "unpassend" sein...
Literaturhinweise:
- Meyer, Schützwohl &
Reisenzein (1993), S.160-203
- Lazarus (im Internet) (für
Interessierte!)
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