2.2
Kognitiv-physiologische Theorien
Die
Theorien, die wir in diesem Kapitel behandeln werden, haben die
Emotionspsychologie in den letzten Jahrzehnten geprägt wie
wohl kaum eine andere Theoriengruppe.
Heute
sind die meisten von ihnen nicht mehr anerkannt. Jedoch sollte nicht
unterschätzt werden, wie groß der "stille"
Einfluß von ihnen auch heute noch ist. Sie verdeutlichen uns
sehr gut, wie die Emotionspsychologie zwischen den Polen "körperlich"
und "kognitiv" hin- und hergerissen ist: Sind Emotionen
körperliche oder geistige Zustände? Oder beides? Oder
noch viel komplizierter?
Die
anfangs vorherrschende Sicht von William James, daß Emotionen
ihren Ursprung ganz entscheidend im Körperlichen haben, ist
nach und nach revidiert worden. Immer stärker trat die geistige,
die "kognitive" Seite von Emotionen in den Vordergrund.
Damit ist auch eine Abkehr von der Auffassung verbunden, Emotionen
seien angeboren und evolutionär sinnvoll. Statt dessen wird
Emotion immer mehr gesehen als eingebunden in Kultur, Sprache und
Kognition.
Wohlgemerkt
gibt es außerhalb dieser Theoriengruppe auch weiterhin
Ansätze, die Emotionen als etwas Körperliches sehen. Was
verbindet also demgegenüber die "kognitiv-physiologischen
Theorien"?
All diese Theorien glauben, Emotion sei ein Erlebenszustand (vgl.
Kap. 1.1). Außerdem nehmen sie an, daß das Entstehen
bestimmter Emotionen von bestimmten Prozessen abhängig ist.
Was diese Prozesse betrifft, so werden am häufigsten genannt:
physiologische und kognitive. Daher der Name.
Die
Theoretiker, mit denen wir uns nun beschäftigen werden, halten
also Gedanken und Körperreaktionen für die "Entstehungsmechanismen"
oder auch "Bestandteile" einer Emotion. Dabei ändert
sich, wie gesagt, mit der Zeit immer mehr die Meinung darüber,
wie wichtig der Bestandteil "Körperreaktion" denn
nun wirklich ist.
Am Ende dieses Kapitels werden wir dann sogar die Frage stellen,
ob Emotionen denn überhaupt irgend etwas mit unserem Körper
zu tun haben oder ob sie nicht ausschließlich ein Produkt
des "Geistes" sind.
Anmerkung:
Um Emotionsdefinition und Emotionsentstehung nicht
zu verwechseln, ist es ratsam, sich noch einmal die diesbezügliche
Tabelle in Kapitel 1.1
anzuschauen. Wir dürfen z.B. nicht die kognitiv-physiologischen
Theorien mit neueren neuro-physiologischen Theorien verwechseln.
Zwischen ihnen gibt es zwei wichtige Unterschiede:
Während erstere glauben, daß das sympathische
Nervensystem an der Emotionsentstehung beteiligt ist, definieren
letztere Emotionen als Vorgänge im zentralen Nervensystem
(also im Gehirn).
Überblick
Was
erwartet dich in den folgenden Abschnitten? Wir lassen die Theoretiker
in historischer Reihenfolge zu Wort kommen. Den Anfang macht die
Theorie von William James.
Die Kritik von Cannon, die direkt im Anschluß an James besprochen
wird, leitet dann direkt über zu Schachters
Theorie, die im zweiten Abschnitt zentralen Raum einnimmt, wenngleich
Maranon als Wegbereiter und Valins als Weiterentwickler auch von
Bedeutung sind.
Als drittes werden wir von Mandlers Theorie
hören, die der von Schachter sehr ähnelt und daher weniger
Raum erhält.
Zum Abschluß des Kapitels stellen wir uns, wie gesagt, die
Frage, ob physiologische Erregung überhaupt
notwendig an der Emotionsentstehung beteiligt ist.
Los
geht's - mit dem großen alten William James...
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