Die
Emotionstheorie von Watson
Wie
wir in der eben wiedergegeben Definition von Watson gesehen haben,
nimmt er an, daß Emotionen angeboren sind. Daher liegt
es nahe, Emotionen vor allem bei Säuglingen zu beobachten,
um jene These zu überprüfen.
Watson
und seine Mitarbeiter testeten daher bei einer Vielzahl von Säuglingen,
welche extremen Reize (z.B. bestimmte laute Geräusche) zu welchen
Reaktionen beim Säugling führen. Er konnte drei grundlegend
verschiedene Reaktionsmuster feststellen, die durch verschiedene
Reizmuster ausgelöst werden. Er nennt sie Furcht, Wut und
Liebe, merkt jedoch explizit an, daß es sich nicht um
erlebte Gefühle handelt, sondern um Reaktionsmuster, um Verwechslungen
mit den parallelen Begriffen in der Alltagssprache zu vermeiden.
Unkonditionierte
Reize |
Unkonditionierte
Reaktionen |
Name
des Reaktionsmuster (bzw. der Emotion
|
Laute
Geräusche, Verlust von Halt |
Anhalten
des Atems, Schreien, "Auffahren" des Körpers
etc. |
"Furcht" |
Behinderung
der Körperbewegungen |
Steifwerden
des Körpers, Rötung des Gesichts etc. |
"Wut" |
Streicheln
der Haut, Schaukeln etc. |
Gurgeln,
Glucksen, Erektion etc. |
"Liebe" |
Diese
drei Emotionen bilden quasi den Kern, aus dem später alle anderen
Emotionen entstehen (siehe Kap.1.3:
"Basis-Emotionen"). Ein Erwachsener zeigt selbstverständlich
komplexere, weil durch Lernen (Konditionierung, s.u.) modifizierte
Emotionen.
Watson
gibt selbst zu, daß seine Emotionsdefinition nur auf die stärker
stereotypisierten Formen emotionaler Reaktionen paßt.
Jene
anderen, sekundären Emotionen entstehen durch klassiches
Konditionieren (Reizersetzungslernen; ausführlich im Modul
"Lernen"). Die unkonditionierten Reize werden durch zeitlich
oder räumlich benachbarte Reize ersetzt, so daß sie eine
konditionierte emotionale Reaktion auslösen. (Beispiel
aus Tierversuchen: Eine Ratte fürchtet sich auch dann noch
vor dem Korridor, wenn die Falle und das laute Geräusch nicht
mehr da sind.)
Dies
erklärt aber nur, wie (Basis-)Emotionen hinsichtlich neuer
Reize erlernt werden, nicht aber, wie neue Emotionsqualitäten
- z.B. Trauer oder Freude - entstehen. Zu dieser wichtigen Frage
kann Watson keine genaue Antwort geben!
Empirische
Prüfung: Erwerb und Beseitigung von Furchtreaktionen
Die
Hypothese, daß neue emotionsauslösende Reize durch Konditionierung
erworben werden, untersucht Watson mit dem "Kleiner-Albert-Versuch":
1.
Der neun Monate alte Albert wird mit einer weißen Ratte konfrontiert
und zeigt keinerlei Furchtreaktionen (daher ist die Ratte ein "neutraler
Reiz", NS). Auf ein lautes Hammerschlaggeräusch hingegen
reagiert Albert mit den geschilderten Furchtverhaltensweisen (daher
ist das Hammerschlaggeräusch ein "unkonditionierter Reiz",
UCS; die Furcht ist die "unkonditionierte Reaktion", UCR).
2. Zwei Monate später wird ihm die Ratte wiederholt gemeinsam
mit dem lauten Geräusch präsentiert (=Paarung von NS und
UCS). Albert reagiert wieder mit Furcht.
3. Kurz darauf wird Albert die Ratte ohne Geräusch gezeigt.
Auch hier zeigt er nun Furcht.
Kurz:
Der ursprünglich neutrale Reiz "weiße Ratte"
verwandelt sich für den neunjährigen Albert durch Paarung
mit dem unkonditionierten Reiz "lautes Geräusch"
in einen konditionierten Reiz, der nun allein eine konditionierte
Furchtreaktion auszulöst.
Watsons Hypothese konnte also bestätigt werden: Albert hatte
gelernt, sich vor der Ratte zu fürchten. Darüber hinaus
ist interessant, daß bei Albert eine sogenannte "Reizgeneralisierung"
stattfand: Er reagierte auch auf ähnliche Reize, also z.B.
auf Kaninchen, mit Furcht. (Zu Anfang des Versuches fürchtete
er sich vor diesen ähnlichen Reizen ebenso nicht.)
Außerdem
ist der Faktor Zeit interessant: Die Furcht war beim kleinen Albert
auch nach 31 Tagen noch beobachtbar!
Kritisch
ist vor allem anzumerken, daß es sich bei der geschilderten
Konditionierungsmethode nicht um rein klassisches Konditionieren
handelt: Beispielsweise erzeugte Watson gezielt dann das laute Geräusch,
wenn Albert die Ratte berührte. Der UCS (Geräusch) wurde
damit nicht nur an einen CS (Ratte) gekoppelt, sondern auch an ein
bestimmtes Verhalten (Berührung). Es liegt also eine Mischung
aus klassischer und operanter Konditionierung vor.
Fazit: Furcht ist zwar lernbar; aber nicht mittels eines so einfachen
Gesetzes wie das des klassischen Konditionierens (wie es wohl Watson
gerne gehabt hätte).
Wie
kann man die angelernten Furchtreaktionen nun wieder "verlernen"?
Dies zeigte Mary Jones anhand ihrer Versuchsperson ("kleiner")
Peter. Hier nur in einem Satz: Die konditionierte
(hier also schon vorhandene) Furcht vor Kaninchen wird dadurch "wegtherapiert",
daß dem dreijährigen Peter, während er Leckeres
ißt, von weitem das Kaninchen gezeigt wird, wobei in den weiteren
Versuchsdurchgängen das Kaninchen schrittweise immer näher
kommt, bis Peter auch bei Berührung des Kaninchens keine Furcht
mehr zeigt.
Ganz
ähnlich funktioniert die heute noch in der Verhaltenstherapie
gebräuchliche "systematische Desensibiliserung".
Hier haben wir also ein gutes Beispiel dafür, wie nachhaltig
der Behaviorismus auch die heutige Psychologie noch beeinflußt.
Er hat insbesondere die Sichtweise des Menschen als eine durch
Umweltreize kontrollierbare "Maschine" salonfähig
gemacht.
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