Klassenbildung
Die Frage nach
Emotionsklassen ähnelt der Frage der Dimensionen so sehr, daß
der methodische Zugang nahezu völlig identisch ist. Den Versuchspersonen
werden Listen mit Emotionswörtern vorgelegt, die sie nach
Ähnlichkeit sortieren sollen. Die Zahl der in den einzelnen
Untersuchungen vorgelegten Emotionswörtern schwankt zwischen
23 und 135. Die Ergebnisse sind - auch innerhalb der verschiedenen
westlichen Sprachen - jedoch ziemlich ähnlich:
Es konnten mittels
statistischer Verfahren wie der Clusteranalyse zumeist ähnliche
Kategorien gefunden werden, dessen Anzahl meist um die 10 herum
schwankt. Die Bezeichnungen der Kategorien sind natürlich recht
beliebig; sie versuchen lediglich andeuten, was das Gemeinsame der
Kategorie sein könnte. Dies wird deutlich, wenn wir uns exemplarisch
die Ergebnisse von Schmidt-Atzert in seiner Untersuchung von 1980
ansehen:
Klasse/Kategorie |
Emotionswörter,
die der Klasse zugehören, weil
sie ähnlich eingestuft wurden |
"Abneigung" |
Abneigung,
Verachtung, Ekel, Widerwille |
"Aggressionslust" |
Aggressionslust,
Ärger, Groll, Wut, Haß |
"Angst" |
Angst,
Entsetzen, Panik, Schreck, Verzweiflung |
"Freude" |
etc. |
"Lust" |
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"Mitgefühl" |
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"Neid" |
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"Sehnsucht" |
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"Traurigkeit" |
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"Unruhe" |
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"Verlegenheit" |
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"Zuneigung" |
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Was
sagen uns diese Ergebnisse? Wie schon bei der Frage der Dimensionen
wurden hier Versuchspersonen gefragt, was sie über bestimmte
Emotionswörter denken. Können wir daraus schließen,
wie ähnlich sich verschiedenen Emotionen tatsächlich sind?
Mit dem "tatsächlich"
ist das so eine Sache. Wie wir in Kap.1.1 gesehen haben, kommen
wir an das Erleben der Menschen nur über Befragung heran. Und
befragen können wir nur mittels Sprache; und Sprache strukturiert
unseren Forschungsgegenstand vor. Wir müssen uns wohl mit diesem
- ein wenig unbefriedigenden - Zugang begnügen. Immerhin konnten
in den verschiedenen westlichen Sprachen ähnliche, in anderen
Kulturkreisen zumindest grob vergleichbare Ergebnisse gefunden werden.
Völlig aus der Luft gegriffen scheint dieser methodische Zugang
also nicht zu sein.
Wer Kapitel
1.1 aufmerksam gelesen hat, wird sich jetzt fragen: Warum berücksichtigen
diese Ansätze nur die Erlebenskomponente von Emotion?
Ein guter Einwand! Haben wir doch eben noch (siehe
Kap.1.1) den Emotionsbegriff kühn erweitert, sprechen wir
hier wieder nur vom Erleben. Wie sieht es aber mit den anderen beiden
Komponenten aus? Kann man Emotionen nicht viel leichter anhand ihres
physiologischen Erregungsmusters unterscheiden bzw. klassifizieren?
Oder anhand eines spezifischen Verhaltens?
Nach dem heutigen
Stand der Forschung: Nein. Wir werden auf diese Fragen in
den nächsten Kapiteln noch ausführlich eingehen. Sie sind
von großer Bedeutung, nicht zuletzt weil sie die Wichtigkeit
der physiologischen und behavioralen Komponente wiederum in Frage
stellen.
Doch auch die
nun folgende Frage, ob es "Basis-Emotionen" gibt, ist
von der allgemeineren Frage abgeleitet, an welchen Merkmalen - außer
dem Erleben - sich Emotionen unterscheiden lassen...
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